Rezension

Friederike Weimar: Die Hamburgische Sezession 1919-1933. Geschichte und Künstlerlexikon, Fischerhude: Verlag Atelier im Bauernhaus 2003,
Buchcover von Die Hamburgische Sezession 1919-1933
rezensiert von Heiko Laß, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Hamburgs Künstler der Zwanzigerjahre sind mit Ausnahme Fritz Schumachers einem weiteren Kreis noch immer unbekannt. Dies liegt auch an einer unbefriedigenden Forschungslage. Obwohl bereits 1983 eine umfassende Darstellung des Hamburger Kulturlebens der Zwanzigerjahre eingefordert wurde [1], hat erst jetzt Friederike Weimar eine grundlegende Untersuchung über die Hamburgische Sezession vorgelegt, die eine empfindliche Lücke schließt. Da ursprünglich nur ein "Taschenbuch mit Kurztexten zum künstlerischen Werdegang" der Mitglieder geplant war (8), ist es umso erfreulicher, dass die Arbeit bedeutend erweitert wurde. Wie die Autorin richtig darlegt, prägte der Verband maßgebend das künstlerische Leben der Hansestadt in der Weimarer Republik. Dabei handelte es sich bei dieser Sezession nicht um die Abspaltung von einer etablierten Künstlergruppe, sondern um die bewusste Gründung einer Elitevereinigung aus Malern, Grafikern, Bildhauern und Architekten, die sich konsequent an der Avantgarde orientierte. Eine strenge und auf Qualität bedachte Jury begrenzte die Aufnahme neuer Mitglieder.

Es wird deutlich, dass deren künstlerische Variationsbreite jedoch vielfältig war und von impressionistischen und expressionistischen über kubistische bis hin zu neusachlichen Elementen reichte; Abstraktion und Realismus konnten nebeneinander bestehen. Auch in Hamburg ist aber die prinzipielle Entwicklung vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit festzustellen. Erst Ende der Zwanzigerjahre entwickelte sich bei einigen Künstlern der so genannte Sezessionsstil, dessen formale Eigen- und Gemeinsamkeiten jedoch in keiner Weise für die gesamte Gruppe verbindlich wurden.

Zwischen 1919 und 1933 umfasste die Sezession insgesamt 52 Künstler. Unter ihnen waren Friedrich Ahlers-Hestermann, Karl Ballmer, Otto Fischer-Trachau, Ivo Hauptmann, Richard Kuöhl, Rolf Nesch, Jakob Detlef Peters, Anita Rée und Karl Schneider. Doch schloss sich die Gruppe nicht ab, sondern ließ zu ihren Ausstellungen auch Kollegen zu oder zeigte Werke nationaler und internationaler Größen wie Baumeister, Braque, de Chirico, Ernst, Jawlensky, Kandinsky, Klee, Marc, Miró, Picasso, Radziwill oder Schmidt-Rottluff.

Wie Weimar ausführt, gehörten neben den regelmäßigen Ausstellungen der Sezessionisten auch Lesungen, Konzerte und Künstlerfeste zu den Aktivitäten der äußerst regen Gruppe. Zu den kunstpolitischen Aktivitäten zählten die erfolgreichen Bemühungen um ein Ausstellungsgebäude, die Vergabe von staatlichen Aufträgen an Künstler oder die Bereitstellung von Atelierräumen. Im Laufe der Zeit erlangte die Gruppe zunehmend Anerkennung und konnte zu Beginn der dreißiger Jahre als Mittelpunkt des Hamburger Kulturlebens gelten. 1933 schlossen die Nationalsozialisten die zwölfte Ausstellung der Hamburgischen Sezession. Sie wollte sich nicht bereit erklären, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen, sondern löste sich lieber selbst auf.

Friederike Weimar hat aus dem reichen Wirken der Gruppe mit Bedacht drei Aspekte ausgewählt, die auch für das Kulturleben Hamburgs wichtig waren und Auskunft über Entwicklung und Selbstverständnis der Künstler geben: Die Ausstellungen der Gruppe, die Akteure der zugehörigen Rahmenprogramme und die Künstlerfeste in Hamburg.

Gerade die Vorstellung der Ausstellungen und ihrer Kritiken macht das von Jaeger und Steckner [2] vor zwanzig Jahren zusammengetragene und seit langem vergriffene Material wieder zugänglich. Die Annäherung der Kritiker an die neue Kunst, die Erfolge der Künstler und ihr Durchbruch werden mittels der reichen Quellenzitate nachvollziehbar. Anhand der Rahmenprogramme kann die Autorin überzeugend den weit gespannten Anspruch der Hamburgischen Sezession auf kunstpolitischem Gebiet verdeutlichen und die Bandbreite ihrer kulturellen Aktivitäten in der Stadt aufzeigen, die von Dichterlesungen über Ausdruckstanz bis hin zu musikalischen Veranstaltungen reichte. Selbst Karl Kraus konnte für einen Vortrag gewonnen werden. So erhielt das Hamburger Publikum einen umfassenden Einblick in die aktuellen kulturellen Entwicklungen. Mit den Künstlerfesten schließlich führt Weimar einen in ihrer Ausprägung hamburgischen Sonderfall vor. Sie bezieht daher nicht nur die von der Sezession veranstalteten Zinnober-Feste mit ein, sondern auch die Hamburger Künstlerfeste. Plastisch werden die in der Faschingszeit stattfindenden und teilweise mehrtägigen Veranstaltungen vorgestellt. Auf ihnen kamen Künstler und Bürger zusammen, um unter einem bestimmten Motto ausgelassen zu feiern. Den dem Motto entsprechenden künstlerischen Ausgestaltungen der Räume und den Kostümen der Künstler kommt eine hohe Bedeutung zu, ebenso aber verschiedenen Darbietungen. So wurde 1933 unter dem Motto "Himmel auf Zeit" auch gegen den Nationalsozialismus polemisiert.

Etwas unzusammenhängend wirkt das Vorwort von Maike Bruhns, in dem Dinge angesprochen werden, die Weimar nicht behandelt, sodass sich der Eindruck aufdrängt, Bruhns habe den Band vorher nicht gelesen. Eine wichtige Ergänzung ist jedoch der ebenfalls von Bruhns stammende Beitrag zu den Künstlern der Sezession nach 1933, der das Fortleben der Gruppe und den Neubeginn nach 1945 thematisiert. Hier wäre überhaupt das einzige Manko des Bandes festzustellen, nämlich eine gewisse Zusammenhangslosigkeit der einzelnen Teile, der Rote Faden für den Unkundigen fehlt. Doch kann auf den kurzen Überblick von Ina Ewers-Schulz aus dem Vorjahr zurückgegriffen werden, der daher von Weimar nicht wiederholt werden musste [3]. Daher konzentriert sich die Autorin auf das Wesentliche. Alle Abschnitte sind zudem reich mit Bildern ausgestattet, die die Aussagen des Textes sinnvoll unterstützen.

Hauptleistung Weimars ist aber das anschließende und umfassende, 102-seitige Künstlerlexikon, in dem erstmals alle 52 Mitglieder mit ihrer Biografie und je einer ausgewählten Arbeit vorgestellt werden. Hinweise auf die Aufbewahrungs- bzw. Standorte von Werken und ein Bildnis des Künstlers kommen in der Marginalspalte hinzu. Hiermit ist ein unverzichtbares Stück Grundlagenforschung vorgelegt worden. In aufwändigster Arbeit muss die Autorin den Lebenswegen und Werken nachrecherchiert haben. Bedauerlicherweise wird für jeden Künstler in der Marginalspalte nur die wichtigste Literatur genannt, sodass die Leistung Weimars nur bedingt gewürdigt werden kann. Dies ist jedoch vermutlich ebenso wie die auf ein Minimum reduzierten Anmerkungen auf den Wunsch des Verlages zurückzuführen.

Diesem sind auch die einzigen wirklichen Mängel anzulasten: Während die Anmerkungen im Anhang von 1 bis 146 durchnummeriert sind, wurden sie in den Texten von Weimar und Bruhns nicht vereinheitlicht, sodass die Anmerkungen 1 bis 12 im Text von Bruhns den Anmerkungen 135 bis 146 im Anhang entsprechen. Die Schriftgröße in den Marginalien variiert je nach Raum und die Größe der Abbildungen entspricht nicht immer ihrer Bedeutung für den Text (etwa Klein Erna, 50). Doch sind dies Formalien, die dem Ertrag des wirklich sehr gelungenen Bandes keinen Abbruch tun. Für die wohl wichtigste norddeutsche Künstlergruppe der Weimarer Republik liegt endlich eine alle Künstler umfassende Forschungsarbeit vor.

Anmerkungen:

[1] Roland Jaeger und Cornelius Steckner: Zinnober. Kunstszene Hamburg 1913-1933. Hamburg 1983.

[2] Wie Anm. 1.

[3] Ina Ewers-Schulz: Die Hamburgische Sezession 1919-1933 und 1945-53: Hintergründe und Entstehung, Auflösung und Neubeginn. In: Die Kunstsammlung der Hamburger Sparkasse. Die Hamburgische Sezession. Präsentation des Bestandes und der Neuerwerbungen aus der Sammlung Hermann-Josef Bunte anlässlich des 175-jährigen Firmenjubiläums der Haspa. Ein Geschenk an die Hamburger. Hamburg 2002, 17-41.


Heiko Laß

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Empfohlene Zitierweise:

Heiko Laß: Rezension von: Friederike Weimar: Die Hamburgische Sezession 1919-1933. Geschichte und Künstlerlexikon, Fischerhude: Verlag Atelier im Bauernhaus 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 1,

Rezension von:

Heiko Laß
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Redaktionelle Betreuung:

Slavko Kacunko