Rezension

Jörg Traeger: Goya. Die Kunst der Freiheit, München: C.H.Beck 2000,
Buchcover von Goya
rezensiert von Sabine Poeschel, Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart

Politische überzeugung und eine gesellschaftskritische Position wurden bereits vielfach mit dem Werk Goyas in Verbindung gebracht, daher die gleichzeitig mit den höfischen Porträts entstandenen Caprichos, Hexenbilder etc. als Ausdruck einer freiheitlichen, aufklärerischen Gesinnung des Künstlers interpretiert (Ausst. Kat. Hamburg 1980, Goya. das Zeitalter der Revolutionen 1789 - 1830; Ausst. Kat. Madrid 1989, Goya and the spirit of enlightenment). Fred Licht (Goya. The origins of modern temper in art, New York 1979) und Werner Busch (Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993) sahen hingegen in einer veränderten ästhetik als Reaktion auf die historischen Umwälzungen Ende des 18. Jahrhunderts neue Ansätze zur Erklärung von Goyas einzigartiger Position in der Geschichte der Malerei.

Jörg Traeger versucht wieder einen politischen Standpunkt Goyas festzulegen, den er als liberal definiert. Der Liberale, so Traeger, verstand sich als Mensch des Ausgleichs, des "Sowohl-Als-auch", mit dieser Haltung habe Goya unter den spanischen Regimes arbeiten und dabei eine "liberale Kunst als Ausdruck eines bürgerlichen Welt- und Menschenbildes" bilden können. Zitate von Goethe und Schiller werden zur Definition des Liberalismus-Begriffes herangezogen, obwohl deren Relevanz für das im 18. Jahrhundert abgelegene Spanien und einen Künstler, der erst gegen Ende seines Lebens das Land verließ, fragwürdig ist. Traeger verfolgt seine These des Liberalismus in der Kunst Goyas konsequent, doch ohne Berücksichtigung der spanischen Gegebenheiten, die über die politische Situation hinaus Goyas künstlerische Entwicklung leiteten.

Der Titel des ersten Kapitels, "Gewinn der Mitte", deutet pointiert die politische Position als liberale Standortbestimmung an. Dass Goya mit den ilustrados, den Aufklärern, sympathisierte, wurde wiederholt betont, doch war dies unter Karl III. nichts Ungewöhnliches. Die Aufklärer im bourbonischen Spanien wurden unter seiner Regierung sogar gefördert, denn die französische und italienische Kultur standen dem König näher als die reaktionäre, fremdenfeindliche Haltung der majos, der urbanen Unterschicht Madrids, die auch von der Oberschicht Besitz ergriff. Erst nach dem Tod Karls III. wurde die Situation der ilustrados unter den konservativen Karl IV. kritischer, und nach der französischen Revolution wurden die Anhänger Frankreichs verfolgt. Während der Zeit der Reform Karls III. aber widersetzten sich vor allem die majos jeder "ausländischen Idee" (Francis Klingender, Goya in the democratic tradition, London 1948). Die Kontakte Goyas zu den Aufklärern und deren Porträts als Beleg einer politischen Position sollten daher nicht überbewertet werden. Der Minister Gaspar Melchor de Jovellanos war ein wichtiger Freund des Malers, doch seine Geliebte, die Herzogin von Alba, stand dem majismo nahe.

Die "Zweigleisigkeit" von Goyas Malerei, offizieller und inoffizieller Kunst, ist nicht unbedingt ein Beweis von Liberalismus als des "Sowohl-Als auch", vielmehr versuchte Goya, durch Laune (capricho) und Erfindung, neue Wege der Kunst zu erschließen, da er nicht wie andere sein Genie auf die offiziellen Aufgaben beschränken wollte, wie es die Briefe an Bernardo de Iriarte und Martin Zapater belegen. Sein Ziel war die Wahrheit der Kunst, mehr als politische Freiheit, was Ende des 18. Jahrhunderts revolutionär war. So stellt sich die Frage, ob die Kunst Goyas vom Liberalismus, von Toleranz und Vernunft geprägt ist oder vielmehr von dem Streben nach einer Kunst jenseits der offiziellen Möglichkeiten, wie es Sarah Symmons (Goya: In persuit of patronage, London 1988) darlegte. Die ungewöhnlich hohe Zahl von eigenen Werken, die in Goyas Privatbesitz blieben und nie für einen Auftraggeber bestimmt waren, machen diese Obsession einer neuen Wahrheit der Malerei deutlich. In diesem Zusammenhang steht nach meinen Ergebnissen auch die Akademiekritik als Auseinandersetzung mit Mengs, die sich gegen das Kopistenwesen und die Antikenstudien, mit denen er selbst gequält wurde, wandte (Storia dell'arte, 91, 1997). Der Begriff der Freiheit aus Goyas Akademiekritik meint weniger Liberalismus als vielmehr die Freiheit von den Vorbildern und den Gipsmodellen nachgriechischen Statuen, die die Academia real di San Fernando anfüllten. Das Genie solle den Künstler leiten, nicht die akademische Lehre.

Auch die im zweiten, der "gespaltenen Kunst" gewidmeten Kapitel besprochenen Caprichos sind eher Ausdruck schöpferischer als bürgerlicher Freiheit. Wie Goya in seiner Anzeige der Caprichos vorsichtig angab, wollte er belehrende und moralische Themen vorstellen, um Vorurteile, Ungerechtigkeiten und Grausamkeit seiner Zeit zu zeigen, also dem Betrachter die Augen zu öffnen. Im Sinne der Aufklärung wäre dies die überwindung des Bösen durch Erziehung, ähnlich William Hogarths The Rake's Progress. Goyas Caprichos aber sind weniger subtil, er zeigte keine satirische Kritik der Aufklärung an den Zuständen wie Hogarth, sondern äußerte sich grob und zornig. Nach Fred Licht zeigt sich in den Caprichos der übergang vom Spätbarock zur Moderne, von der Aufklärung und ihren Idealen zur Erkenntnis des Realen. Die Caprichos hingegen als Ausdruck staatsbürgerlicher Freiheit, angezeigt durch Goyas Selbstporträt mit Zylinder auf dem Titelblatt, zu verstehen, steht im krassen Gegensatz zu Goyas freiwilliger Rücknahme der Serie nach nur 27 verkauften Exemplaren.

Auch Traegers Interpretation von Obszönität als Zeichen von Freizügigkeit lässt sich eine künstlerische Motivation entgegenstellen. Die Majas sind kaum nur als ein Zeugnis der Freiheit der Kunst zu verstehen, sondern eine moderne Auseinandersetzung mit dem weiblichen Akt. Schließlich maß sich Goya mit Velázquez, dessen Rokeby-Venus sich neben den Majas im Kabinett des Regenten und Kunstkenners Manuel Godoy befand, zusammen mit weiteren hochkarätigen erotischen Darstellungen aus anderen Epochen.

Die offizielle Kunst Goyas, die Porträts der Könige und der Adeligen, sind nicht nur Repräsentation der herrschenden Ordnung, sondern stellen neben den sakralen Historien die Hauptaufgabe der Malerei in Spanien dar (Francisco Pacheco, El arte de la pintura, Sevilla 1649, I). Traeger geht in seiner äußerst dichten Studie, die nahezu alle Bereiche von Goyas Schaffen auf den Aspekt des Liberalismus prüft, besonders auf die höfischen Porträts ein. Die Interpretation der "Familie Karls IV." von 1800 widerlegt die oft wiederholte Interpretation als Satire und stellt Goya als Hofkünstler vor. Bei allem Respekt vor dem Amt der Könige wird Goyas Bild von der Naturwahrheit berührt, der Rang ästhetisch gebrochen. Dies zeigt Traeger - wie ansatzweise schon in einem Aufsatz von 1990 (Goyas königliche Familie. Hofkunst und Bürgerblick, in: Münchner Jahrbuch 41) - auch an weiteren Bildnissen im Vergleich mit höfischen Porträts von Velázquez. Die durch die Erfahrung veränderte ästhetik bildet eine neue Kategorie, die sich auch auf die offiziellen Porträts auswirkte. Ob diese jedoch ironisch ist, bleibt zweifelhaft. Die Bourbonen konnten die Majestät ihrer habsburgischen Vorgänger, die ähnliche Posen einnahmen und dieselben Insignien trugen, nicht mehr ausfüllen. Zeigte Velázquez Philipp IV. auch in Jagdkleidung als eine gedankenvolle Persönlichkeit, die sich durch die Jagd als Fürstentugend disziplinierte, so bleibt den rotgesichtigen Bourbonen selbst im Staatsgewand wenig Königliches. Allerdings zeigt sich auch nicht mehr Respekt in den Porträts des späteren Hofmalers Vincente López, von daher wird die "Ironie" Goyas überschätzt.

Der im dritten Kapitel gezogene Vergleich von Goyas Spätwerken mit der napoleonischen Staatsmalerei von Jean-Antoine Gros lässt sich ebenfalls nicht auf den Aspekt des Liberalismus reduzieren. Im Unterschied zu Gros musste Goya Ferdinand VII. um Erlaubnis bitten, die Ereignisse des Aufstandes vom 2. Mai 1808 und der Erschießungen der Aufständischen malen zu dürfen. Bei den unkonventionellen Bildern schlagen sich die neuen Bildideen Goyas nun auch in der offiziellen Kunst nieder. Die "Zweigleisigkeit" einer angepassten offiziellen und einer aufklärerischen privaten Kunst ist in diesen Bildern aufgehoben. Der Kampf des Menschen gegen den Menschen bringt Tod und Grausamkeit, die Angst ist übertragbar, nicht an ein historisches Ereignis gebunden, daher haben Goyas Bilder eine größere geistige Dimension als die eines Gros, so Fred Licht. Die nach Werner Busch oft verwendete Kategorisierung von "naiv versus sentimentalisch", nach der Traeger in den Bildern vom 2. und 3. Mai den intensiveren "Wirkungsfaktor des Naiven" sieht, lässt sich nicht durch die Tradition der sakralen Malerei bei Goya stützen. Die sakrale Kunst Goyas sei im Sinne Schillers naiv, da sie der Natur folge, sich auf die Nachahmung der Wirklichkeit beschränke. Goyas Fresken von San Antonio de la Florida in Madrid sind aber mit den Werken eines Tiepolo, bzw. süddeutscher Freskanten, wie Traeger behauptet, nicht zu vergleichen. Das sakrale Geschehen ist verfremdet und eine Inversion von Bildmotiven tritt ein: Goyas Himmel ist leer und der Mörder entkommt.

Zwar mag der Liberalismus im Werk Goyas eine Rolle spielen, doch lässt sich diese Frage nicht so eindeutig beantworten, wie Traeger es darstellt. Die Porträts Ferdinands VII. z. B. zeugen keineswegs "von einem merklich nachlassenden künstlerischen Engagement für die Aufgaben eines Ersten Hofmalers", denn Goya schuf Bildnisse, die vom Hof nicht bestellt waren, um sich dem neuen König anzudienen. Ist es ferner wirklich eine liberale Haltung, wenn ein fortschrittlicher Künstler sich durch einen reaktionären König adeln lässt? Oder requiriert er damit den Rang der größten Maler für einen spanischen Künstler, den vor ihm nur Velázquez erreicht hatte? Ist jedes helle Licht in Goyas Bildern "das Licht der Aufklärung"? Dennoch, im Gegensatz zu den "neuen" Büchern, die in den letzten Jahren über Goya veröffentlicht wurden und die fast alle längst Bekanntes wiederholen, ist Traegers Buch ein Gewinn, wenn auch die neuen Aspekte vor dem Hintergrund sachlicher Einwände spanischer Besonderheiten reflektiert werden müssen.


Sabine Poeschel

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Empfohlene Zitierweise:

Sabine Poeschel: Rezension von: Jörg Traeger: Goya. Die Kunst der Freiheit, München: C.H.Beck 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Sabine Poeschel
Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr