Rezension
Das Phänomen prononcierter Affektdarstellung in den Bildkünsten des Barock, vor allem in der Historienmalerei, evoziert mindestens drei Fragenkomplexe: Inwieweit kannten bildende Künstler theoretische Forderungen nach affektivem Ausdruck, und in welchem Umfang griffen sie diese in ihren Inventionen auf? Welche Bildmittel dienten dem angestrebten Ausdruck, welche Modelle aus der älteren Ikonographie fanden dafür Verwendung? Inwieweit stimmte die Intention der Künstler oder ihrer Auftraggeber mit der Rezeption ihrer Werke überein; trat die möglicherweise angestrebte psychagogische Wirkung auf, wurden die Bilder damit ihrer (zu definierenden) Funktion gerecht?
Die kunsthistorische Forschung hat sich einzelner Aspekte dieser Fragen theoretisch und praktisch angenommen, jedoch fehlt nach wie vor ein Kompendium zur Affektdarstellung des Barock, das Theorie und Praxisbeispiele vereint. Auch der vorliegende Band, Ertrag eines Kölner Symposions aus dem Jahr 1999, kann und will keinen solchen Anspruch erheben; er enthält sechs Aufsätze, die am Beispiel einzelner Werke von Peter Paul Rubens neue Fassetten zur Kunstgeschichte der Affekte oder zur Geschichte des Künstlers beitragen. Ein gemeinsames Literaturverzeichnis, gestreute Schwarzweißabbildungen und ein Farbtafelteil am Ende ergänzen die Texte.
Der erste Beitrag von Arnout Balis skizziert mit schlüssigen Argumenten die Überlieferungsgeschichte und die bis zu einem gewissen Grad mögliche Rekonstruktion des "theoretischen Studienbuches" von Rubens. Ein originales Einzelblatt aus der verlorenen Handschrift, drei illustrierte Teilkopien (Ms. Johnson, Ms. de Ganay, Chatsworth Ms.) und beschreibende Aussagen in barocken Quellen lassen die Bedeutung erahnen, die das Buch für Rubens' Typenvorrat besessen haben muss: Es enthielt, wie Balis erläutert, auf mindestens 240 Seiten Texte und Zeichnungen zu anatomischen, anthropologischen und antiquarischen Aspekten der Figurendarstellung. Die Frage, wie eng sich die Kopisten an das ihnen (unabhängig) vorliegende Original hielten, ist offenbar unterschiedlich zu beantworten: Während der Kopist des Ms. Johnson so penibel arbeitete, dass er sogar die Verteilung von Bild und Text auf einer Seite des Originalmanuskripts respektierte, wie ein Vergleich mit eben dieser Seite zeigt (Abbildung 5f.), verzichtete der Kopist des Chatsworth Ms. weitgehend auf die begleitenden Texte; stattdessen gab er die größte Anzahl von Zeichnungen wieder. Balis hält es für vertretbar, diese in die anderen Abschriften zu interpolieren. Sicherheit über die Herkunft der Vorlagen besteht aber nur dort, wo die gleichen Zeichnungen von allen drei Kopisten wiedergegeben wurden (Abbildungen 9-11). Zum Aspekt von Rubens' Affektdarstellungen trägt das Studienbuch im jetzigen Stand der Rekonstruktion weniger bei, als es vielleicht ursprünglich der Fall war: Zwar sind unter den Modellen Pathosfiguren, aber die erhaltenen Texte lassen Pietro Belloris und Roger de Piles' Angaben über den kunsttheoretischen Gehalt des Buches, gerade im Hinblick auf die Darstellung der "principali affetti cavati da descrizzioni de' poeti" (Bellori), offenbar nicht mehr verifizieren.
Der folgende Beitrag von Wolfgang Brassat berührt alle drei oben skizzierten Fragenkomplexe, vor allem aber die philosophischen Grundlagen rhetorischer Traktate und Dichtungslehren, die seit der Renaissance die Wertigkeit der Affekte diskutierten. Brassat geht vom antiken Begriff der "Katharsis" aus, der vor allem im aufgeklärten 18. Jahrhundert wieder an Bedeutung gewann, als die Reinigung der Affekte durch "Furcht und Mitleid" (Lessing) an die Stelle christlicher Umkehr durch "compassio" und Reue getreten war. Naheliegenderweise leitet der Verfasser die Reihe seiner Beispiele deshalb mit einem Gemälde über eine antike Historie ein, dem "Tod des Decius Mus" (Vaduz). Dieser Entwurf für einen Wirkteppich, der Teil einer in Genua bestellten Serie war, wird aus seinem szenischen Kontext gelöst und unter Rückbezug auf Jacob Burckhardt als Einzelbild analysiert. Worin die Katharsis bei Betrachtern der Teppichserie führen sollte - möglicherweise zu einer Mehrung von deren virtus im Sinne der römischen Bürgertugenden - wird, anders als bei einem der folgenden Beispiele, der Münchner "Nilpferdjagd", nicht definiert.
An zwei religiösen Historienbildern, dem "Kindermord" (München), den der Verfasser unter den Aspekten "Verknüpfung" und "Lösung" als aristotelische Bilderzählung liest, und der für die Genter Jesuitenkirche geschaffenen "Marter des hl. Livinus" (Brüssel) diagnostiziert Brassat das "Prinzip des stoischen Kontrapostes" (Manfred Fuhrmann). Das Nebeneinander eines grausam geschilderten Martyriums im Diesseits und jenseitiger Heilsverheißung in Form der Engelsglorie, also eine gegensätzliche Anwendung von Affekten, scheint damit griffig auf den Punkt gebracht. Ob ein so benanntes Prinzip allerdings das zentrale Anliegen des Malers und seiner Auftraggeber wiedergibt, bleibt fraglich.
Ulrich Heinen liefert anschließend einen überzeugenden Beitrag zu den speziellen malerischen Mitteln, die Rubens für die Charakterisierung menschlicher Körper einsetzte, um deren Veränderungen durch Affekte und äußere Einwirkung naturgetreu zu schildern. Dezidierter als bisher geschehen, lässt sich Heinen auf Rubens' Maltechnik ein und erläutert die Wirkung des wechselnden Aufbaus der Farbschichten im Verein mit dem ikonographischen Bestand. Technologischer und ikonographischer Befund verschmelzen zu einer "Malphysiologie" (71), die Rubens' mimetische Arbeitsweise prozesshaft begreifen lässt. Heinen ergänzt seine Beobachtungen an Originalen durch größtenteils nicht neu gefundene, aber sinnvoll eingesetzte Zitate aus philosophischen, kunsttheoretischen und naturwissenschaftlichen Schriften, die Rubens nachweislich gekannt hat oder mit hoher Wahrscheinlichkeit für seine Darstellungen affektgeladener Körperlichkeit benutzt haben kann. Dabei entsteht das Bild eines Malers, der sich über viele Gebiete, aber gerade über die jüngsten Errungenschaften der Naturwissenschaften und der Medizin informierte und Erkenntnisse dieser Disziplinen auf seine Kunst anzuwenden verstand. Die zu Recht stets bewunderten, scheinbar spontanen Affektdarstellungen Rubens' lassen sich damit zumindest teilweise auf intensive, nüchterne Naturstudien zurückführen.
Eine andere Quelle von Rubens' Interesse an Affektfiguren eröffnet Hans Ost in einer fachübergreifenden Studie: Er beschreibt zunächst den kulturellen Umbruch am Mantuaner Hof unter Vincenzo Gonzaga, für den der junge Rubens im Jahr 1600 als Porträtmaler engagiert wurde. Rubens traf hier auf den Hofkomponisten Claudio Monteverdi - und dies war eine, wie Ost meint, folgenreiche Begegnung. Monteverdis Kompositionen und seine rhetorisch geprägte Musiktheorie zielten darauf ab, menschliche Gemütsbewegungen musikalisch zu interpretieren. Den Affekten Zorn, Mäßigung und Demut sollten die Genera des "concitato", "temperato" und "molle" entsprechen, wobei Monteverdi dem erregten "concitato" besonderen Wert in Bezug auf seine Wirkung beimaß. Zweifellos sind Rubens diese Aspekte der neuen Musik nicht unbekannt geblieben, zumal sie von den Zeitgenossen heftig diskutiert wurden.
Darüber hinaus scheint Rubens auch selbst für das Mantuaner Hoftheater aktiv geworden zu sein. Wie Ost über eine sorgfältig aufgebaute Argumentation schlüssig werden lässt, kann Rubens' großformatige "Götterversammlung" (Prag) ursprünglich das Mittelstück eines Theatervorhangs für eine "angusta scena" in Mantua gewesen sein. Vorzustellen wäre ein Vorhang vom Typ des antiken Auläums, das heißt eine abzusenkende Leinwand, deren Technik Tizian bereits 1534 zur Alltagsverkleidung des silbernen Paliotto von San Salvatore in Venedig angewandt hatte. Über die Mechanik versenkbarer Bilder assoziiert Ost die Wechselbilder, die bis ins 18. Jahrhundert vor allem (aber nicht nur) Altarretabel in Jesuitenkirchen bereicherten. Diese Möglichkeit einer affektiv wirksamen Ausstattung des Chorraums scheint Rubens nach Antwerpen importiert zu haben, wo er zwischen 1618 und 1619 die beiden riesigen Altarblätter mit den Wundertaten der Heiligen Ignatius und Franz Xaver (Wien) als Wechselbilder (?) für den Hochaltar der Jesuitenkirche schuf. Es spricht also manches dafür, dass die Mantuaner Frühzeit prägend für Rubens' theatralische und affektive Inventionen gewesen ist.
Hans-Joachim Raupp untersucht in seinem Beitrag "Rubens und das Pathos der Landschaft" die scheinbar am weitesten vom Thema des Sammelbandes entfernte Bildgattung. Eine Beziehung zu den passioni ist jedoch dort gegeben, wo spezifisch gestaltete Landschaften Empfindungen im Betrachter wecken sollten (Leonardo) oder Landschaftsmotive anthropomorphe Qualität erhielten (Vergil). Dass die Wirkung und damit die Interpretation von Rubens' Landschaftsbildern zeittypischen Wandlungen unterlag, belegt Raupp anhand eines knappen Abrisses der Ansätze vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Abweichend von den bisherigen Interpreten schlägt Raupp vor, die Stimmungen der Landschaftsbilder nicht psychologisch zu deuten, sondern sie auf literarische Vorlagen zurückzuführen, etwa auf Vergils Georgica oder die Eikones des Philostrat. Die scheinbar empfindsam komponierten Gemälde wären danach vor allem ins Medium der Malerei transferierte Bilderzählungen.
Rubens' Interesse an atmosphärischen Ereignissen führt Raupp hingegen auf die bezeugte Seneca-Verehrung des Malers zurück: Der Philosoph, der durch seine Naturales Quaestiones die Unwissenheit der Menschen, Hauptquelle der Furcht, beseitigen wollte, kann das Vorbild eines Malers gebildet haben, dessen Bilder nach Raupp als remedium gegen zerstörerische Leidenschaften in der Seele des Betrachters wirken sollten. Wenn dieser Schluss zutrifft, hätte Rubens seinen (ohne Auftrag entstandenen) Landschaftsbildern unter anderem eine psychagogische Funktion zugedacht.
Der abschließende Beitrag von Simon A. Vosters interpretiert ein verlorenes Staatsporträt des Meisters, das 1734 verbrannte Reiterbildnis Philipps IV., mithilfe unterschiedlicher Methoden: Von antiken Quellen ausgehend, skizziert Vosters knapp die Entwicklung des allegorischen Verständnisses von Pferd und Reiter bis zu Beispielen aus der Emblematik, in der das Verhältnis von Tier und Mensch moralisch oder politisch gedeutet wurde. Die Reiterbildnisse spanischer Herrscher gewannen von hier aus eine Qualität, die über die pathetische Repräsentation des Fürsten hinausging.
Einen Eindruck von dem verlorenen Werk Rubens' geben eine Juan Bautista del Mazo zugeschriebene Kopie (Florenz) und ein seitenverkehrter Nachstich von Cosimo Mogalli. Die motivisch, allerdings nicht im Bildausschnitt übereinstimmenden Kopien zeigen den berittenen König als Defensor fidei, dem Zelus ("furor divino" bei López de Zárate) mit dem Blitzbündel voranfliegt und dem Fides mit dem Kreuz auf dem Globus den Siegerkranz reicht. Da die Erdkugel auf Schulterhöhe Philipps schwebt, versteht Vosters diesen als "neuen Atlas". Auch wenn der Verweis auf den Herakles und Atlas-Mythos gerade in der Habsburger-Ikonographie häufig ist, scheint die aufrechte Haltung des Herrschers jedoch dieser Deutung zu widersprechen; die Putti, die den Globus tragen, könnten allenfalls gerade im Begriff sein, Philipp die Last der Welt auf die Schultern zu legen - Rubens hätte dem König damit einen Zuwachs an Macht prognostiziert.
Dass zeitgenössische Poeten den staatspolitischen Gehalt von Rubens' Porträt Philipps IV. empfanden und zu loben wussten (anscheinend jedoch nicht auf Atlas oder Herakles verwiesen), geht aus drei knapp zitierten Ekphrasen des Bildes hervor. López de Zárate vergleicht das Pferd etwa mit dem Lehnsmann, der seine Affekte "glücklich in untertänigem Gehorsam" dem Zügel des Herrschers überlässt. Das gehorsam die Levade vollführende Ross und der fähige Reiter bilden in dieser Sichtweise ein Exemplum virtutis des barocken Staatsapparats.
Die methodisch und in ihren Erkenntniszielen stark differierenden Beiträge geben Teilantworten auf den eingangs skizzierten Fragenkomplex. Der Band ist damit als sinnvoller Schritt auf dem Weg zu einer kunsthistorischen Affektenlehre zu werten.
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