Rezension

Paul-Georg Custodis / Barbara Friedhofen / Dietrich Schabow: Sayner Hütte. Architektur, Eisenguss, Arbeit und Leben, Koblenz: Görres-Druckerei 2002,
Buchcover von Sayner Hütte
rezensiert von Julia Benthien, Köln

Die Sayner Hütte, gelegen bei Koblenz im Bendorfer Stadtteil Sayn, gehörte im 19. Jahrhundert zusammen mit Berlin und Gleiwitz zu den staatlichen preußischen Eisenhütten. In dem von Custodis, Friedhofen und Schabow vorgelegten Buch wird nicht nur die Bedeutung der Sayner Hütte als wegweisend für die Industriearchitektur herausgestellt, sondern es werden auch die Erzeugnisse des Gebrauchs- und vor allem Kunstgusses gewürdigt.

Das reich illustrierte Buch gliedert sich in drei Abschnitte. Von Paul-Georg Custodis, Gebietsreferent am Landesdenkmalamt Rheinland-Pfalz, stammt der Abschnitt über Architektur und Bauentwicklung der Sayner Hütte. Barbara Friedhofen, Leiterin des Rheinischen Eisenkunstgussmuseums, stellt den Eisenguss der Hütte vor. Der dritte Abschnitt von Dietrich Schabow betrachtet Arbeit und Leben der Sayner Eisengießer, ausgehend von zeitgenössischen Studien.

Custodis' Ausführungen zur Bauentwicklung der Sayner Hütte beruhen auf der Dissertation von Kathrin Erggelet aus dem Jahr 1999, die anhand der erhaltenen Pläne und Archivalien die Planungsgeschichte rekonstruiert hat. Die 1770 gegründete Sayner Hütte ging 1815 in preußischen Staatsbesitz über. Ihre Bedeutung bekam sie durch die Festung Koblenz, für die sie Geschütze herstellte, aber auch Großaufträge übernahm, wie den Schienenfahrt genannten Schrägaufzug für Baumaterial vom Rheinufer zum Plateau der Festung Ehrenbreitstein. Ab 1817 wurde daneben der Eisenkunstguss aufgenommen. Die neuen Aufgaben der Hütte konnten nur durch die Erweiterung der Produktionsstätte erfüllt werden. Der vielseitig ausgebildete Carl Ludwig Althans übernahm ab 1818 die Leitung der kurz zuvor modernisierten Hütte und plante den Neubau von Gießhalle und Hochofen. Custodis zeichnet die Planungsstufen an Erggelet orientiert nach: Von der ersten, in Massivbauweise zu errichtenden Anlage, die wegen mangelnder Brandsicherheit von der Oberbaudeputation abgelehnt wurde, über die Zwischenstufen, die immer mehr Eisenbauteile, vor allem für die Dachkonstruktion vorsahen, bis zur vierten und letztlich ausgeführten Planung von 1826, die eine dreischiffige, basilikale Halle in tragender Gusseisenkonstruktion ergab.

Die Gießhalle wurde in den Jahren 1828-30 zunächst sechsjochig errichtet. Der auffällige, gläserne Westabschluss ist ein Ergebnis einer Planänderung von einer massiven Wand hin zu einer Glas- und Eisenkonstruktion. Anhand von Planzeichnungen erläutert Custodis die Funktion des Hochofens, dabei ist nicht immer ersichtlich, um welche Ausbaustufe der Hütte es sich handelt. Auch fallen manche Unstimmigkeiten in den Bau- und Planungsdaten auf. Ein Umbau 1844 verlängerte die Halle auf neun Joche, die Westwand wurde dabei neu montiert, der Hochofen entsprechend der neuesten Entwicklung umgerüstet. Damit war die Sayner Hütte einer der größten Gießereien im Rheinland und hatte gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Zenit erreicht. Custodis beschreibt die noch erhaltene Gießhalle und zeigt Althans' Planänderungen gegenüber den Entwürfen auf.

Die weitere Entwicklung der Hütte wird dargestellt: Die Privatisierung durch den Verkauf an Krupp 1865, der Abbau der gläsernen Westwand 1874 sowie die Schließung 1926. Ausführlich beschreibt Custodis den Kampf um den Erhalt der zwar als Baudenkmal erkannten, aber dennoch vom Abriss bedrohten Halle sowie die Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten in den 1970er- und 80er- Jahren. Dieser Abschnitt ist reich und anschaulich mit historischen und neueren Fotografien illustriert.

Nach der Lebensbeschreibung Carl Ludwig Althans' geht Custodis auf die Frage der Vorbilder für die Halle ein, die für ihn in den Details in der zeitgenössischen neugotischen Architektur liegen. Für den basilikalen Aufbau und den dreischiffigen Grundriss nimmt er als Vorbild den gotischen Kirchenbau an. Hier scheint Custodis Erggelets Ausführungen zur Herleitung des Grundrisses der Gießhalle aus der zeitgenössischen Hüttenarchitektur und der Funktion abzulehnen, da er den von Erggelet abgestrittenen Einfluss von Schinkels Getraudenkirchen-Entwurf wiederholt.

Leider fallen bei dem Artikel einige Schreibfehler in der Fachterminologie unangenehm ins Auge, ebenso wie uneinheitlich geschriebene Orts- und Personennamen. Hier wäre das Verlagslektorat gefordert gewesen.

Barbara Friedhofen beschäftigt sich mit der Produktion der Sayner Hütte im 19. Jahrhundert. Sie beginnt mit einer Einführung in die technischen Voraussetzungen zur Herstellung von Eisenfeinguss und schildert die Entwicklung in Deutschland, bei der die Gleiwitzer Hütte, wie Sayn eine der drei staatlichen preußischen Eisenhütten, maßgeblich beteiligt war. Die Sayner Hütte hatte zwar ihren Produktionsschwerpunkt auf technischem Eisenguss, begann jedoch ab 1818 ebenfalls mit dem Eisenkunstguss.

Friedhofen stellt die vier Modelleure der Sayner Hütte kurz vor, die vor allem durch den bedeutendsten Modelleur der Zeit, Leonhard Posch aus Berlin, beeinflusst waren. Die drei preußischen Staatsbetriebe tauschten ihre Modelle gegenseitig aus, so dass auch Posch-Modelle in Sayn eingesetzt und lange Jahre verwendet wurden.

Auskunft über die Produktion geben die drei erhaltenen "Musterbücher" genannten Produktionskataloge von 1823, um 1846 und um 1870, die Friedhofen hier im Faksimile erstmals komplett abdruckt. Das erste Musterbuch enthält neun Tafeln mit Großobjekten, das zweite zeigt auf 76 Abbildungen die unterschiedlichsten Produktgruppen wie Grabkreuze, Leuchter, Öfen, Möbel und Skulpturen. Das dritte Musterbuch, entstanden nach dem Übergang der Hütte an Krupp 1870, bringt auf 39 Tafeln Fotografien der wieder kleiner gewordenen Produktpalette.

Im Weiteren stellt Friedhofen die Eisengusserzeugnisse der Sayner Hütte vor. Dazu dienen ihr neben den Musterbüchern und erhaltenen Artefakten auch die gesondert gedruckten Preislisten. Ausführlich werden die Neujahrsplaketten gewürdigt, als Geschenke an Kunden und Geschäftsfreunde verteilte Reliefplatten mit vor allem mittelalterlichen Motiven aus dem Rheinland und Westfalen. Zur Produktionspalette gehörten Büsten und Statuetten, Gebrauchs- und Ziergegenstände wie Leuchter, Schreibzeug, Briefbeschwerer und andere für einen Salon der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts typische Ausstattungsgegenstände. Ab 1840 lag ein Schwerpunkt auf der Produktion von Grabkreuzen und Grabmälern. Für den Garten wurden Tische, Blumenbänke und Sitzmöbel hergestellt. Umfangreich abgebildet sind in den Musterbüchern Herde und Öfen, hergestellt wurden aber auch Kochgeschirre, Gewichte, Bügeleisen und ähnliche Haushaltsgegenstände. Der eigentliche Schwerpunkt der Sayner Hütte aber war der Bau- und später der Maschinenguss. So entstanden in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Architekten eiserne Wendeltreppen, Brunnen und Fenstergewände, aber auch Wasserrohre. Der Maschinenguss hielt erst nach der Übernahme durch Krupp ab 1870 Einzug. Für die preußischen Festungen wurden Geschütze gegossen, wenn auch nicht immer von ausreichender Qualität. Die Marine stornierte 1849 nach einem Unfall beim Probeschießen einen größeren Auftrag, die bereits fertig gestellten Geschütze wurden teilweise für ein Denkmal verwendet.

Friedhofen stellt in ihren hervorragend bebilderten Ausführungen die Eisenkunstguss-Produktion der Sayner Hütte ausführlich vor, unternimmt aber keine Auswertung. Diese hätte den Rahmen des Buchs gehörig gesprengt. So bietet der Aufsatz genügend Material und viele Hinweise zu einer vertieften Betrachtung des Eisenkunstgusses.

Dietrich Schabow nimmt sich in seinem Teil des Personals der Sayner Hütte an. Er wertet die groß angelegte Studie des französischen Sozialwissenschaftlers Frédéric Le Play über die europäischen Arbeiter aus. Dieser hatte 1851 das Leben einer Sayner Gießereiarbeiterfamilie beschrieben. Ausgehend von Le Plays Daten stellt Schabow diese fünfköpfige Familie vor, zählt ihre Einkünfte, Besitztümer und den Hausrat auf. Sogar der Speiseplan wird nicht vergessen. Leider rechnet Schabow die französischen Währungsangaben Le Plays in Mark-Angaben um. Das erschwert die Vergleichbarkeit mit anderen, auch im Artikel verwendeten, zeitgenössischen Quellen, war doch die Währung im Rheinland der Reichstaler. Schabow beschreibt die Freizeitmöglichkeiten der Arbeiter nach einem 12-Stunden-Tag, den Nebenerwerb durch die von den Frauen betriebene Landwirtschaft und reißt kurz die Arbeitsbedingungen an. Ausführlicher hätte man sich die Darstellungen der Geschehnisse 1848 gewünscht.

In einem weiteren Abschnitt schildert Schabow die Entwicklung und Ausstattung der Sayner Hütte und bringt eine Lohnliste der Belegschaft aus dem Jahr 1855. Zusammen mit den Preislisten in Friedhofens Artikel ergeben sich hier schöne Denkanstöße. Den Abschluss bilden Ausführungen zum Transportwesen der auf Rohstoffe angewiesenen Hütte. Dabei vermisst man eine Karte der Handelsbeziehungen.

Durch die gemeinsame Vorstellung von Produktionsstätte, Produkten und Produkteuren ist den Autoren ein interessantes Buch gelungen, das durch die erstmalige Veröffentlichung von Musterbüchern einer Eisengusshütte eine gute Handreiche zu weiteren Forschungen gibt.


Julia Benthien

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Empfohlene Zitierweise:

Julia Benthien: Rezension von: Paul-Georg Custodis / Barbara Friedhofen / Dietrich Schabow: Sayner Hütte. Architektur, Eisenguss, Arbeit und Leben, Koblenz: Görres-Druckerei 2002
in: KUNSTFORM 4 (2003), Nr. 12,

Rezension von:

Julia Benthien
Köln

Redaktionelle Betreuung:

Stefanie Lieb