Rezension
Die vorliegende Publikation entstand im Zusammenhang mit der gleichnamigen Zweiländerausstellung in den Prämonstratenserstiften Geras (im niederösterreichischen Waldviertel) und Nová Ríše/Neureisch (in Südmähren). Sie stellt keinen Ausstellungskatalog dar, hat mit einem solchen jedoch den erfreulich moderaten Preis und die hervorragende Druckqualität der zahlreichen, zumeist selten zu findenden Farbabbildungen gemeinsam. Der Band geht bei der Darstellung des Themas "Reisen" nicht systematisch vor, sondern illustriert die Mobilität barocker Künstler, Auftraggeber und Kunstwerke in Österreich, Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn beispielhaft anhand von 15 Künstlerviten, die von Forschern aus Österreich, Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei verfasst wurden. Das die Viten zusammenbindende Thema des Überschreitens von Landesgrenzen wurde freilich nicht aus den historischen Gegebenheiten entwickelt, handelte es sich bei dem Wirkungsradius der Künstler doch um das alte Territorium der Habsburgermonarchie, sondern als Hommage an die EU-Erweiterung des Jahres 2004 gewählt. Es soll, so das Ziel des Bandes, aus kunsthistorischer Sicht zusammenwachsen, was historisch zusammengehört.
Die streng künstlerbiografisch aufgebauten Beiträge setzen in vielfältiger Weise jeweils einen Schwerpunkt auf die Reisen, die für die Künstler des 17. und 18. Jahrhunderts nicht Lust, sondern berufliche Notwendigkeit waren. Die Bandbreite reicht von Reisen hoch bezahlter Freskanten, die, um ihre weltlichen und geistlichen Auftraggeber im Reich und in den habsburgischen Erblanden zu bedienen, im Laufe ihres Lebens weite Teile Mittel- und Osteuropas durchquerten (Carlo Innocenzo Carlone
Trotz der Verknüpfung der Viten durch die im Barock zumal unabdingbare Mobilität der Künstler bleibt dem Leser die Intention, nach welcher im vorliegenden Band die Auswahl getroffen wurde, verborgen. Einige der Künstler haben am Ort der Ausstellung in den Stiften Geras und Nová Ríše gewirkt. So etwa Paul Troger, der in Geras 1738 die Deckenfresken über Sommerrefektorium und Stiegenhaus schuf, und der Maulbertsch-Nachfolger Joseph Winterhalder d. J.
Das Waldviertel als Ausgangspunkt wählte der Herausgeber Friedrich Polleroß um einführend die Initiatoren der Künstlermobilität und des grenzüberschreitenden Kunsthandels, nämlich die in den Künstlerviten zu kurz kommenden Auftraggeber und ihre Intentionen in den Blick zu nehmen. Exemplarisch erläutert er für die geistlichen Auftraggeber die Zusammenhänge an Abt Johannes Westhaus (1610-74), der Chorherren und Künstler aus Böhmen, Mähren, den Erblanden, dem Reich und Oberitalien berufen hat, um Stift Geras nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges wieder zu konsolidieren. Als Beispiel für einen weltlichen Auftraggeber wählte Polleroß den in Schloss Ottenstein ansässigen Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653-1706), der die Früchte seiner dreijährigen Kavalierstour durch Italien, die Schweiz, Holland, Belgien, Paris, London und Frankreich 1699 in der Ernennung zum kaiserlichen Botschafter am Heiligen Stuhl in Rom erntete. Hier beeindruckt ein in Privatbesitz befindliches ganzfiguriges Staatsporträt des Grafen im Ordensgewand des Goldenen Vlieses von Francesco Trevisani. Entsprach das Honorar von 130 Gulden dem Wert eines größeren Waldviertler Bauernhofes, so dürfte der Anschaffungspreis des reichen Ornates aus Seide, Spitze und rotem goldbesticktem Samt jegliche Geldvorstellungen im heimatlichen Waldviertel überstiegen haben. Den beiden exemplarisch behandelten Auftraggebertypen sind einige Viten im Waldviertel tätiger ausländischer Künstler angefügt sowie ein knapper Überblick über den internationalen Kunsthandel in Wien seit der Mitte des 17. Jahrhunderts und über die Sammelschwerpunkte des Wiener Adels im 18. Jahrhundert. Weiterführende Fragen zur zeitgenössischen Bedeutung der jeweiligen Bau-, Ausstattungs- und Sammeltätigkeit werden nur am Rande berührt.
Von besonderem Interesse sind die Beiträge, die auf noch nicht publizierten oder in weniger weit verbreiteten Sprachen erschienenen Arbeiten gründen. Diese machen den Band wissenschaftlich hochaktuell und für die weitere Forschung besonders wertvoll. Hier sind der Maulbertsch-Beitrag von Monika Dachs (Wiener Habilitationsschrift von 2003) zu nennen, der die unternehmerisch-logistischen Fähigkeiten des Malers herausstreicht, die Ausführungen zu Prandtauer von Huberta Weigl (Wiener Dissertation von 2002), der Vorgriff von Anna Jávor auf ihre in Budapest erscheinende Kracker-Monografie und die auf einer Brünner Magisterarbeit basierende Würdigung des Stilllebenmalers Gottfried Libalt von Zdenek Kazlepka.
Beim Zusammenbinden der etwas disparaten Viten- und Œuvresammlung wären eine historische Landkarte und vor allem ein Register zweckdienlich gewesen. Auch eine Vorstellung der Autoren durch Kurzbiografien hätte man sich angesichts dieses grenzübergreifenden Projektes gewünscht. Insgesamt gibt die Publikation einen facetten- und lehrreichen Einblick in die barocke Kunst des habsburgischen Territoriums.
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