Rezension
Der sechste Band der Reihe "Der Riss im Himmel", die zu der gleichnamigen Ausstellung zu Clemens August (1700–1761) in Schloss Augustusburg in Brühl erscheint, gilt bildender Kunst, Architektur und Hofzeremoniell im Rheinland des 17. und vor allem 18. Jahrhunderts. Zusammengehalten werden die Beiträge durch den Titel, der "das Ideal der Schönheit" zum leitenden Prinzip der rheinischen Hofhaltung der Epoche erklärt. Der Hof Clemens Augusts steht dabei im Mittelpunkt.
Wie die Majestät des barocken Fürsten erst durch den Hofstaat sichtbar wird, so lässt der erste Beitrag die Bedeutung der kurkölnischen Residenzschlösser erahnen, indem er einen überblick über die Bauten des kurkölnischen Adels bietet. Kristina Benedix beschreibt hier "Barocke Adelssitze im Umfeld der Bonner Residenz". Meist sind es wohl die kurfürstlichen Hofarchitekten, die bei diesen Bauten die Prinzipien der französischen Maison de plaisance in feinen Nuancierungen einsetzen und so die am kurkölnischen Hof gepflegte soziale Distinktion in all ihren Verästelungen ablesbar machen. Während allerdings in der kurfürstlichen Sommerresidenz Schloss Augustenburg der Wehrcharakter mit der Niederlegung der Türme 1735 zugunsten eines ganz französischen Konzepts verschwindet, behalten die ebenfalls über alten Adelssitzen errichteten Schlösser und Herrenhäuser des Hofadels wehrtechnisch obsolet gewordene Formen wie Wassergräben, Zugbrücken und Türme bei. Selbst Kuriositäten wie etwa einen Haupteingang, der in den Keller führt (Schloss Lüftelberg) nimmt der rheinische Alt- und Neuadel in Kauf, um altehrwürdige Bausubstanz zu erhalten. Gerade dies demonstriert offensichtlich die Kontinuität der mit dem jeweiligen Vorgängerbau verbundenen Herrschaft, die Zugehörigkeit zur rheinischen Ritterschaft und die relative Selbstständigkeit gegenüber dem Landesherrn.
Als ausgewiesener Experte für Architektur und Hofkunst der Kölner Kurfürsten widmet sich Wilfried Hansmann den "Gärten des Barock und Rokoko im Umkreis der Bonner Residenz". Neben den – entsprechend familiären und politischen Allianzen – ganz an französischen und bayerischen Vorbildern orientierten kurfürstlichen Gartenprojekten gibt Hansmann einen überblick auch über die Gärten der in Bonn und Umgebung gelegenen Adelssitze. Hier beeindruckt besonders der vor 1700 angelegte Garten von Schloss Gracht, der mit seiner Kombination von Zier- und Nutzgarten noch der niederländischen Gartenarchitektur folgt. Auch die chinoisen Gartengestaltungen unter Clemens August bringt Hansmann zur Sprache und rundet seinen Beitrag mit einem Hinweis auf die Regelung des öffentlichen Zugangs zu den kurfürstlichen Gärten ab.
"Bauliche Zeugnisse des Rückzugs und der Weltflucht im Rheinland des 18. Jahrhunderts" stellt Holger Kempkes zusammen. Mit der Schilderung der vielfältigen Land-, Lust- und Jagdschlösser sowie der Kapellen und der Eremitage führt er die exquisite Spaßkultur, die insbesondere den Hof Clemens Augusts schon im Urteil der Zeitgenossen prägte, an ihre historischen Orte.
Hierauf folgt Ulrika Kiby: "Exotismus – Die Faszination fremder Welten". Recht breit referiert sie zunächst zu den europäischen Exotismen der Frühen Neuzeit (Chinamode, Orientalismus). Die Verwendung von Porzellan als Element des Raumdekors führt sie hier erstmals auf die ca. 1680–87 angelegte Porzellankammer des Königspalastes im portugiesischen Santos zurück. Anschließend stellt sie ausführlich die exotistischen Projekte am Hofe Clemens Augusts dar, die sie von der französischen Hofmode und deren Rezeption in dessen bayerischem Stammhaus inspiriert sieht.
Anhand einer gründlichen Revision der älteren Forschung beschreibt Martin Stumpf "Das Sommerappartement von Schloss Augustusburg in Brühl", seine Raumfolge, Ausstattung, Bau- und Restaurierungsgeschichte. Clemens Augusts wichtigstes Bauprojekt lässt sich am besten als "Lustschloss-Residenz" (Hansmann) kennzeichnen. Anders als in den ikonographisch stets konventionell bleibenden Ausstattungen der Profanbauten kann Stumpf für die Heilig-Geist-Kapelle in der Südwestecke des Sommerappartements mit dem Hinweis auf "die Erscheinung des Heiligen Geistes, wie ihn die selige Crescentia Höß († 1744) in einer Vision sah", ein durchdachtes, originelles Bildprogramm aufzeigen.
Solch konzeptionelle Tiefe zeigt Gisbert Knoop auch für "Die Heilige Stiege und die Wallfahrtskirche auf dem Kreuzberg in Bonn – Zeugnisse barocker Volksfrömmigkeit und fürstlicher Prachtliebe". Anschließend an eine ältere Wallfahrtskirche erfindet Balthasar Neumann hier im Auftrag Clemens Augusts eine raffinierte architektonische Inszenierung, in der er den Besucher Menschwerdung und Passion Christi miterleben lässt. Eine Restaurierungsgeschichte und gründliche Recherchen zu den an der Ausmalung beteiligten Malern runden den Beitrag ab.
Ein weiteres originelles Sakralwerk Balthasar Neumanns untersucht Claudia Teichner: "Der barocke Hochaltar der Brühler Schlosskirche und typologische Vorläufer". Auf der Basis einer ausführlichen Beschreibung von Architektur und figürlicher Ausstattung dieser höchst artifiziellen Fügung zeigt sie durch Vergleich mit anderen Hochaltären Neumanns und der Vorläufer des 16. und 17. Jahrhunderts die gestalterische und konzeptionelle Reife des Bonner Werks.
Uta Scholten analysiert "Kult als Kommunikationsmittel – Sakrale Inszenierung im Rheinland des 17. und 18. Jahrhunderts". Sie erkennt die Verwandtschaft der sakralen Vergegenwärtigungsstrategien der noch im 17. Jahrhundert entstandenen Kapelle Klein Jerusalem bei Willich-Neersen mit der Heiligen Stiege in Bonn, zeigt, wie die Visualisierung der Realpräsenz der Eucharistie auch im Rheinland die barocke Hochaltararchitektur prägt, und macht deutlich, dass im Gegensatz zur pessimistischen Anthropologie des Protestantismus die katholische Barockliturgie den Glauben sinnlich erfahrbar machte und die Gläubigen zu öffentlich aktiven Gliedern der kirchlichen Gemeinschaft machte.
Während die rheinische Kunst ansonsten ganz von Frankreich und Bayern geprägt ist, dominieren in der Kölnischen Bildhauerei Südniederländer die Szene. "Flämische Bildhauer in Köln – Die stilistische Entwicklung der Kölner Skulptur vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis in die ersten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts" rekonstruiert aus gründlicher Kenntnis der Originale Silke Eberhardt.
Minutiös zeigen Guido von Büren und Edmund Spohr auf, wie "Die Festungsanlagen von Düsseldorf und Jülich in kurpfälzischer Zeit" laufend dem Wandel der waffentechnischen und strategischen Bedingungen angepasst werden. Der knappe Hinweis darauf, dass Festungsarchitektur bei allem Pragmatismus auch ästhetischen Prinzipien folgt, verbindet diesen Beitrag allerdings nur lose mit dem "Ideal der Schönheit", dem Thema des Sammelbandes.
Sowohl der Kölner Kurfürst Clemens August als auch der in Düsseldorf residierende Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg sammelten Kunst. Sabine Wulff führt die komplexe Sammlungsgeschichte vor und ordnet die beiden ganz unterschiedlichen Sammeltätigkeiten in einem klugen Vergleich "Zwischen Politik und Plaisir. Zwei kurfürstliche Kunstsammlungen im Rheinland". Johann Wilhelm trug in Düsseldorf eine Sammlung von europäischem Rang zusammen und präsentierte ihren wichtigsten Teil einschließlich Kleinplastiken, Antiken und Antikenkopien in einem der ersten selbstständigen Galeriegebäude (1714). Für die katholisch motivierte und zugleich kunstwissenschaftlich stringente Konzeption von Sammlung und argumentierender Hängung kann Wulff den kunstsinnigen Jesuitenpater Ferdinand Orban, Beichtvater des Kurfürsten, als maßgeblichen Berater wahrscheinlich machen. Im Kontrast zu der Düsseldorfer Sammlung macht eine Rekonstruktion der Kunstsammlung des Kölner Kurfürsten Clemens August deren inhaltliche und – abgesehen von der Porzellansammlung – qualitative Marginalität überdeutlich.
Barbara Hausmanns gibt einen zusammenfassenden überblick zu Bau- und Sammeltätigkeit Clemens Augusts "Von Schloss Augustusburg zu Schloss Herzogenfreude: Die rheinischen Schlösser und Sammlungen des Clemens August", den man als Einstiegslektüre vor den anderen Artikeln lesen sollte.
Die erste Gesamtdarstellung der Clemens August-Bildnisse bietet Martin Mierschs Artikel "Kurfürstliche Selbstdarstellung und kurfürstliche Propaganda – Porträts", der auch vier Porträtzeichnungen aus dem Zentralarchiv des Deutschen Ordens erstmals publiziert. Detailliert weist Miersch nach, wie die Porträts die je aktuellen dynastischen, klerikalen, militärischen und machtpolitischen Interessen Clemens Augusts berücksichtigen und rekonstruiert den jeweiligen Verwendungszusammenhang.
Carsten Felgner widmet sich einer in ihrer Bedeutung für die höfische Repäsentation oft unterschätzten Bildgattung: "Das Ereignisbild in Kurköln im 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Hofmalers Rousseau". Leider schickt Felgner seiner soliden Materialdarbietung eine Wertung voraus, die antimonarchistischen und antiklerikalen Vorurteilen folgt, die in der Nazizeit geprägt wurden (Hager 1939) und in der jüngsten deutschen Forschung unter neuen Vorzeichen weiterleben. So meint er etwa, eine "Tendenz zur Entsakralisierung der Königswürde" sei Ursache dafür, dass das "Ereignisbild zum adäquaten Medium der Herrscherdarstellung" werden konnte (S. 338). Ein Blick auf den Beginn des 17. Jahrhunderts lehrt aber, dass sich die Gattung etwa am römischen, am Brüsseler und am spanischen Hof gerade in der Sakralisierung der Herrschermajestät zu höchster Blüte entwickelte, besonders auch dort, wo höfische Repräsentation sich mit der städtischen und bäuerlichen Welt verband (vgl. etwa die demnächst erscheinende Londoner Diss. von Cordula Schumann zur Inszenierung der Infantin Isabella). Kaum noch verwunderlich ist dann auch Felgners fast schon zynische und den Gattungscharakter verkennende Zurückhaltung, als er die Möglichkeit offenhält, die Darstellung eines auf Zivilisten einprügelnden französischen Soldaten am Rande der "Errichtung eines Freiheitsbaumes auf dem Kölner Neumarkt 1794" als "lediglich eine möglichst lebhaft und abwechslungsreich gestaltete Staffage" anzusehen, nur um dem Hofmaler F. Rousseau keine eigenständige politische Haltung zugestehen zu müssen (man versuche nur einmal, heutige Ereignisbilder prügelnder Soldateska oder Politschlägerbanden unter solchem Aspekt zu bewerten).
Der Jurist Peter Mikliss de Dolega legt dagegen mit seinen "Beobachtungen zur Türkenmode unter Clemens August" ein Meisterstück kunst- und kulturhistorischer Argumentation vor. Für die fremdländische Tracht, die Clemens August im sogenannten "Bönncher Ballstück" des F. Rousseau trägt, sucht er zunächst mögliche Quellen und kulturhistorische Kontexte in der französischen, sächsischen und polnischen Türkenmode auf, deren politische Motivationen und Implikationen er sorgfältig auseinanderlegt. In einem wohl abgewogenen Urteil kommt er schließlich dazu, das von Clemens August gewählte Kostüm als Anspielung auf dessen dynastische Verbindung zum polnischen Adel einordnen zu können.
In gewohnter Qualität präsentiert Günter Irmscher die Ergebnisse seiner Archivstudien zu den "Hofgoldschmieden der Kölner Erzbischöfe und Kurfürsten der Frühen Neuzeit" und fördert dabei eine Fülle bisher unbekannter Fakten zutage. Sein Artikel, der das Material entlang der Regierungsjahre der Kölner Kurfürsten von 1515 bis 1794 präsentiert, wird zur Standardreferenz werden.
Eine detaillierte Darstellung der "zeremoniellen und künstlerischen Inszenierung der höfischen Tafel unter den Kölner Kurfürsten Joseph Clemens und Clemens August" von Holger Kempkens schließt den Band ab. Differenziert ordnet Kempkens die Erfordernisse des Zeremoniells den baulichen Gegebenheiten und Ausstattungen der kurfürstlichen Schlösser zu. Einzelne Bauentscheidungen wie etwa die von Joseph Clemens eingeführte Galerie im Speisesaal folgen speziellen zeremoniellen Erfordernissen. Aufgrund der besonderen Verfasstheit des Bonner Hofes lässt sich in dem von Joseph Clemens penibelst durchkonstruierten und von seinen Nachfolgern variierend übernommenen Hofzeremoniell allerdings bisher kein Eigen- oder Prestigewert erkennen, wie ihn die Forschung seit Norbert Elias im französischen Hofzeremoniell ausmacht.
Die Lektüre des Bandes wird leider durch unzählige überschneidungen beeinträchtigt. Da mehrere Beiträger dabei zudem dieselbe Grundlagenliteratur paraphrasieren, muss man sich zahlreiche Redundanzen gefallen lassen. So heißt es etwa auf S. 31: "Der besondere Reiz des Berceaus bestand darin, dass man von den Eingängen aus durch öffnungen in den Heckenwänden jeden sehen konnte, der durch die geschlängelte Anlage promenierte und sich unbeobachtet wähnte." In einem anderen Beitrag dann auf S. 57: "... wurde ... der sogenannte Berceau angelegt. Durch öffnungen in seinen Heckenwänden entstanden Blickachsen, durch die man bereits vom Eingang aus jeden beim Promenieren sehen konnte, der sich unbeobachtet glaubte." Zudem hätte eine gründliche Redaktion manche Banalität ausmerzen müssen. So wird der (altbekannte) Hinweis auf Leibnitzens Interesse an der konfuzianischen Philosophie nicht durch einen ordentlichen Quellennachweis gestützt, sondern nur durch eine völlig unspezifische Kurzbiographie aus "Microsoft Encarta 1999" begleitet (Anm. 7 zu S. 75). Und auch Stilblüten wie die in einer Architekturbeschreibung zu findende Phrase "das Lastende kommt nicht mehr zum Tragen" (S. 164) sind überflüssig. Immerhin ist das Buch weitgehend in der leserfreundlichen herkömmlichen Rechtschreibung verfasst.
Doch kann diese eher formale Kritik nicht das letzte Wort sein: Die meisten Beiträge konzentrieren sich wohltuend auf die Sache selbst und enthalten sich "ideologiekritischer" Schnellschüsse, wie sie die deutsche Kunstgeschichte zum 18. Jahrhundert zunehmend prägen. Es ist so das Verdienst des Bandes, ein klareres Bild vor allem von der kurkölnischen Hofkultur und -kunst gegeben zu haben, in der auch die großen Aufwendungen Clemens Augusts für eine exquisite Genuß- und Spaßkultur, die sich vor allem in der Jagd, im Porzellansammeln, in Exotismen und Bauwut austobte, das Fehlen militärischen Ernstes, politischer Bedeutung, humanistischer Durchdringung, aber auch einer offen amourösen Kultur kaum überspielen konnten. Neben der berühmten Neumannschen Arbeit in Schloss Augustenburg entwickelte sich am kurkölnischen Hof nur in religiösen Werken einige Originalität und konzeptionelle Tiefe, ein Aspekt, dem die kunsthistorische Forschung zu Clemens August sicherlich auch in Zukunft zunehmend Beachtung schenken wird.
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