Rezension

Barbara Gaehtgens: (Hg.) Genremalerei. , Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2002,
Buchcover von Genremalerei
rezensiert von Markus Dekiert, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

Mit dem von Barbara Gaehtgens vorgelegten Band zur Genremalerei findet die seit 1996 vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin herausgegebene Buchreihe "Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren" ihren Abschluss. Gemäß der von Thomas Gaehtgens 1996 formulierten Einsicht, dass "Kunstwerke nur in ihrem geschichtlichen Zusammenhang verstanden werden können", folgen bei entsprechender Aufgabenstellung alle fünf der Geschichte und der Theorie der akademischen Bildaufgaben - Historienmalerei, Porträt, Landschaftsmalerei, Genremalerei und Stillleben - gewidmeten Bände einem einheitlichen Entwurf: Auf einen mehr oder minder umfangreichen und thematisch differenzierten einleitenden Essay, der die Begriffsgeschichte, Theorie und Rezeption der jeweils verhandelten Bildgattung erörtert, folgt eine Textsammlung. Darin werden in Originalsprache und deutscher Übertragung Auszüge aus sehr unterschiedlichen Quellen - von der klassischen Antike bis in das späte 19. / frühe 20. Jahrhundert - versammelt, die - im besten Falle - das Denken der jeweiligen Zeitgenossen über die in Rede stehende Gattung offen legen. Die Textausschnitte werden dabei von Kommentaren begleitet, die in prägnanter, zuweilen notwendig verknappender Weise sowohl den geistesgeschichtlichen Hintergrund des jeweiligen Autors umreißen als auch den nicht selten komplexen Kontext des jeweiligen Quellenfragmentes andeuten sollen.

Der nun vorliegende Band zur Genremalerei ist mit über 500 Seiten der umfangreichste der Reihe; von Aristoteles' "Poetik" bis hin zu Max Liebermanns Aufsatz über den holländischen Malerkollegen Jozef Israels aus dem Jahr 1901 spannt sich der Bogen der insgesamt 50 Quellenexzerpte. Die Fülle der dargestellten Textauszüge erklärt sich fraglos aus dem von der Autorin bereits im Vorwort (11) herausgestellten Faktum, dass die Genremalerei im Gegensatz zu den übrigen Gattungen lange (und wohl bis zuletzt) "eine nur vage zu bestimmende Gattung" blieb, deren Aufgaben, Zielsetzungen, Grenzen und Beurteilung umstritten waren. Schon die Tatsache, dass sich eine die mannigfaltigen Erscheinungsformen der Gattung subsumierende Bezeichnung erst im 18. Jahrhundert (Denis Diderots "peinture de genre", 1766) auszuprägen vermochte, macht "den offensichtlichen Mangel an entsprechender Theorie" (11) im Grunde bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärlich. Dementsprechend vereint die Textsammlung Quellen höchst unterschiedlichen Charakters, die einmal unmittelbar dann wieder beiläufig Aufschlüsse über die zeitgenössische Vorstellung von dem, was Genremalerei sei, geben können.

Mehr noch als in den vorhergehenden Bänden liegt der Akzent auf der ausführlichen Kommentierung der einzelnen Texte. Hervorzuheben ist das Bemühen der Autorin, den roten Faden in dem von ihr komponierten Textkonvolut nicht aus den Augen zu verlieren. Einem Wegweiser gleich stellt sie der Textdokumentation zunächst eine knappe Einleitung voran, in der die für die Gattungstheorie entscheidenden Aspekte der grundlegenden Quellen dargelegt werden; hier ist ein Überblick über das Textmaterial und die Bezüge der einzelnen Texte zueinander zu gewinnen, der bei der fortlaufenden Lektüre der Einzeltexte und -kommentare verloren zu gehen droht. So ist diese knappe, vorweg gegebene Zusammenfassung dem Leser immer dann willkommen, will er sich - in Ergänzung zur Lektüre einer Einzelanalyse - des Ortes der jeweiligen Quelle im Gesamt der Textsammlung vergewissern. Der Band von Barbara Gaehtgens teilt mit jenem von Werner Busch zur Landschaftsmalerei (1997) den Vorteil, nur von einem Autor verantwortet zu sein (lediglich zwei Kommentare sind von Th. Gaehtgens verfasst). Deutlich merkt man den Kommentaren das Bemühen um ein "fortlaufendes Argument" (W. Busch), eine durchgeführte Grundkonzeption an. Von großem Vorteil sind die konkreten, an die einzelnen Texte gestellten Fragen im Kommentar, die zuweilen erst deutlich zu machen vermögen, warum ein bestimmter Text Aufnahme in den Band gefunden hat und was er zur Theorie der Gattung Genre beizutragen vermag (s. u.a. 57, 278, 331, 378, 387, 412, 419, 432, 454, 462, 472, 481).

Die Autorin vermag es, anhand der Auswahl der kommentierten Quellentexte eine Geschichte der Genretheorie von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert zu skizzieren. Dem offensichtlichen Mangel an Systematik innerhalb der über mehr als zwei Jahrtausende sich erstreckenden Diskussion über die Gattung Genre weiß Gaehtgens mit der extensiven Auswahl der Quellentexte und ihrer klugen Vernetzung in den Kommentaren eine Vielstimmigkeit gegenüberzustellen, die dem Leser gerade in der Zusammenschau des Disparaten und Heterogenen die Grundzüge einer Genretheorie vor Augen stellt: Von den die Topoi der Gattung (Bezug zur Komödie, Festlegung als "niedere Gattung", wirklichkeitstreue Darstellung etc.) festlegenden Autoren der Antike (Aristoteles, Horaz, Plinius) führt der Weg ins italienische 15. und 16. Jahrhundert, da im ausdrücklichen Rückgriff auf die antiken Quellen die "pitture ridicole" zum Gegenstand der Betrachtung werden: Etabliert Leonardo da Vinci um 1500 Satire und Karikatur als eine Spielart der viel später so benannten Genremalerei, so fordert der gegenreformatorisch gesinnte Kardinal Gabriele Paleotti in nachtridentinischer Zeit erstmals explizit die Verbindung komischer Themen mit einer moralisch-belehrenden Botschaft - ein zukunftsträchtiger Gedanke.

Mit wenigen Ausnahmen (Félibien, Pacheco, Bellori) beherrschen niederländische Autoren von Karel van Mander (1604) bis Arnold van Houbraken (1718/1720) die getroffene Auswahl für das 17. Jahrhundert: Naturnahe Wiedergabe, komischer Gegenstand und moralische Instruktion setzen sich als Leitmotive der Genremalerei endgültig durch. Auch deren Abwertung gegenüber der Historienmalerei im Rahmen der im 17. Jahrhundert in Paris etablierten und bis ins 19. Jahrhundert wirkmächtigen, akademischen Gattungshierarchie ist ein durchgehendes Thema der kommentierenden Darstellung. Zahlreiche Texte des 18. und 19. Jahrhunderts erklären sich ausschließlich im Bezug auf diese "klar verständliche künstlerische Ständeordnung" (28/29): Geht es etwa bei dem Niederländer Gérard de Lairesse (1707) um die Aufwertung der Genremalerei mittels Unterwerfung unter ein striktes klassizistisches Regelsystem, so im Falle William Hogarths um die Einrichtung einer neuen, "mittleren" Gattung zwischen Historie und niederer komischer Darstellung ("modern moral subjects"). Anhand der Texte des Malers selbst (1764), seines literarischen Kombattanten Henry Fielding (1742) und Georg Lichtenbergs (1794) ist dieser entscheidende Moment im Gattungsstreit zwischen Historien- und Genremalerei nachzuvollziehen. Zuvor hatte bereits die Aufnahme Antoine Watteaus als Maler von "Fêtes galantes" - auch dies eine neue, "gemischte" Gattung - an der Pariser Akademie im Jahre 1717 deutlich gemacht, dass die akademische Doktrin bereits wenige Jahrzehnte nach ihrer Etablierung Veränderungen hinnehmen musste. Dass die zunehmende Aufwertung und Hochschätzung der Genremalerei zunächst jedoch keinesfalls zwangsläufig zur Aufhebung der traditionellen Gattungshierarchie führt, zeigen beispielhaft die ausgewählten Texte Denis Diderots der 1760er Jahre.

Das 19. Jahrhundert schließlich sah neben der Erstarrung des akademisch-gattungshierarchischen Systems die Ausbildung der Kunstgeschichte als akademische Disziplin, mit der die Historisierung der Kunst und die Betonung des Eigenwertes der einzelnen Bildgattungen einhergingen. Im Reichtum der Quellentexte zwischen Hegel und Baudelaire wird eine letzte, facettenreiche Diskussion um Zielsetzung und Grenzen der Gattung(en) vor Augen gestellt, ehe die akademische Gattungsdiskussion um 1900 abbricht, da man Aufgabenstellung und Zielsetzung der Bildkunst unter gänzlich anderen Kriterien zu betrachten begann. Stellvertretend sind hier neben dem zentralen Text von Charles Baudelaire (1863), der die Aufgabe des (Genre-)Malers als "peintre de la vie moderne" neu definierte, auch die Auszüge aus den Briefen Wilhelm Leibls an seine Mutter (1876-1880) zu nennen, die die für die Malerei der Moderne so entscheidende Akzentverschiebung vom "Was" zum "Wie" in Schöpfung und Bewertung des Kunstwerkes exemplarisch erkennen lassen.

Abschließend darf als wesentliches Verdienst der fünfteiligen Buchreihe zur Geschichte der klassischen Bildgattungen festgehalten werden, dass sie dem Leser einen Anreiz zur Lektüre der hier in Ausschnitten dargebotenen Gesamttexte bietet und auf diese Weise den Zugang zu den Kunstwerken über zeitgenössische Urteile und Meinungen weist. Dass zudem das Augenmerk auch auf wenig bekannte, oftmals nicht in greifbaren Editionen vorliegende und gelegentlich nicht übersetzte Texte gelenkt wird, ist besonders hervorzuheben. Die ambitionierte Unternehmung des Berliner Kunsthistorischen Instituts darf als wichtig und überaus gelungen betrachtet werden - nicht zuletzt der Band von Barbara Gaehtgens sollte in jedem kunsthistorischen Handapparat vorhanden sein.


Markus Dekiert

zurück zu KUNSTFORM 4 (2003), Nr. 10

Empfohlene Zitierweise:

Markus Dekiert: Rezension von: Barbara Gaehtgens: (Hg.) Genremalerei. , Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2002
in: KUNSTFORM 4 (2003), Nr. 10,

Rezension von:

Markus Dekiert
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder