Rezension

Christopher Wright: Rembrandt. , München: Hirmer 2000,
Buchcover von Rembrandt
rezensiert von Stefan Grohé, Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln

Die Konjunktur für Rembrandt-Monografien lässt nicht nach. Die stets mit großer publizistischer Aufmerksamkeit bedachte Arbeit des Rembrandt Research Project, einen zeitgemäßen Oeuvre-Katalog vorzulegen, hält das Rembrandt-Bild der Forschung in Bewegung und fordert zahlreiche Autoren geradezu auf, auch ihre persönlichen Sichtweisen zu Papier zu bringen. Einzelne Zuschreibungsfragen treten inzwischen wieder in den Hintergrund zugunsten der Frage, was es denn sei, was die vorgeblich unvergleichliche Art Rembrandts ausmache. Zuletzt erschienen zwei umfangreiche Studien: von Simon Schama eine, die mit großer narrativer Brillianz den Leidener Müllerssohn in seinen zeithistorischen Kontext einzubetten sucht und die hier zu besprechende von Christopher Wright, welche ganz in der kennerschaftlichen Tradition des vorvergangenen Jahrhunderts verwurzelt ist.

Es handelt sich um eine überblicksdarstellung, die ihren einführenden Charakter schon durch den Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat nicht verhehlt und sich darum bemüht, die vielfältigen Faszinationen der Malweise Rembrandts auf den Begriff zu bringen. Der technologisch-kalten Präzision des Rembrandt Research Project setzt Wright dezidiert die vermeintliche Wärme eines intuitiven Blickes entgegen. Daran ist schon Claus Grimm gescheitert und auch Christopher Wright läßt mehr Fragen offen als er beantwortet. Seiner Stilanalyse fehlt nicht nur die erzählerische Brillanz und Unterhaltsamkeit von Schama, sondern ebenso die interpretatorische Tiefe derjenigen Studien (wie z. B. von Alpers, Baloder Van de Wetering), die sich dem Werk Rembrandts unter einem speziellen Blickwinkel genähert haben. Was Wright vorgelegt hat, ist ein Werkverzeichnis ohne Katalog, das im Großen und Ganzen unberührt geblieben ist von ikonographischen oder gar ikonologischen Erkenntnissen.

Einer biografischen Einführung in die wechselnden Lebensumstände des Künstlers folgt die nach thematischen Gruppen gegliederte Analyse des malerischen Gesamtwerkes; eine nützliche Gliederung, die die Vorstellung der Gemälde von biografischem Ballast frei hält. Eine an einzelnen Werken orientierte Zusammenstellung der 'fortuna critica' Rembrandts in Zitaten, eine chronologische Konkordanz von Vita und Werk, ein Literaturverzeichnis, das weitgehend aus allgemeinen Werken und Sammlungskatalogen besteht, und ein Namen- bzw. ein Werkregister runden das Buch ab.

Sinnvoll ist die Ordnung des Textes nicht anhand der Vita allein, sondern nach thematischen Gruppen, die allerdings nur zum Teil dem historisch verbürgten Gattungssystem folgen. So ergänzen die Kapitel zur Historien-, Porträt-, Genre- und Landschaftsmalerei Rembrandts auch Abschnitte zur Darstellung von Mitgliedern seiner Familie und zu den Gruppen- bzw. Selbstporträts, die die Vorstellung des Gesamtwerkes einleiten bzw. beschließen. Man würde bei diesem Vorgehen eine werkorientierte, weniger psychologisierende Sichtweise auf Rembrandt erwarten; auch warnt der Autor selber verschiedentlich vor dieser Art von Blickwinkel. Leider werden im Text dann aber allzu oft die das Rembrandt-Bild beherrschenden Klischees abgerufen.

Die vom Autor vorgenommene Gliederung setzt sich deutlich von der strengen Chronologie der zuletzt vorgelegten Werkverzeichnisse ab (Rembrandt Research Project; Tümpel) und greift auf ein Modell zurück, das bereits die Oeuvrekataloge seit Abraham Bredius bestimmte. Mit diesen gemein hat Wrights Studie auch das Ziel, homogene stilistische Reihen - das klassische Entwicklungsmodell der Stilanalyse also - innerhalb der einzelnen thematischen Gruppen zu konstruieren. Die stilistische Entwicklung innerhalb der jeweiligen Gruppen strebt Höhepunkten zu, die nicht unbedingt am Ende des Lebens liegen müssen. Natürlich kulminieren z. B. die Gruppenporträts in der "Nachtwache"; Rembrandts Landschaftkonzeption findet ihre Vollendung in der "Mühle" der National Gallery in Washington (welche von kaum jemandem außer Wright selbst als eigenhändiges Werk Rembrandts anerkannt wird) und die Reihe der Selbstporträts wird gekrönt durch dasjenige der Frick Collection. Letztlich werden vermeintlich logische Stilentwicklungen, die auch für den Autor nicht zu übersehende Brüche aufweisen, allerdings nur aus der Lust oder Unlust Rembrandts an neuen oder alten Bildlösungen erklärt. Die Virtuosität seines Umgangs mit Traditionen - und zwar sowohl ikonographischen wie auch stilistischen - kommt dabei überhaupt nicht zur Sprache.

Wie bei Publikationen dieses Verlages üblich, ist die Qualität der Reproduktionen meist exquisit. Leuchtende Farben, zahlreiche Detailaufnahmen und große Abbildungsformate betören den Leser und lassen die Leistungsfähigkeit des malerischen Genies Rembrandt hervorragend zur Geltung kommen. Manche Eigenheiten der Bildredaktion irritieren jedoch: Von einigen Bildern sind zwar Details, aber keine Gesamtaufnahmen aufgenommen, andere sind so sehr an den Blattrand gerückt, dass sie teilweise erheblich beschnitten wurden (z. B. "Andromeda" S. 56, "David spielt Harfe vor Saul", S. 88). Auch wenn das Buch mit insgesamt fast 350 durchgehend farbigen Abbildungen mehr als opulent illustriert ist, so ist doch angesichts der Argumentationsweise Wrights zu bedauern, dass nicht ein einziges Vergleichsbeispiel von der Hand eines anderen Künstlers aufgenommen wurde und dass im Text verschiedentlich Gemälde mit Argumenten ab- oder zugeschrieben werden, die sich nun gar nicht mehr nachvollziehen lassen, da zu ihnen keine Reproduktionen vorliegen. Der Verzicht auf Vergleichsbeispiele lässt Rembrandt wieder einmal als isoliertes Individuum erscheinen: Entscheidungen für Stil oder Ikonographie entspringen nach Wright nahezu ausschließlich den subjektiven Vorlieben, ja Launen des Künstlers. Bei aller Bewunderung für Christopher Wrights kennerschaftliche Fähigkeiten muß festgehalten werden, dass die Bewertungen selten über das Wiederholen von Klischees hinaus kommen: wie z. B. demjenigen, dass die Nachwelt das Urteil der Zeitgenossen über Rembrandts Porträtkunst berichtigen müsse, da diese kein Verständnis für die freie Pinselführung seines Spätwerkes gehabt habe (S. 239).

Positiv anzumerken ist die Distanz, welche Wright zu seinem Gegenstand hat, der trotz des eher einführenden Charakters des Buches kaum der Versuchung erliegt, den Künstler zu glorifizieren. Er steht damit in der Tradition eines Kenneth Clark, dessen Rembrandt-Studien auch den Eindruck erwecken, der Autor möge den Künstler eigentlich nicht so recht. Man muß ihn auch nicht mögen, doch sollten Ablehnung und Bewunderung dann wenigstens mit den richtigen Argumenten vorgetragen werden. Wright jedoch vertritt eine romantisierende, "poetische" Sicht auf Rembrandts Werk, der nicht nur jeglicher Deutungshorizont fehlt, die darüber hinaus in allzu vielen Fällen Erkenntnisse der Forschung nicht wahrgenommen hat.

So befindet sich Joost van den Vondels Vierzeiler zur Radierung des Predigers Anslo nicht auf dem Blatt selber, sondern wurde separat und keinesfalls im Zusammenhang mit dem Auftrag publiziert (S. 42f.). Für den Kasseler "Jakobssegen" (S. 108) unterstellt der Autor dem Patriarchen, dass er nicht wusste, was er tat, als er Ephraim und nicht den älteren Manasse segnete! Die Berliner "Susanna" (S. 103) wird als kompositorische Innovation vorgestellt, obwohl Rembrandt hier doch in einem auch durch eine Zeichnung belegten Prozeß eine Komposition Pieter Lastmans adaptierte. Auch ist die "Bathseba im Bade" (S. 105) des Louvre definitiv nicht nach einem antiken Vorbild gemalt, sondern nach einem pseudo-antiken François Perriers. Schließlich ist die Amsterdamer "Judenbraut" (S. 114) seit Christian Tümpels ikonographischen Studien ebenso überzeugend als "Isaakund Rebekka" gedeutet, wie die Edinburgher "Junge Frau im Bett" (S. 308) als "Sara erwartet Tobias". Für Letztere diskutiert Wright wenigstens die von Tümpel vorgeschlagene Deutung (und weist sie als absurd zurück), die Identifikation der "Judenbraut" hingegen wird in die Bildunterschrift verbannt.

Die Deutung des Dresdner "Selbstbildnisses mit Saskia" als "Verlorener Sohn im Wirtshaus" wird abgelehnt mit dem Argument, Rembrandt habe "eine phantasievolle Szene [...] nur zu seinem eigenen Vergnügen" (S. 306) festhalten wollen. Dennoch wird der (richtige) Titel im Fließtext verwendet. Dem Selbstporträt von 1640 (S. 326) in der Londoner National Gallery, in das Rembrandt nachweislich Elemente der Porträtkunst Raffaels und Tizians integrierte, wirft Wright Akademismus vor, weil es als Selbstbeobachtung nicht überzeugend sei und nicht in die von ihm konstruierte Entwicklung passe. Die intellektuelle Deutung der Zirkelschläge im Hintergrund des späten Selbstporträts aus Kenwood House (S. 330f.) wird abgelehnt, stattdessen eine rein dekorative Funktion der auffälligen Kreise angenommen, die nach B.P.J. Broos offensichtlich auf die Zeichenkunst anspielen.

Wrights Rembrandt-Monografie ist ein Buch für Augenmenschen, die sich an der Hand eines mit großartiger Beobachtungsgabe ausgestatteten Führers durch Rembrandts Werk führen lassen wollen. Wen die äußerst subjektive Sicht des Autors nicht stört und wer kein Bedürfnis verspürt, hinter die Oberflächen der Bilder zu schauen, dem wird es durchaus Vergnügen bereiten.


Stefan Grohé

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Empfohlene Zitierweise:

Stefan Grohé: Rezension von: Christopher Wright: Rembrandt. , München: Hirmer 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 1,

Rezension von:

Stefan Grohé
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr