Rezension

Werner Hofmann: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, München: C.H.Beck 2003,
Buchcover von Goya
rezensiert von Javier Vilaltella, Institut für romanische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität, München

In den letzten 20 Jahren hat Goya zunehmendes Interesse in der Forschung und in der Gunst des Publikums genossen. Einen Beweis dafür bieten die umfangreichen monografischen Ausstellungen und die ausgezeichneten Ausstellungskataloge, die sie begleitet haben. Das kann man mit dem Begriff "Mode" nicht angemessen erfassen. Es geht eher darum, dass die Werke einiger Künstler der Kunstgeschichte immer noch viele Rätsel aufwerfen, die nach wie vor auch unsere Rätsel sind: Es liegt in unserem eigenen Interesse, ihnen auf die Spur zu kommen.

An dieser Aufgabe hat sich Werner Hofmann kontinuierlich beteiligt. Er ist öfters in diesen Katalogen mit Beiträgen vertreten, Beiträge, die öfters ganz eigene Wege der Goyaforschung betreten. Deswegen ist es nur konsequent, dass aus diesen vielen Fragmenten jetzt mit diesem Band ein Ganzes geworden ist.

Es geht um eine zusammenhängende Darstellung des Gesamtwerks von Goya. So ist das Buch im Prinzip auch aufgebaut: Es werden chronologisch die verschiedenen Phasen des künstlerischen Schaffens Goyas präsentiert. Es ist für ein größeres Publikum gedacht, das an einem fundierten Text und an aussagekräftigen Bildern interessiert ist. Man kann hier in der Tat von einer luxuriösen Bebilderung sprechen: von insgesamt 308 Textseiten sind 164 mit ganzseitigen Bildern versehen, dazu kommen viele andere Abbildungen in kleinerem Format.

Aber trotzdem wird der Text nicht zu einer bloßen erklärenden Begleitung der Illustrationen. Die Auswahl ist sehr stark von den grundlegenden interpretatorischen Ideen Hofmanns bestimmt. So sind zum Beispiel viele Kabinettbilder reproduziert, darunter einige, die sehr selten zu sehen sind, wie "Feuer in der Nacht" oder der "Schiffbruch", und viel weniger die Porträtbilder, die zu einem guten Teil zum sozialen Erfolg Goyas als Maler beitrugen.

Auch wenn in den Reproduktionen dieses Buches alle Phasen vertreten sind, werden einige Bilder, die im Diskurs Hofmanns einen Schlüsselcharakter erhalten, mit beeindruckenden Detailaufnahmen wiedergegeben, so zum Beispiel die drei Versionen des Capricho 43 ( "Der Schlaf der Vernunft produziert Monster") oder das Kabinettstück "Das Begräbnis der Sardine". Die Zeichnungsbücher der letzten Jahre, die in der Forschung verhältnismäßig wenig berücksichtigt worden sind, werden von Hofmann sehr ausführlich wiedergegeben und behandelt.

"Vom Himmel durch die Welt zur Hölle" ist der Untertitel des Buches: ein Zitat Goethes aus dem "Vorspiel auf dem Theater". Goethe bildet für Hofmann auch einen Rahmen und eine Art Leitfaden, um das Werk Goyas zu erschließen. Das heißt aber nicht, dass das Feld der Kunstgeschichte im engeren Sinn verlassen wird, oder dass Hofmann eine Art Tableau der Zeit mit Bild- und Literaturzeugnissen darbietet. Das Buch hält sich präzise an die Aufgabe, den Leser in ein tieferes Verständnis des Werks Goyas, das heißt in die Bilder Goyas, einzuführen. Aber das ist gerade das Besondere an der Art, wie Hofmann Goya erschließt.

Er hat immer konsequent versucht, das konkrete Werk besser zu verstehen, in dem er die großen Zusammenhänge der Zeit mit in die Interpretation der Bilder einbezieht. Dies war schon der Ansatz der großartigen Ausstellung "Goya, das Zeitalter der Revolutionen" in Hamburg von 1980, die von ihm kuratiert und mit erhellenden Beiträgen im Katalog begleitet wurde.

Die historischen Zusammenhänge sind nicht bloße historische Ergänzungen zu den Bildern. Es geht eher darum, das konkrete einzelne Bild besser zu erschließen, in dem aus den historischen Zusammenhängen neue interpretatorische Kategorien gewonnen werden.

Hofmann hat immer sein Unbehagen über die Tatsache geäußert, dass man das Werk Goyas einseitig aus den Ideen der Aufklärung interpretiert. Er hält dagegen, dass man ihn genauso aus der Perspektive der Romantik einordnen kann.

Diese widersprüchlichen Positionen sind nicht ein Ergebnis der Unsicherheit in der Forschung. Hofmann zeigt sehr eindringlich, dass sie im Werk selbst angelegt sind. Er charakterisiert Goya sehr treffend als "ein(en) radikale(n) Einzelgänger, der sich zwischen die Fronten der Reaktionäre und Reformeiferer begibt, um beide zu desillusionieren".

Man hat immer wieder herausgestellt, dass viele Bilder Goyas (zum Beispiel "Der betrunkene Maurer", "Der verunglückte Maurer") mit fast den gleichen Elementen konträre Positionen beinhalten. Damit befände sich Goya, unter anderem, in einer alten spanischen Tradition, die im Barock zum Beispiel für die Welt der Erscheinungen die Qualität der "Täuschung und Enttäuschung" sehr stark herausgearbeitet hat. Hofmann betont den konstitutiven "Doppelblick" und die Mehrdeutigkeit als eine der Grundstrukturen im Bildaufbau Goyas.

Es wird immer wieder vergessen, dass Goya nach seiner Italienreise mehrere Jahre ausschließlich im religiösen Bereich gearbeitet hat. Er war in der Tradition des neapolitanischen Barock (Giaquinto) fest verankert. In Madrid kam, als klassizistischer Befürworter, Mengs dazu. Diese Aspekte sind sehr wichtig, um den radikalen Bruch Goyas in den späteren Jahren besser einzuordnen. Die Tradition wird nicht vergessen, Goya trägt sie immer mit sich. Sie wird in konsequenter Weise öfters nur umgestülpt. Hofmann verwendet für dieses Vorgehen Aby Warburgs Begriff der "Bedeutungsinversion". Es ist nicht verwunderlich, dass diese alten Vorlagen wie eine subtile Folie den Ausgangspunkt vieler Bilder Goyas bedeuten. Immer wieder kann man ihnen nachspüren. Die bekanntesten Fälle finden sich in der Stichreihe "Schrecken des Krieges". Aber Hofmann zeigt zahlreiche andere Beispiele, die die Bedeutung dieses Vorgangs untermauern.

Den Wendepunkt im Werk Goyas bilden die Kabinettbilder und die Caprichos in den 90er-Jahren. Er fühlte sich bei den bis dahin ausgeführten Werken in der Thematik und in der Form sehr eingeengt. Goya forderte ausdrücklich eine freiere Anwendung und Umsetzung der Einbildungskraft. Ausgehend von Hogarth und anderen Satirikern, die Goya durch die Sammlungen einiger seiner Freunde gut kannte, werden nun neue Bereiche der Imagination erschlossen, die weit über eine übliche Sozial- und Zeitkritik hinausgehen. Hofmann konzentriert sich in seiner Darstellung vermehrt darauf, diese neuen Felder der Imagination präzise zu charakterisieren. Das Bizarre und Absonderliche der Goya-Phantasien wird nicht mehr als ein beliebiges Spiel eines Künstlers betrachtet, sondern findet seine Verankerung in den Brüchen, die der vorherrschende Diskurs der Aufklärung selbst zeigt (Stichwort "Dialektik der Aufklärung").

Der Skeptizismus, der aus der Grafik Goyas spricht, greift weiter als eine bloß negative Stellungnahme über die reaktionäre Entwicklung der spanischen Politik (Stichwort "Herrschaft Fernandos VII"). Das hat die französische Goya-Rezeption im 19. Jahrhundert, insbesondere Baudelaire, auf den sich Hofmann öfters beruft, sehr gut verstanden.

Das Erstaunliche an Goya ist die gleichzeitige Ausübung seiner Tätigkeit als erster Hofmaler und die Produktion einer Reihe von Werken, für die er sich an keine traditionelle Bildkonvention gebunden fühlte. In dieser Zeitperiode entstehen in kurzer Zeit hintereinander die Caprichos, die Ausmalung von San Antonio de la Florida und das offizielle Porträt der Königsfamilie Carlos IV. Dabei werden auch die Fresken von San Antonio de la Florida von Hofmann aus dem Bereich der unverbindlichen Spiele Goyas im Felde der religiösen Malerei herausgenommen und seine überzeugenden religiösen Inhalte in einer postbarocken Formulierung herausgestellt.

Von Goya wird die Einbildungskraft gefordert, um in die obskuren Bereiche der Wirklichkeit, die von der aufklärerischen Vernunft unterdrückt wurden, einzudringen. Irre, Gefangene, Bettler, lauter Randfiguren, werden immer wieder gezeichnet, sowie auch die bedrohliche Welt des Unbewussten, die Albträume, die Gewaltfantasien. Hofmann zeigt, dass für Goya diese Welt eine starke Faszination ausübt. Sie wird gezeigt und andererseits wird sie eingesetzt, um neue, noch gewagtere Fantasien herauf zu beschwören. Nach Hofmann entsteht dadurch für den Künstler ein gefährliches Spiel.

Goya kann auf dieses Spiel eingehen und dabei nicht untergehen, indem er die Kraft zur Gestaltung findet. Diese Gestaltung ist eine Art Befreiung und in gewisser Hinsicht eine Heilung, so die Ausführungen Hofmanns.

Diese Kreativität leitet sich aber nicht aus einer religiösen Überzeugung ab, sondern aus der Kraft des Künstlers, auch für diese drohenden Aspekte der Wirklichkeit eine künstlerische Form zu finden. Das wäre das Fazit im Epilog, sodass der Künstler hier vielleicht wieder in die Nähe einer heroischen Rolle gerückt wird.

"Vom Himmel durch die Welt zur Hölle". Für Hofmann zeigt sich im Werk Goethes auch die ganze Spannweite der menschlichen Existenz, so wie im Werk Goyas. Der Unterschied wäre, dass bei Goethe am Schluss immer eine religiöse Instanz die Ordnung wieder herstellt, sich dagegen bei Goya eine radikale Skepsis behauptet. Wenn sich Hoffnung artikuliert, wie im letzten Stich auf Blatt 82 ("Das ist die Wahrheit") im Zyklus "Schrecken des Krieges", dann geschieht das durch die Figur eines Bauernmädchens aus dem Volk, ohne eine Jenseitsmarkierung am Horizont. Das gewährt Goya einen bevorzugten Platz in unseren Auseinandersetzungen um die Entstehung der Moderne und gewährleistet der Publikation Hofmanns mehr als eine Rechtfertigung.


Javier Vilaltella

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Empfohlene Zitierweise:

Javier Vilaltella: Rezension von: Werner Hofmann: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, München: C.H.Beck 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 3,

Rezension von:

Javier Vilaltella
Institut für romanische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle