Rezension

Bernhard Schütz: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780. , München: Hirmer 2000,
Buchcover von Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780
rezensiert von Bettina Maria Köhler, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich

Mit diesem Buch liegt eine neue Gesamtschau auf kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben vor, ein Unterfangen, das seit Norbert Liebs "Barockkirchen zwischen Donau und Alpen" (1. Auflage München 1953, 6. vermehrte Auflage München 1992) nicht mehr in Angriff genommen wurde. Ausdrücklich wird einleitend vermerkt, dass Liebs Buch als "Leitfaden und Begleiter" (S. 7) mit dazu beitrug, dass sich allmählich und langsam der "Barock in der Gunst des Publikums" durchgesetzt habe. Und an das interessierte aber nicht notwendig kunsthistorisch bereits gebildete Publikum wendet sich der Autor mit dem Wunsch und Ziel zu vermitteln, was der von ihm zitierte Viollet-Le-Duc festhielt: "voir est savoir" - Sehen ist Wissen.

Das Sehen, das verständige Sehen zumal, soll also geschult werden und der entscheidende Unterschied zu Norbert Lieb, der zwanzig Bauten der Kunstlandschaft chronologisch und künstlermonographisch geordnet vorstellte, ist denn auch nicht nur die Fülle der vorgestellten Monumente, sondern ebenso der vom Autor als "werkimmanent" bezeichnete Ansatz der Bau-Analyse. Gerade weil das Ziel eine überblicksdarstellung, eine "zusammenfassende Darstellung" des bayerischen und oberschwäbischen Barock sei, solle sich die notwendige Ordnung der Präsentation aus dem anschaulich vermittelten Wahrnehmungs-Erlebnis der Monumente ergeben (S. 9). Der Vorteil dieser Analyse gegenüber anderen Forschungsansätzen (genannt werden: 1. Rekonstruktion der Werkgenese: Vorbilder und Abhängigkeiten klären; 2. quellenkundliche Faktenforschung; 3. Bauforschung (S. 8 & 9) liege darin, dass sie den Zweck architekturhistorischer Forschung erfülle. Denn: man habe "dann am meisten von den Bauwerken", wenn man "sie in der Anschauung zu verstehen" suche (S. 9). Dem ist durchaus zuzustimmen, wobei natürlich eine solche "Hermeneutik der angeschauten Phänomene" auch nicht ohne die Ergebnisse beziehungsweise Vorgehensweisen der genannten Forschungsansätze auskommt, was der Autor durch Würdigung der entsprechenden Beiträge auch anerkennt. Für die vom Autor verfolgte Vorgehensweise ist im Weiteren natürlich entscheidend, was denn eigentlich angeschaut wird: "Was ist überhaupt am Bauwerk zu "sehen"?" (S. 9).

Die Anschauung will der Autor denn auch in spezifischer Weise fördern und lenken: im Zentrum der Aufmerksamkeit steht "das System der Ordnungen und Bögen", steht die Struktur der Innenräume, in der die "Bauidee", das heißt das "Baukünstlerische" aufgehoben sei (S. 10). Ausstattungsprogramme und Dekoration werden sehr viel weniger intensiv betrachtet. Nicht zuletzt geschieht dies vielleicht deshalb, weil man die barocke Kunst, wie der Autor eingangs festhält, bereits "im späten 18. Jahrhundert,... wegen ihrer Pracht und Schnörkelzier für eine abscheuliche Verirrung des Geschmacks" hielt (S. 7). Bernhard Schütz geht es also in seiner aus der Anschauung zu gewinnende Interpretation der Bauten um bestimmte "Grundstrukturen ... die ständig wiederkehren" (S.9) und er gelangt zu einer Ordnung der Betrachtung, die seiner Meinung nach auch diejenige der Bauherren und Architekten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gewesen sei: Die Bauidee erschließe sich nur über das Verständnis für den zugleich traditionsbewussten und innovativen Umgang mit Bautypen, nämlich mit dem Longitudinalbau und dem Zentralbau und den von diesen abgeleiteten Variationen (S.10). Das Buch stellt also die Bauten nach diesem Schema geordnet vor, wobei Ottobeuren als "Summa der Ideen" einer abschließenden Betrachtung von Wieblingen als "Schlusspunkt einer großen Tradition" vorangestellt wird. Ob man aber dem Phänomen des angeschauten und erlebten Innenraumes gerade in der anvisierten Zeitepoche in vollem Umfang gerecht wird, wenn man es vor allem als Ergebnis des Zusammenspiels von Grundriss, Schnitt und Aufriss in geometrisch-mathematisch höchst komplexen Gefügen begreift, erscheint der Rezensentin fraglich.

Bereits Peter Meyer hatte im 2. Band seiner Europäischen Kunstgeschichte, Zürich 1948 versucht, das Verständnis für den Barock zu wecken, indem er den strukturellen "Kern" der Bauten bloßlegte und beispielsweise eine Umzeichnung der St. Michaels-Hofkirche in München ohne Stuckdekorationen präsentierte (S. 192). Selbst wenn sich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte die Vorzeichen umgekehrt haben und der Autor des vorliegenden Buches zugesteht, dass barocke Dekorationskunst sich beim Publikum in hoher Gunst befände, so ist nun gerade das auch wieder nicht recht, weil die "Architektur selbst ... hinter dem Eindruck der Dekorationen zurücktritt" (S. 7). Zur Bauidee aber gelange man nur "ungeachtet der Ausstattung, auf die die Räume zwar angelegt worden sind und die die Idee oftmals erst abrundet, die aber trotzdem den Blick allzu leicht verstellt" (S. 10). Die seit dem späten neunzehnten Jahrhundert immer stärker verfochtene Auffassung, dass es eine genuine Trennung von Architektur und Dekoration gebe, findet in der vorliegenden Arbeit also erneut ihren Niederschlag.

So wird für die 1727 begonnene Klosterkirche Osterhofen bei Straubing die Innovationskraft Johann Michael Fischers in der geschickten und präzisen Verbindung des Vorarlberger Wandpfeilerschemas mit "böhmischen Kurvungen" bei Abseiten und seitlichen Raumbegrenzungen gesehen (S. 47 u. 48). Mit "rein architektonischen Mitteln", sei also in den "herkömmlichen Wandpfeilersaal [ein] Bewegungsfluss" gebracht, sei er "barockisiert" worden (S. 48). Die "schwelgerische, buntfarbige Dekoration der Asam-Brüder" dagegen, die diese Kirche ausstattet, übertöne - und hier kommt der erwähnte "moderne" Blick ins Spiel - in ihrem "pomphaften Prunkgebahren" die "prägnante Klarheit und feine Musikalität" von Fischers Architektur (S. 48). Der Autor geht sogar noch weiter: "Die eigene Qualität von Fischers Architektur würde jedoch auch ohne den vollen Klang des Ornats bestehen, ja sogar viel reiner, klarer und konturschärfer zur Wirkung kommen." (S. 48). Es sollte aber dennoch die Frage erlaubt sein, ob sich nicht zu einem guten Teil die sinnlich/geistige Anschaulichkeit "geschmeidiger Modellierfähigkeit, [...] flüssiger Bewegung und plastischer energischer Spannkraft", die vom Autor als Eigenschaften barocker Architektur ausgemacht werden (S. 47), der Dekorationskunst, wie unter anderem der Asambrüder verdankt.

Vielleicht ist jedoch die Beschränkung eine notwendige Bedingung für die Bewältigung einer solchen Gesamtschau, der es darum geht, dem Leser den Reichtum einer Kunstlandschaft in der Fülle ihrer Sakralbauten und deren spezifischen Merkmalen vorzustellen. Dass historische Voraussetzungen, Bauherren und architektonische Grundlagen, Baumeistersippen und Baumeister vorab besprochen werden, dient in diesem Sinne den sehr gut nachvollziehbaren Interpretationen der Monumente. Dass die Fassaden in einem eigenen Kapitel behandelt werden, weil der bayerisch-schwäbische Barock "im Kirchenbau primär eine Kunst des Innenraums" sei (S. 150), scheint weniger nachvollziehbar. Entscheidend aber bleibt: das Buch weckt, nicht zuletzt aufgrund des abundanten Tafelteils mit den gut platzierten Fotografien, die Lust sich an die Orte zu begeben und selbst zu erfahren, was das heissen kann: Voir est savoir - Pomp eingeschlossen.


Bettina Maria Köhler

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Bettina Maria Köhler: Rezension von: Bernhard Schütz: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780. , München: Hirmer 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Bettina Maria Köhler
Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr