Rezension
Wer kennt es nicht, das ungute Gefühl der Enttäuschung, von dem man oft ergriffen wird, nachdem man endlich ein vom Titel her verlockend klingendes Buch in den Händen hält und feststellen muss, dass es den eigenen Erwartungen nicht im geringsten entspricht? Eine pompöse editoriale und sprachliche Aufmachung, die sich nur allzu bald als hohle Fassade entlarvt? Eine aufsehenerregende Verlagsankündingung und ein wichtigtuerisches Gebahren der Autorin oder des Autors, die sich recht rapide als Kompensation fehlender Kompetenz oder mangelnden Innovationsgeistes entpuppen?
Wer für alles dieses ein wirksames Gegengift sucht, sollte Die Medaillen der Hohenzollern in Franken von Dieter Fischer und Hermann Maué konsultieren. In noblem und vielleicht übertriebenem understatement bezeichnet es sich als Inventar der Medaillen der Markgrafen von Brandenburg und ihrer Familien vom beginnenden 16. Jahrhundert bis hin zum Ende der Hohenzollernherrschaft in Franken, die sich mit der geopolitischen Neuordnung des deutschsprachigen Raumes zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzieht. Damit wäre eigentlich ein enger lokalhistorischer Rahmen gesetzt und das Buch würde in ihm, aber lediglich in ihm, eine raison d’être finden.
In Wahrheit aber begleitet dieses Buch wie eine historica metallica, eine visuelle und epigraphische Chronik, den Aufstieg der Hohenzollern zu einer der politisch führenden Familien des deutschen Sprachraumes, ein Aufstieg, der sich auch in einer europaweiten dynastischen Verflechtung manifestiert. Gleichzeitig und häufig bedingt durch die wechselnde geographische Verortung der Familienmitglieder zeichnet die Medaillenproduktion für die Markgrafen von Brandenburg ein künstlerisches Potential auf höchstem Niveau aus, das sich im internationalen Vergleich durchaus behaupten kann, behaupten sollte und Eingang in die Sammlungen aller Welt gefunden hat, wie der akribisch recherchierte Katalog eindrucksvoll vor Augen führt.
Dies ist nicht zuletzt der engen, obgleich nicht ausschließlichen, Bindung dieser künstlerischen Produktion an die den fränkischen Besitzungen der Hohenzollern nahegelegene Reichsstadt Nürnberg zu verdanken, die im betreffenden Zeitraum als eines der großen Zentren der künstlerischen Metallverarbeitung der Welt gelten darf. Somit leistet das Germanische Nationalmuseum, der Träger der Publikation, einen weiteren fundamentalen wissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung und zur Analyse der Stadt, in der es angesiedelt ist, und stärkt damit das Bewußtsein für das künstlerische Potential und die kulturelle, europaweite Bedeutung und Vernetzung der Region in einer geradezu vorbildlichen Weise. Sie könnte anderen Institutionen durchaus als Beispiel dienen und sie demonstriert, dass die Erforschung der kreativen Bedeutung eines Ortes keinesfalls in Provinzialität ausarten muss.
Dies zeigt sich auch im Niveau der wissenschaftlichen Bearbeitung, der graphischen und visuellen Gestaltung des Textes sowie den bestechend klaren Abbildungen, die jeweils ein klar identifiziertes Exemplar aller besprochenen Medaillen auch illustrieren, eine Tatsache, die, wie der gänzlich verunglückte Katalog der italienischen Medaillen des Berliner Münzkabinetts zeigt, leider immer noch keine Selbstverständlichkeit darstellt. Die extreme Benutzerfreundlichkeit des Buches wird weiterhin geradezu vorbildlich durch den großen Reichtum an Registern verstärkt, die sogar eine Verwendung des Buches als Nachschlagewerk ermöglichen. Es besitzt so ein alphabetisch geordnetes Register der Devisen, Sinnsprüche und Inschriften, deren literarische Provenienz erfreulicherweise gleich mitgegeben ist, einen Orts- und Namensindex, Hinweise zu Auktionsvorkommen, ein hervorragendes Literaturverzeichnis, einen Standortnachweis der abgebildeten Stücke, ein Verzeichnis der Prägestempel und Kurzbiographien aller erwähnter Medaillenkünstler. Sie kompensieren in ausgezeichneter Weise die generelle, überwiegend historische und an die Familienmitglieder gebundene Präsentation der Kunstwerke, die gleichfalls um Lebensbilder der Dargestellten bereichert ist und auch in dieser Form als genealogische Enzyklopädie fungieren kann, das durch übersichtliche Stammbäume noch ergänzt wird. Als einziges Manko darf das Fehlen einer modernen Standards entsprechenden Landkarte kritisiert werden. Gerade die überragende Qualitätdes Buches lässt hoffen, dass es von zahlreichen Lesern rezipiert werden wird, die keine klare Vorstellung davon haben, wo die entsprechenden Ortschaften genau zu finden sind, und sich einen raschen überblick der jeweiligen Liegenschaft verschaffen wollen. Dies wird durch die Illustration einer unübersichtlichen historischen Landkarte des fränkischen Raumes auf den Umschlaginnenseiten zwar leicht gemildert, aber nicht behoben.
Von dieser Ausnahme abgesehen, erschließen alle obengenannten Faktoren das Buch und das Thema vorbildlich weitesten Interessengruppen, deren jeweilig spezifische Anliegen hervorragend bedient werden. Dies spricht für das große Einfühlungsvermögen der Autoren in die Benutzer. Die intellektuelle Sensibilität der wissenschaftlichen Bearbeitung äußert sich jedoch nicht nur in der bestechenden Präsentation des Materiales, sondern auch in dessen intellektueller Durchdringung und in methodischer öffnung in die großen allgemeinen Themen der Kulturwissenschaft. So wird gleich mehrfach das Thema der persönlichen Vernetzung als Möglichkeit des kulturellen Austausches betont, was eine besonders anregende Dimension bei der Behandlung der Hochzeitsmedaillen findet (p. 9): Wie im Buch nachzulesen, beschäftigte beispielsweise Herzog Albrecht von Preußen den wohl in Nürnberg ausgebildeten Kölner Medailleur Jakob Binck an seinem Königsberger Hof, der aus dem Dienst des dänischen König Christian III. stammt und Albrecht durch seine dänische Gattin, die Prinzessin Dorothea, vermittelt worden war (p. 9). Eine detaillierte Analyse dieses weiblichen Mäzenatentums in Bezug auf Medailleure und das Moment der dynastischen Hochzeit als kulturelle Begegnung wäre nicht nur zeitgemäß, sondern sicherlich auch eine fruchtbare Studie erfolgreicher internationaler Beziehungen. Eine andere, durch das Buch nahegelegte Perspektive der Forschung eröffnet sich im Bereich der Text-Bild-Beziehung und der Ikonographie, für die das Beziehungsgeflecht zwischen der Medaille, der Imprese und dem Emblem eine große Herausforderung darstellt, die in der Einleitung des Buches in besonders anregender und pointierter Form vorbereitet ist (besonders pp. 11- 16). Für die spezifisch kunsthistorische Auseinandersetzung mit dem Werkprozess des Medailleurs hingegen dürfte es sich als besonders glücklich herausstellen, dass dieser umfassende Katalog nicht nur Medaillen, sondern auch deren verschiedenartige Modelle in allen Materialen anbietet. Nicht lokalisierbare, aber graphisch überlieferte Stücke sind gleichfalls abgebildet.
Damit erfüllt dieses Buch mit ausgezeichneter Sensibilität und Kompetenz sowie größtem Engagement alle Erwartungen, die an einen Bestandskatalog gestellt werden können, weist aber zugleich durch die geistige Durchdringung des Gegenstandes weit über einen solchen hinaus. Es ist somit als Standardwerk jeder kunstwissenschaftlichen und historischen Bibliothek zu empfehlen und stellt einen Meilenstein in der Erforschung der Hohenzollern und ihrer bildlichen Selbstdarstellung dar. Einen stimulierenderen Beitrag zum Preussenjahr hätte man sich schwerlich wünschen können.
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