Rezension

Karin Rase: Kunst und Sport. Der Boxsport als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Mit einem Geleitwort von Jan Hoet, Bern / Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003,
Buchcover von Kunst und Sport
rezensiert von Angela Stercken, Seminar für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Von "Loop" über "Sport in der zeitgenössischen Kunst" und "Kunst, Sport und Körper" bis zu "Kunst und Sport" zeugen zahlreiche Ausstellungen und Publikationen von der Beschäftigung mit dem Schnittbereich sportlicher und künstlerischer Darstellung, der sicher zu den exponierteren Forschungs- und Ausstellungsfeldern der vergangenen Jahre zählt. Besonders die Beschäftigung mit dem Sport und seiner künstlerischen Präsentation dient heute zur Fortführung jener Forschungsdiskurse, die den Körper, seine Zeitlichkeit und Medialität und seine vielfältigen Belegungen besonders in der Moderne in den Blick rücken.

Mit ihrer 2003 publizierten Dissertation "Kunst und Sport" legt Karin Rase nun eine weitere Publikation in diesem Bereich vor, die sich erstmalig übergreifend mit der bildlichen Darstellung des Boxsports beschäftigt und damit einen Kernbereich des modernen Körperverständnisses trifft. Doch schränkt die Autorin ihre Arbeit trotz der viel versprechenden Themenwahl auf eine motivgeschichtliche Studie ein. Rase leitet die berechtigte These, Sport und Sportdarstellung stünden in einem Bezug zu gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen. Doch belegt sie diese Annahme mit einer selbst aus sozialhistorischer Sicht stark vereinfachten Vorgehensweise, indem sie davon ausgeht, das Boxmotiv spiegele "Werte und Moden der Gesellschaft" (199) wider. Ihren Beitrag zur "Ikonografie der 20er Jahre" verfolgt die Autorin in drei Hauptabschnitten von der Antike über die englische Darstellungstradition des 18. und 19. Jahrhunderts bis zu den Motivgruppen der deutschen Box- und Boxerdarstellung der 20er- und 30er-Jahre.

Die Analyse führt zunächst zu den etymologischen und historischen Grundlagen des Sports und Spiels wie zu frühen Faustkampf-Darstellungen der Antike. Dem Forschungsstand entsprechend, kann sie diese nicht als "prä-sportive Aktivitäten" oder Ausgangspunkt einer "einheitlichen linearen Entwicklung" (22) zur modernen Sportlichkeit betrachten, vielmehr sieht sie darin das Material für die Projektionen moderner Sportdarstellung.

Mit dem zweiten Abschnitt wendet sich Rase demjenigen Bereich zu, dem allgemein prägender Charakter für die Entwicklung des modernen Boxsports und seiner künstlerischen Präsentation zugesprochen wird. Aus dem rüden Raufringen mit rudimentären Regeln und einer zunehmend standes-übergreifenden Funktion der Konfliktbewältigung (45) hat sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts das Boxen gleichermaßen zu publikumsorientiertem Aristokraten-Amusement und geregeltem Publikumssport entwickelt. Hogarths erste Boxdarstellungen betrachtet sie damit zu Recht als sich neu formierendes bürgerliches Genre (52). Sein "A Rakes Progress" spricht mit der Figur des Boxers von der Nobilitierung des modernen britischen Sportlers, der hier als selbstbewusste "männlich-frühromantische Ergänzung zum betont femininen und eleganten Etikett des französischen Rokoko" (65) aufgefasst wird, während Darstellungen gefeierter Boxer im Mantel des Herrscherportraits bereits neue Identifikationsfiguren aus anderen Schichten der modernen britischen Gesellschaft liefern.

Die Entwicklung einer speziellen Sportästhetik im Zeitalter der Aufklärung ist damit bereits in Grundzügen umrissen. Das neue Genre bietet gleichermaßen ein für die Moderne viel versprechendes Feld der künstlerischen Selbstbehauptung wie (nationaler) Repräsentation. Doch wird die Spezifität des Box-Sportes als Katalysator künstlerischer und gesellschaftlicher Erneuerung nur umrisshaft erkennbar. Besonders im Bereich der Boxerportraits des 18. Jahrhunderts hätte eine Analyse der körperspezifischen Eigenschaften und Körperdisziplinierungen und der allegorischen Bildstrukturen, der die Autorin nur mit einem Verweis auf den attributiven Charakter der signifikanten "Boxerfaust" begegnet, anschauliches Belegmaterial liefern können. Für die Darstellungen des Kampfgeschehens, die Rase unter dem Titel "Der Körper des Boxers als männliches Idealbild" und ausgehend von Youngs "The Set-To" behandelt, gilt ähnliches. Die Autorin findet hier zwar zurecht neue Idole der "Männlichkeit" (79), bleibt jedoch die Beschreibung der nun entblößt präsentierten Boxergestalten im Zusammenhang aufklärerischer Körpererziehungskonzepte schuldig.

In den Kampfdarstellungen bis zum 19. Jahrhundert findet Rase aufschlussreiche Motive der gesellschaftlichen Konfliktbewältigung, die die Einfachheit und Brutalität des Boxens "widerspiegelten" und zugleich von einer "Idolisierung" einzelner identifizierbarer Boxer zeugten. Doch auch hier lassen die Ausführungen Überlegungen zur künstlerischen Präsentation der posierend-stereotypen Sportlerkörper im öffentlichen Raum der neuen Sportarenen vermissen. Auch dort, wo die Autorin - wie im Fall der "Fives Court"-Darstellung Charles Turners - den "Wahrheitsgehalt" (89) der Kampfdarstellungen im Blick auf ihren historischen Gehalt bezweifelt, fehlen Überlegungen zum Innovationspotenzial künstlerischer Darstellungsformen. Die Darstellungen werden als "Spiegel" der "Nivellierung der Standesgrenzen" (95) und zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz des Boxsports gefasst.

Der dritte Teil der Publikation vollzieht einen Orts- und Zeitwechsel. Rase fokussiert nun mit der deutschen Boxdarstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts das Kernthema ihrer Arbeit. Auch in Deutschland erkennt sie wesentliche gesellschaftliche Umbrüche, die zur Boxbegeisterung beitragen konnten: Verstädterung, 'innere Urbanisierung' der Menschen (97) und eine auf technischen Entwicklungen fußende Dynamisierung des Lebens. Der Bau des Sportpalastes in Berlin, den sie mit den Entstehungsumständen der britischen Sportarenen im 19. Jahrhundert in Beziehung setzt, führt sie zum Tempo und zur "Fortschrittlichkeit" des modernen Massen- und Showsports, der nun über festgelegte Reglements und eine schichtübergreifende Zuschauerschaft verfügt (107).

Der Profiboxer steht nun im Rampenlicht. Die Boxer Prenzel, Wiegert, Breitensträter, betreten das "magische Quadrat der Männlichkeit" (111) und avancieren zu neuen Identifikationsfiguren in - wenn auch modernen, so doch nach wie vor - 'mythisch ritualisierten' und dramatisierten Schaukämpfen. Schlüssigerweise werden nun vor allem die durch die Presse popularisierten Boxergestalten und deren Darstellungen betrachtet, innige Verflechtungen zwischen Boxsport, Kunst und Literatur (112ff.) skizziert. Rase gelingt es jedoch nicht, die wesentlichen Entwicklungen zu einer kunsttheoretischen Verankerung der modernen Sport- und Körperdarstellung wie künstlerische Selbstinszenierung als Boxer aus dem Material zu entwickeln. Sie verzichtet darauf, ihre Ausführungen in Körper-, Technik- und Medizindiskursen der Zeit zu verankern, die wesentlichen Anteil an der Formierung eines künstlerisch initiierten Sportler-(Vor-)Bildes und seinen zeitbedingten Konnotationen hatten. [1]

Die Betrachtung der Box- und Boxerdarstellung der 20er- und 30er-Jahre führt vom Bereich der Grafik, den die Autorin in die Bereiche der presseorientierten und "autonomen" Grafik unterteilt, schließlich zur Malerei und Plastik. Der kometenhafte Aufstieg der Boxdarstellungen kann hier in der Berliner Tagespresse nachgezeichnet werden. Doch fehlt es an Sensibilität für die mediale Differenz und spezifische Vermittlung textlicher, grafischer oder fotografischer Boxdarstellungen, die lediglich in illustrative Zusammenhänge gefügt werden. Rase fokussiert zwar die Entwicklung der Pressezeichnung zur "eigenständigen Kunstgattung", die "im Unterschied zur rein abbildenden Fotografie vor allem das Moment der Dynamik des Boxkampfs zum Ausdruck bringt." (137) Der Autorin entgehen dabei jedoch Momente des medialen Austauschs, wie beispielsweise die comic-sprachlich-erzählerische Dimension bei Matejko oder die stark rezeptionsorientierte Perspektive in dessen "Max Schmeling", die fotografische Nahaufnahmen des Boxerheroen rezipiert.

Mit der Malerei der 20er- und 30er-Jahre verändern sich die Parameter: Der Boxsport wird "neben den Tillergirls, dem Jazz und Swing zum Ausdruck modernen amerikanischen Lebensgefühls. Maskulinität, physische Stärke und Durchsetzungskraft wurden in Deutschland und Amerika wieder zu positiven Werten." An Boxdarstellungen Jaeckels und Blochs konkretisiert Rase nun den idealtypischen Charakter prominenter Boxergestalten. Körperliche Eigenschaften rücken stärker in den Blick der Autorin, werden aber nicht auf ihre funktionale Dimension in der Weimarer Zeit befragt. Hier werden "Kraft" der Körpermassen, "ideale Männlichkeit" diagnostiziert und "Identifikationsfiguren" ausgemacht (167f.), doch wird der Leser über die Bezugspunkte des veränderten Athletenbildes in der modernen Körperkultur im Unklaren gelassen. Auch aus den Werken, in denen der Angriff, brutaler Kampf oder Knock-out unter gleißendem, die Körper zum Teil stark modellierenden Scheinwerferlicht inszeniert werden, entwickelt die Autorin kein Modell zur Entschlüsselung der veränderten Boxkampfzelebrationen. Vielmehr reduziert sie die Darstellungen, die nun verstärkt von Motiven der Erschöpfung denn von den vormaligen Triumph-Gesten gezeichnet seien, erneut zu 'Sinnbildern' der "Herausforderungen der modernen Industriegesellschaft" (170).

In Boxerportraits von Grosz, Berend-Corinth, Sohn-Rethel oder Schwichtenberg erkennt Rase nun "Symbole" [!] des 'neuen Menschen', die in "besonderer Weise die Wertestruktur einer sich neu orientierenden Gesellschaft zwischen den Kriegen" (171) spiegelten. Doch fehlt gerade hier die ästhetische und politische Problematisierung jenes Topos der Zeit, des 'neuen Menschen', und seiner Ideologisierungen in der Sportdarstellung. Und so liest sich das zusammenfassende Ergebnis zu den Darstellungen, die als Verkörperungen des "zugleich zeitlosen und zeitgemäßen Schönheitsideals eines kraftvollen Leibes [!]" (177) erfasst werden, eher als forschungsfernes Resümee ikonografischer Aspekte.

Mit dem Bereich der plastischen Boxerdarstellung beschließt die Autorin ihre Arbeit. An Skulpturen von Grosz bis Sintenis, die als Vermittler "aktueller Wirklichkeit" (179) aufgefasst werden, bleiben Einsatz und Bedeutung von Posen oder Bewegungsmotiven (de Fiori, Haller) oder eine auf Statik angelegte Körperpräsentation (Sintenis' Brandl-Portrait) unkommentiert.

Auch die hier bevorzugte Aktdarstellung, die Rase der Vorherrschaft 'klassischer' Akt- und Bildnis-Darstellungen in der Berliner Skulptur der 20er-Jahre (180) anrechnet und knapp auf antike Plastiken zurückbezieht (200), kann nicht im Licht einer modernen allegorischen Neubelegung des (männlichen) Körpers erscheinen. [2] So schließt die Autorin ihre Analyse der "Heroen des modernen Lebens" mit zaghaften Verweisen auf die Gestaltung des "Wesenhaften" (198) bei de Fiori oder die 'Idee des Boxers als Kämpfer' (199) bei Belling.

Karin Rases Arbeit eröffnet vielfältige sozialgeschichtliche Perspektiven auf ein Thema, dessen Relevanz für die Kunstgeschichte darin besteht, die oftmals immer noch als autonom erachteten Darstellungsprinzipien der Moderne in ihrer bestimmenden Interaktion mit gesellschaftlichen Prozessen wahrzunehmen. Mit einem umfangreichen Materialkorpus kann sie zeigen, dass sich im Boxer ein Prinzip der gesellschaftlichen Moderne formiert, dass er an Prozessen bürgerlicher Emanzipation und Formierung der Großstadtkultur Anteil hat. Ihre motivgeschichtliche Analyse führt sie zum Boxer als "Self-Made-Man" in der Berliner Metropole, dessen Körper als Zeichen einer neuen Auffassung individueller Leistungsfähigkeit wahrgenommen wird. Damit kristallisiert die Autorin aus dem Material zur Boxgeschichte einen modernen Idealtypus heraus, dessen Präsenz in der künstlerischen Darstellung sie jedoch nur als "Reflex" werten kann. Veränderungen der Körper- und Figurenauffassung, die für die deutsche Kunst der 30er- und 40er-Jahre grundlegend werden, sind nicht Teil ihrer Analyse. Rases Thesen erweisen sich oft als vage Annäherungen, werden kaum aus der medienspezifischen Analyse der betrachteten Werke gewonnen. Bisweilen, wie in dem Kapitel zur Pressezeichnung, gelingen der Autorin aber auch Ansätze für überzeugende Bewertungen, doch bleibt es all zu oft beim unvermittelten Nebeneinander von Text und Bild.


Anmerkungen:

[1] Vgl. L. Jordanova: Sexual Visions. Images of Gender in Sciences and Medicine between the 18th and 20th Century. Madison 1989; R. van Dülmen: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder. 1500-2000. Wien, Köln, Weimar 1998; M. Möhring: Ideale Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich. (=Literatur, Kultur, Geschlecht. Studien zur Literatur und Kulturgeschichte. Kl. Reihe, 17). Köln, Weimar, Wien 2002.

[2] Vgl. R. W. Müller; G. Schäfer: »Klassische» Antike und Moderne Demokratie, Göttingen 1986; B. Bressa: Nach-Leben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NS-Skulptur Arno Brekers, Tübingen 2001; Dies.: Vom griechischen Athleten zum deutschen Kämpfer. Klassische Körperbilder des Sportlers in der Skulptur der Zwanziger bis Vierziger Jahre, in: Kunst Sport und Körper. Ge So Lei. 1926-2002, hg. v. H. Körner u. A. Stercken. Ostfildern 2002, 314-24.


Angela Stercken

zurück zu KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 12

Empfohlene Zitierweise:

Angela Stercken: Rezension von: Karin Rase: Kunst und Sport. Der Boxsport als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Mit einem Geleitwort von Jan Hoet, Bern / Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 12,

Rezension von:

Angela Stercken
Seminar für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle