Rezension

Heiner Borggrefe / Thomas Fusenig / Birgit Kümmel: Ut Pictura Politeia oder der gemalte Fürstenstaat. Moritz der Gelehrte und das Bildprogramm in Eschwege, Marburg: Jonas Verlag 2000,
Buchcover von Ut Pictura Politeia oder der gemalte Fürstenstaat
rezensiert von Sabine Mödersheim, Department of German, University of Wisconsin, Madison, WI

Der vorliegende Band beschreibt und dokumentiert ein allegorisch-emblematisches Bildprogramm, das um 1600 entstand, heute aber wie ähnliche Ausstattungen dieser Periode verloren ist. Mit Hilfe einer erst kürzlich entdeckten Quelle, einer zeitgenössischen Beschreibung und Deutung, die 1625 im Druck erschien, können das ikonographische Programm der frühbarocken Ausstattung in Schloß Eschwege und sein Hintergrund jedoch präzise rekonstruiert werden. Im zweiten Teil von "Ut Pictura Politeia oder der gemalte Fürstenstaat" wird dieser Quellentext in einer kommentierten Transkription abgedruckt. Damit wird ein kunstgeschichtlich und sozialhistorisch aufschlussreiches Dokument, das bislang nur in einem Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel bekannt ist, der Forschung zugänglich gemacht.

Die erste Hälfte des Bandes liefert eine reich illustrierte, sorgfältig dokumentierte und annotierte Einführung in die soziokulturelle und politische Bedeutung des Programms und seiner Ikonographie. Zunächst umreißt Heiner Borggrefe den intellektuellen Hintergrund für das von Fabronius beschriebene Programm unter dem Titel "Unbekannte Seiten des Bildersturms - Moritz der Gelehrte, die Bilder in Schloß Eschwege und die vergessene Ikonographie des Calvinismus".

Es ist belegt, dass Landgraf Moritz von Hessen entscheidenden Einfluß auf die Auswahl der Themen und die Gestaltung der Bildausstattung nahm. Die Korrespondenz zwischen dem Landesherrn und dem Hofmaler Christoph Jobst ist für die Jahre der Entstehungszeit des Zyklus ca. 1598 bis 1604 dokumentiert.

Der Entwurf und die Themenauswahl stammen von Moritz von Hessen selbst, die Ausarbeitung des Programms geschah wohl in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Hofmeister des Landgrafen, Tobias von Homberg.

Dieses Auftragsprogramm einer Hofikonographie, die eine spezifisch frühneuzeitliche Staatsauffassung repräsentiert, steht in deutlichem Kontrast zum Bild von Moritz als einem vom Calvinismus geleiteten Ikonoklasten. Es mag erstaunen, daß ein dezidiert calvinistischer Fürst, dessen Stellung zur Bildauffassung sich in anderen Fällen radikal und negativ manifestierte, ein solches komplexes Bildprogramm nicht nur in Auftrag gab, sondern sich an dessen Entwicklung und Ausarbeitung aktiv beteiligte. Borggrefe argumentiert überzeugend, dass die allegorisch-emblematischen Formen, die hier gewählt wurden, mit dem für die Gattung typischen hohen Wortanteil die Rezeption der Bildthemen leiten und deren Interpretation didaktisch vorzeichnen. Zudem galt der hessische Ikonoklasmus ausschliesslich Bildern im religiösen Kontext, um der Gefahr der Idolatrie zu begegnen. Dies ist in einem solchen politisch-moralischen Programm, wie wir es in Eschwege vorfinden, nicht der Fall. Auch ist die Bildlichkeit, gerade wo sie sich biblischer Themen und Metaphorik bedient, stets strikt schriftgebunden. Das Eschweger Programm mag also als ein Fallbeispiel spezifisch protestantischer, in diesem Fall calvinistischer Ikonographie dienen.

Thomas Fusenig analysiert in seinem Beitrag "Die Bildausstattung von Schloß Eschwege" die ikonographischen Themen der Gemälde und ihre Vorlagen, soweit sie erschlossen werden können. Er identifiziert Bildvorlagen und ikonographische Traditionen und Konventionen, die hier zum Tragen kommen, und erläutert die moralischen, politischen und konfessionstheologischen Werte, die die Essenz des Bildprogramms in Eschwege ausmachen. In einem Anhang sind die Archivalien ediert, die den Entstehungsprozess der Innenaustattung des Schlosses in vielen Einzelheiten dokumentieren und die Rolle des Fürsten als Programmautor belegen.

Das Programm diente der Selbstdarstellung des Herrschers, umreisst aber ebenso die ethischen Verpflichtungen der Mitglieder des Hofstaates und die Idealtugenden der Gräfin als Landesmutter. Insgesamt gibt die Auswahl der Themen und die Plazierung der einzelnen Tugendallegorien in bestimmten Räumen des Schlosses - unabhängig davon, ob diese öffentlich zugänglich waren oder nicht - ein moral-didaktisches Bild des idealen Hofes und der idealen Herrschaft. Das ikonographische Programm bildet einen gemalten Fürstenspiegel, eine Darstellung der Tugenden, die der Herrscher ebenso wie die von ihm Regierten im Dienste des Allgemeinwesens aufweisen sollten.

Der zweite Teil des Bandes gibt einen annotierten Nachdruck des Originaltextes der zeitgenössischen Beschreibung und Auslegung der Schlossdekorationen von Hermann Fabronius: "Historische Beschreibung Der Policey- Tugende christliche Obrigkeit und Unterthanen. Wie der Durchleuchtigste und Hochgeborne Fürst und Herr, Herr Moritz L. zu Hessen ... Dieselbigen nach der Politeia und Ethica im Schloß Eschwege in Hessen disponieret, und in unterschiedenen Gemachen mit schönen Bildern und Historien abmahlen lassen. Dannen aber mit umbstendiger Erzehlung und beygefügten Epigrammatis abgeschrieben und publicieret seynd." Neben der Auflistung der Themen der Gemälde und ihrer Platzierung in den Räumen des Schlosses gibt Fabronius zu jedem Thema ein auslegendes Gedicht, das sich wie eine Emblem-Subscriptio liest. Diese Verse sind auch in einer Handschrift, vermutlich einem eigenhändigen Manuskript des Autors erhalten, das heute in der Kasseler Landesbibliothek aufbewahrt wird. Hermann Fabronius, ein Jurist in Diensten des Fürsten, Theologe und Superintendent, war auch als poeta laureatus ausgezeichnet und verfasste Gedichte, Ritterspiele sowie Programme für allgorische Festaufzüge. Er war somit bestens qualifiziert, eine kompetente Auslegung des Eschweger Bildprogramms zu liefern.

Für die Kunst- und Kulturgeschichte ist diese Quellenschrift ein zeitgenössisches Dokument, das bei der Einordnung und Interpretation solcher Bildprogramme außerordentlich aufschlussreich werden kann. Der 1625 in Schmalkalden erschienene Text des Fabronius ist ein seltenes, wenn auch nicht unbedingt einzigartiges Dokument: ähnliche Beschreibungen allegorischer Innendekorationen existieren etwa für Schloss Bevern oder das Emblemprogramm im Nürnberger Rathaus. Dass die Beschreibung des Eschweger Programms bislang nur in einem bislang erhaltenen Exemplar bekannt ist, hängt vielleicht damit zusammen, dass sie wohl nur lokale Verbreitung hatte und für einen sehr kleinen Kreis gedacht gewesen sein mag, der entweder Zugang zu den Schlossgemächern hatte, oder ein Interesse an der Ausstattung des Schlosses zeigte. Es ist jedoch auch ein Versuch, die Vermittlung moralisch-didaktischer Lehren zu propagieren, die der hessische Landesherr in dieses Programm hatte einfließen lassen. Selbst für Untertanen des Fürsten, die, wenn überhaupt, nur zu den öffentlichen Räumen zugelassen waren, bildete die Beschreibung eine Aussage über das politische Selbstverständnis des Fürsten. Als eine Leseanweisung zu den allegorischen Themen des Bildprogramms liest sich Fabronius' Schrift wie ein Fürstenspiegel oder ein Emblembuch der Zeit, nicht nur auf das spezifische Bildprogramm bezogen, das sie beschreibt, sondern als eine generelle Tugendanweisung für Herrscher wie Untertanen.

Insgesamt erschließt der Band eine wertvolle und rare zeitgenössische Quelle, die über ihren kunsthistorischen Wert hinaus auch aufschlußreiche Informationen zur Kulturgeschichte und Staatstheorie der Zeit gibt. Die Dokumentationen erschließen in einer vorbildlichen Fallstudie den ikonographischen wie auch den politischen und sozialhistorischen Kontext dieses Werks.


Sabine Mödersheim

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Sabine Mödersheim: Rezension von: Heiner Borggrefe / Thomas Fusenig / Birgit Kümmel: Ut Pictura Politeia oder der gemalte Fürstenstaat. Moritz der Gelehrte und das Bildprogramm in Eschwege, Marburg: Jonas Verlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Sabine Mödersheim
Department of German, University of Wisconsin, Madison, WI

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr