Rezension

Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin: Akademie Verlag 2000,
Buchcover von Regenten des Himmels
rezensiert von Ulrich Pfisterer, Ludwig-Maximilians-Universität München

Als Lorenzo Valla 1433 das Lustempfinden zum leitenden Prinzip allen menschlichen Tuns erhob, illustrierte er seine Behauptung am Beispiel von Himmelskunde und bildenden Künsten. Beide bereiteten Vergnügen, jedoch differenziert nach dem intellektuellen Einsichtsvermögen des jeweiligen Betrachters: "Dieselben Beweggründe leiten die Philosophen [...] bei der Betrachtung des Himmels, der Erde und des Meeres, wie sie die Jungen und Mädchen leiten, welche die Marktstände betrachten und die Verzierungen auf den Silbergegenständen, die Schönheit der Gemälde [und] die Würde der Statuen bewundern und untereinander vergleichen. Jedoch ziehst du [als Philosoph] größeren Lustgewinn aus dem Entdecken der Gesetzmäßigkeiten des Himmels als ich aus dem Schmuck des Forums. Sicherlich deshalb, weil du mehr verstehst und dich an einer bedeutenderen Sache erfreust. Ich wiederum erfreue mich mehr an den Zwillingsstandbildern des Phidias und Praxiteles als irgendein Knabe, weil mir die Einsicht in die unterschiedliche Geistesgaben der beiden Bildhauer gegeben ist, die dem Knaben fehlt." (De voluptate, II, 28, 8) Vallas seinerzeit heftig umstrittene Thesen scheinen – cum grano salis – zumindest für die Kunstgeschichtsschreibung zu gelten: Zwar hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Aby Warburg und sein Kreis an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Himmelsbildern noch Vergnügen gefunden; aber seitdem richtet sich das kunsthistorische Interesse mehrheitlich auf Abbilder des Irdischen. Schuld daran dürfte bekanntlich nicht nur die Komplexität der himmlischen Materie haben, sondern auch der Ruch von Unwissenschaftlichkeit und Scharlatanerie, der sich spätestens seit der Aufklärung mit der Vorstellung von Astrologie als der Lehre vom Einfluss der Himmelskörper auf das Erdenschicksal im Gegensatz zur Astronomie als der Lehre von der Physik der Himmelskörper verbindet – eine Trennung freilich, wie sie zuvor in dieser strikten Form nie bestand.

Blumes Buch über die 'Regenten des Himmels' – basierend auf seiner 1990 abgeschlossenen Habilitationsschrift – holt dieses Versäumnis der Kunstgeschichte für die Planetenbilder nach. Die 200 Seiten Text, fünf kurzen Exkurse, der Quellenanhang und die reiche Bebilderung lehren nun auch den Kunsthistoriker wieder, mit aus intellektueller Einsicht resultierendem Genuss den Blick gen Himmel zu richten. Blume versteht seine Arbeit methodisch als Beitrag zur Bildgeschichte menschlicher Fiktionen (S. 199f.) in bewusster Absetzung von Warburg, Saxl und Panofsky. Betonten Warburg und Saxl die Kontinuität der überlieferung, die "archtetypischen Grundstrukturen einer 'Kulturpsychologie'" (2), so will Blume nun die"Brüche" freilegen. Nicht das Zurückverfolgen einer Bildchiffre etwa bis nach Babylon, das die einzelnen Bilder nur als Glieder einer überlieferungskette wahrzunehmen erlaube, sondern das Aufdecken historisch spezifischer Sinnschichten der Himmelsbilder sei gefordert. Bei Panofsky und Saxl würde zudem das gesamte Problem zu einem "Teilaspekt im Nachleben der Antike" (2f.) reduziert, das sich dem postulierten principle of disjunction, der mittelalterlichen Trennung von antiker Form und antikem Inhalt, fügen müsse: Laut dieser Theorie habe sich insbesondere unter dem Einfluss islamischer Texte und Illustrationen der mittelalterliche Himmel immer weiter vom antiken Ausgangspunkt entfernt. Blume will im Gegensatz zu diesem "sehr formalen Schema" nach den "Motiven der mittelalterlichen Künstler und Autoren, nach dem speziellen und jeweils unterschiedlichen Stellenwert, welche die antiken Stoffe für sie hatten, nach ihren Auswahlkriterien" fragen. In fünfzehn großen Kapiteln beschreibt er dann die entscheidenden Stationen und Wendepunkte dieser Entwicklung: das erneute Aufleben der Astrologie im 12. Jahrhundert; die Bedeutung des Hofes Friedrichs II., an dem neben den frühesten nachantiken Planetenbildern des Georgius Fendulus der"Liber introductorius" des Michael Scotus entsteht – angeblich auf persönlichen Wunsch des Kaisers; die Instrumentalisierung der Planetenbilder in den Freskenprogrammen kommunaler Stadtpaläste (Angera, Padua, Siena, Florenz,Venedig); die humanistische Verbindung und damit Legitimierung der antiken Mythologie mit der Astrologie seit Boccaccio und den Höhepunkt der Planetendarstellungen in Italien und nun auch im französisch-burgundischen und süddeutschen Raum während des späten 14. und 15. Jahrhunderts.

Blumes Darstellung wird in ihrer überzeugenden, konzisen Klarheit sicherlich zum Standardwerk avancieren. Gerade deshalb sei im Gegenzug nochmals erlaubt, über die aufgezeigten Brüche und Abgrenzungen hinweg nach dem alten Warburg/Saxl-Modell eines mehr oder weniger kontinuierlichen überlieferungsflusses der Himmelsbilder und Texte zu fragen, der mehr oder weniger offensichtlich alle Lebensbereiche durchdrungen haben soll. Zunächst basierte deren Theorie neben den Planeten- auch auf den Sternbildern – Blume hat diese zurecht ausgeklammert, um sein Material operabel zu halten. Es wird sich jedoch erst noch zeigen müssen, inwiefern beide Klassen von Gestirn-Darstellungen parallele Entwicklungen durchlaufen. Darüberhinaus stützt sich insbesondere Warburgs Argumentation zur 'orientalisierenden Astrologie' auf astral-magische Texte: Kronzeugen dafür sind ihm der einflussreiche arabische Traktat Picatrix und die im Auftrag des Königs Alfonso X. el Sabio zwischen ca. 1250 und 1284 angefertigten, den Picatrix teils rezipierenden Manuskripte, von denen Warburg selbst die "Astromagia" 1911 im Vatikan wiederentdeckt hatte (Cod. Reg. 1283a). Diese Schriften mit ihren manchmal sehr umfangreichen Illustrationen zu Planeten, Dekanen und Sternbildern klammert Blume ohne Begründung aus. Dies führt zur Frage, welche Text- und Bildgattungen überhaupt entscheidende Auskünfte zum Planeten-Verständnis des Mittelalters und der Frührenaissance liefern: Sieht man von antiken und patristischen Autoren ab, zitiert Blume im Literaturverzeichnis für den Zeitraum eines knappen halben Jahrtausends allein 37 Schriftquellen.

Eines der ausgelassenen Beispiele mag die Schwierigkeit der Auswahl und 'Grenzziehung' stellvertretend illustrieren: 1282 vollendete Ristorod' Arezzo den ersten in Italien im Volgare verfassten kosmologischen Traktat, "La composizione del mondo", der alle irdischen Ereignisse auf den Einfluss der Planeten zurückführt, die ihrerseits dem göttlichen Heilsplan unterliegen. Die konkrete Vermittlung der planetaren Kräfte erfolge laut Ristoro durch die jeweiligen Hilfsgeister der Wandelsterne. Auf einem römischen Sarkophag – der jüngst als das berühmte, von Donatello und Brunelleschi im Dom von Cortona besichtigte Exemplar identifiziert wurde (M. M. Donato 1996) – glaubte Ristoro nun seine kosmologische Vorstellung verbildlicht zu finden: Der Verstorbene im Clipeus des Deckels wurde als Kriegs- und Planetengott Mars identifiziert, die geflügelten Putten als seine helfenden Geister, die Kämpfenden auf der Sarkophagfront zeigten den Einfluss des Gestirns. Der Text ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zunächst folgt Ristoros Schilderung des Planeten, seines Wesens und seiner Kräfte gänzlich der astrologischen Tradition und lässt keine besondere Antikennähe erkennen; dennoch hat er offenbar ein antikes Bildwerk vor Augen. Die Vorstellung, der Gottschwebe in einer eigenen Zone (oder Sphäre) über der Erde, auf der dann die Auswirkungen seines Einflusses zu erkennen sind, nimmt verblüffend die Vorstellung der 'Planetenkinder' vorweg, für deren Anfänge Blume mit Einschränkungen auf Christine de Pizan verweist und die zur beherrschenden volkstümlichen Vorstellung der Renaissance werden sollten. Fragt man nun nach den bislang ungeklärten Quellen Ristoros– wie kam er dazu, das Sarkophagrelief als Abbild des Planeten Mars und seiner Auswirkungen zu sehen –, fällt zumindest die erstaunliche übereinstimmung mit einer Miniatur in Alfonsos gleichzeitig entstandener "Astromagia" (hg.A. D'Agostino, Neapel 1992, Tf. 23) ins Auge: Der Engel des Mars sitzt dort in einem Clipeus, umgeben von geflügelten Dämonen und berittenen Kriegern, die laut zugehörigem Text als kämpfend vorzustellen sind – islamische Astralmagie also nicht nur in Spanien, sondern auch in Mittelitalien? Nachdem mit Blumes "Regenten des Himmels" der Bilderkosmos des Mittelalters und der Renaissance neues Interesse und neue Ordnung erhalten hat, wird man nun auch wieder solche 'Warburgschen', die unterstellten Entwicklungslinien verunklärenden Phänomene berücksichtigen müssen.


Ulrich Pfisterer

zurück zu KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2

Empfohlene Zitierweise:

Ulrich Pfisterer: Rezension von: Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin: Akademie Verlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

Ulrich Pfisterer
Ludwig-Maximilians-Universität München

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr