Rezension
Erst in jüngerer Zeit wurde in der kunsthistorischen Forschung die Malerei als Thema der Malerei wieder neu entdeckt. Unter verschiedenen Blickwinkeln wird immer häufiger der Frage nachgegangen, auf welche Weise sich die Malerei in der Geschichte der Kunst selbst thematisiert hat und was daraus jeweils über ihre Theorie und Praxis, ihren Status und ihr Selbstverständnis zu erfahren ist. In diesen Zusammenhang gehört die gemeinsame Publikation des Philosophen Hermann Ulrich Asemissen und des Kunsthistorikers Gunter Schweikhart (Malerei als Thema der Malerei, 1994), aber auch Victor I. Stoichitas Untersuchung über den Ursprung der sogenannten Metamalerei (Das selbstbewußte Bild, französische Erstauflage 1993). Derzeit rücken verstärkt produktionsästhetische Perspektiven in den Blickpunkt, die unter anderem der Frage nachgehen, inwieweit durch eine exponierte Machart ein selbstreferenzielles Moment in der Malerei angelegt ist. Auch werden Arbeiten über die Selbstdarstellungen von Künstlern in ihren Bildnissen zahlreicher, deren Beginn Hans-Joachim Raupps ikonologisch ausgerichtete Doktorarbeit zum niederländischen Künstlerporträt markiert (1984). Wegweisend setzten sich darüberhinaus Martin Warnke und Oskar Bätschmann mit den verschiedenen Sozialtypen- dem Hofkünstler (1985) bzw. Ausstellungskünstler (1997) - auseinander.
Nachdem Matthias Winner bereits 1957 seine Untersuchung zu Pictura-Allegorien (Dissertation Köln) abgeschlossen hatte, betrat Költzsch mit seiner Dissertation über Maler und Modell, mit der er 1970 bei J. A. Schmoll gen. Eisenwerth in Saarbrücken promoviert wurde, ein ähnliches Forschungsfeld. Das reiche Material, das er für seine Studie vor allem im Rijksbureau voor Kunsthistorische Dokumentatie in Den Haag recherchierte, blieb jedoch für dreißig Jahre unpubliziert. Einen gewissen Ersatz bot der von Költzsch verfasste Katalog für die Ausstellung "Maler und Modell" in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (1969), der seitdem als Einstieg zu diesem Thema viel zitiert wurde. Vermutlich wegen des jüngst neu erwachten Interesses entschloss sich Költzsch nun doch zu einer Publikation seiner Doktorarbeit, wobei er - nach Auskunft des Vorworts - den Anmerkungsteil verkürzte und die Abbildungen auf ein Drittel (ca. 200) beschränkte.
In einer tour d'horizon verfolgt der Autor in drei Hauptteilen die Entwicklung des Themas südlich und nördlich der Alpen in Italien, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Der zeitliche Rahmen umspannt das 15.bis 17. Jahrhundert, wobei auch die Vorgeschichte in der Antike Berücksichtigung findet. Die Entstehung der Atelierthematik ist in der frühen Neuzeit mit den Darstellungen des Patrons der Malerzünfte, des hl. Lukas verbunden, von dessen Hand - entsprechend der Legende des Theodoros Anagnostes - ein Bild der Gottesmutter stammte. Zunächst waren Bilder des die Madonnamalenden Heiligen vor allem in den Niederlanden geläufig, wobei das in mehreren Fassungen überlieferte Gemälde Rogier van der Weydens(um 1434/35, Boston, Museum of Fine Arts) als viel rezipiertes Schlüsselwerk zu begreifen ist. Etwas später entstanden Gemälde mit dem Malerheiligen in Deutschland und schließlich auch in Italien. Insbesondere Vasaris Umsetzung des Themas (nach 1567, Florenz, Sta. Annunziata), in der dem Heiligen in einer Vision die Muttergottes erscheint, kündigt bereits ein neues Künstlerselbstverständnis an, das den Maler gleich dem Dichter als göttlich inspiriert und mit Ingenium begabt versteht. Költzsch kann zeigen, daß die Umsetzung der Legende stark von dem Selbstverständnis der Künstler abhängig ist, die sich auf immer neue Weise mit den Malerheiligen identifizierten. In Heemskercks zweiter, in Italien entstandener Fassung (nach 1553, Rennes, Musée des Beaux-Arts) ist Lukas ebenfalls bereits zum Renaissancekünstler geworden, der sich durch theoretische Kenntnisse qualifiziert, auf die das Anatomiebuch im Vordergrund und der Statuenhof im Hintergrund verweisen.
Den großen antiken Vorbildern Zeuxis und Apelles wendet sich der Autor im zweiten Kapitel zu, die besser geeignet waren, das neue Selbstverständnis des Künstlers im 16. Jahrhundert zum Ausdruck zu bringen. Mit der berühmten Anekdote, in der Zeuxis für das Bild der schönen Helena fünf Jungfrauen als Modell nimmt, von denen er jeweils die schönsten Körperteile auswählt (Xenophon, Mem. III, 10,2), konnte das neue theoretische und praktische Verhältnis von Kunst und Natur reflektiert werden. Dabei gibt Költzsch eine erste Gesamtinterpretation von Domenico Beccafumis Deckenfresko im Palazzo Bindi-Segardi in Siena (1524-27/28), das im Mittelteil neben der Enthaltsamkeit des Scipio die erste außerhalb der Buchmalerei bekannte Darstellung von Zeuxis mit den krotonianischen Jungfrauen zeigt. Zeuxis, der seine Wahl auf der Grundlage der Erkenntnis des Besten getroffen hat, ist hier im Zusammenhang des herrscherlichen Tugendspiegels zu verstehen. Noch wichtiger als Zeuxis wurde mit dem Erblühen der Hofkunst seit dem 16. Jahrhundert als Identifikationsfigur Apelles, wofür an erster Stelle Francesco Primaticcios Wandgemälde in Fontainebleau von Apelles und Campaspe (um 1542/43 ) für das Gemach der Mätresse Franz' I., Madame d'Estampes, steht. Indem Alexander seine Geliebte Campaspe seinem Hofmaler Apelles zum Geschenk machte, der sich anlässlich einer Modellsitzung in sie verliebte, konnte das große Ansehen der Künstler, das sie mehr und mehr auch in höfischen Kreisen gewannen, vermittelt werden. Die Anekdote eignete sich gleichermaßen zur Verherrlichung des edelmütigen, kunstsinnigen Fürsten, wie zur Panegyrik des Malers, da Alexander, der "nur" das Bildnis Campaspes behielt, damit der Malerei gewissermaßen den Vorzug vor der lebenden Schönheit gab.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erfuhr das Thema Maler und Modell dann eine weitere Entwicklung, indem die künstlerische Bedeutung der Modellszene in den Vordergrund trat. Sowohl in Italien als auch in den Niederlanden wurde das Aktzeichnen, das in den Ateliers und den "Akademien" der Künstler als Grundlage der Zeichenübung propagiert wurde, zu einem häufigen Sujet. Schließlich widmet sich Költzsch auch den berühmtesten und komplexesten Atelierdarstellungen des 17. Jahrhunderts: Diego Velázquez' "Las Meninas" und Jan Vermeers "Schilderconst", wobei er - wie er bereits in seinem Vorwort ankündigt - für letzteres eine erweiterte Interpretation beabsichtigt.
Der methodische Charakter der Publikation zum Thema Modell und Maler ist ambivalent. Wenn der Autor auch immer wieder eine historisch-kritische Herangehensweise verfolgt, wie etwa bei seiner Interpretation von Beccafumis Zeuxisdarstellung, indem er die politische Situation Sienas und die zeitgenössische kunsttheoretische Diskussion für seine Deutung berücksichtigt, so bevorzugt er grundsätzlich eine strukturanalytisch bzw. phänomenologisch orientierte Betrachtungsweise. Dabei versucht Költzsch gleichsam eine "übersetzung" der Bilder in eine abstrahierende Sprache, die sich manchmal zu weit von den Gemälden und ihrem historischen Kontext löst. So verbindet er etwa die Visionsdarstellungen der Maria auf den Lukas-Bildern mit Velázquez' "Las Meninas" und deutet im Analogieschluss den schimmernden Spiegel im Hintergrund als eine Art "Schein-Vision" des Herrscherpaares. Die Fährnisse des phänomenologischen Ansatzes zeigen sich auch in seiner vor allem auf Hans Sedlmayr aufbauenden Deutung zu Vermeers "Schilderconst". Nach Költzsch verleiht das altertümlich wirkende Kostüm des Malers und die retrospektive Landkarte hinter der Personifikation der Klio, die die Niederlande vor ihrer Teilung wiedergibt, dem Gemälde "Zeitfreiheit"; ebensowenig wie ein bestimmter Maler zu einer bestimmten Zeit dargestellt werde, gehöre das Atelier einer bestimmten Epocheo der Landschaft an, womit Vermeers Bild eine Allegorie darstelle, die zeitenthoben die gesamte niederländische Malerei vergegenwärtige.
Die Irritation, die der heutige Leser bei solchen Interpretationen verspürt, resultiert freilich vor allem aus der verzögerten Drucklegung der Arbeit. Zudem muß erwähnt werden, daß die Forschung in einzelnen Bereichen weiter vorangeschritten ist. Alles in allem bildet Költzschs Untersuchung dennoch einen Gewinn für den Leser, der an Fragen der "Kunst über Kunst" interessiert ist, nicht zuletzt aufgrund des reichen Materials und des weiten Bogens, der vom Spätmittelalter bis zum 17. Jahrhundert gespannt wird.
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