Rezension
Festschriften gehören gemeinhin zur Gattung der schwer verkäuflichen wissenschaftlichen Publikationen. Eine dreibändige Ehrung durch über 60 Autoren scheint rekordverdächtig zu sein. Um es vorwegzunehmen, mit dieser Festschrift für Thomas W. Gaehtgens, dessen erster Band hier besprochen werden soll, ist ein spannendes Lesebuch entstanden, das eine breite Leserschaft finden wird.
Den drei Herausgebern, Uwe Fleckner, Martin Schieder und Michael F. Zimmermann ist es gelungen, eine übergreifende Thematik zu finden, die tatsächlich dem Wirken des Geehrten in idealer Weise entspricht."Kultureller Austausch" und "Kulturtransfer" kennzeichnen das Forschungsinteresse, die Zielsetzung und Leistung Thomas Gaehtgens, die im konsequenten Aufbau des Deutschen Forums für Kunstgeschichte als Ort der Begegnung von französischen und deutschen Forscherinnen und Forschern mündet.
Die drei Bände zeichnen einen chronologischen Bogen der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis in die Moderne. Der erste Band, bearbeitet von Martin Schieder, versammelt unter dem Titel "Inszenierung der Dynastien" Beiträge, welche sowohl die Faszination der französischen Kultur für die europäischen Höfe des 18. Jahrhunderts als auch die Rezeption deutscher Kunst in Frankreich untersuchen.
Im einleitenden Text Schieders werden nicht nur die historischen Konstellationen rekapituliert, welche die Wirkungen französischer Kultur bestimmten, sondern auch der Anspruch der Festschrift umrissen. Das methodologisch komplexe Feld von Identität, Transfer, Aneignung und Transformation von Kunst im Wechselspiel mit politischen Interessen und Ansprüchen wird konkretisiert. Den Trägern und Mechanismen des Austausches gilt das Interesse, das nach der spezifischen Rolle der Kunst fragt. Dabei wird die Hoffnung geweckt, dass Differenzierungen zur allgemeinen und nebulösen Rede vom "Einfluss" greifbar werden könnten. Schieder eröffnet zunächst den Blick auf die Vielfalt der Transfer-Medien, von der Auseinandersetzung mit der französischen Sprache, der Reisetätigkeit nach Frankreich als Rezeptionsgeste, den Portraitaufträgen und dem emblematischen Charakter von Architekturzitaten, bis hin zu den Galerien und Kunstagenten und schließlich zum Künstler als Träger und Vertreter kultureller Identität. Die Frage, auf welche Schieders Sammlung von Perspektiven zusteuert, erweist sich als ebenso wichtig wie schwierig zu beantworten: Was verstehen wir konkret unter Kulturtransfer? Was geschieht, wenn ein Stil kopiert wird? Welche Umdeutungen sind zu verfolgen in der Aneignung fremder Ausdrucksformeln? Unser Vokabular zeigt die Aktualität der Fragestellung ebenso wie die damit verbundene Unsicherheit an: "Nachahmung","Kopieren", "Aneignung", "Uminterpretation", "Vermischung". Es muss zunächst eine Arbeitsthese bleiben, dass es sich wohl um "einen höchst differenzierten Prozess der interkulturellen Interaktion und Akkulturation" handle (S.45).
Durch die große Anzahl der Autoren (nicht weniger als 22) sind die Texte ausgesprochen kurz, was zum Stöbern in den überraschend lesefreundlichen, exemplarischen Studien einlädt. Eine Erwähnung aller Essays kann hier nicht geleistet werden. Die Beiträge sind als Einzeluntersuchungen zu verstehen, die anhand eines Werkes, interessanter Schlüsselfiguren, programmatischer Publikationen oder besonderer historischer Konstellationen die übergeordneten Fragen verfolgen. Es fällt dabei auf, dass die Untersuchungen allzu bekannte Objekte meiden; die wahren Funde liegen jenseits der ausgetretenen Pfade. Auch wenn eine ganze Reihe von Beiträgen historische Analysen darstellen, zieht sich der Anspruch, Kunst nicht nur als Symptom, sondern auch als ein Medium des kulturellen Austausches zu betrachten, durch den Band. Wie vielfältig diese Frage zu stellen ist, zeigt der wechselnde Fokus. Der überzeugend demonstrierte und zentrale Ansatzpunkt der Anthologie scheint im genauen historischen Nachzeichnen von Rezeptionsmustern und Bedingungen zu bestehen.
Ein nahe liegender Zugang führt über die ineinander greifenden Diskurse der französischen und deutschen Kunstliteratur. Die Funktionalisierung eines französischen kunsttheoretischen Textes in einem deutschen Kontext beschreibt etwa Oskar Bätschmann für Theodor Gerickes übersetzung des Lehrgedichtes von Charles-Alphonse du Fresnoy, die 1699 strategischen Zielen innerhalb der Akademie in Berlin dienlich war. Kunsttheoretischen Transfers widmet sich auch Christian Michels Beitrag zur "Encyclopédie méthodique: Beaux-Arts", der aufzeigt, wie das letzte im Ancien Régime erschienene Nachschlagewerk auf die Texte deutscher Autoren zurückgriff. In detaillierter Form werden die aus der deutschen Kunstliteratur übernommenen Artikel mit den französischen verglichen.
Eine andere Ebene verfolgt die gegenseitige Wahrnehmung, Wertschätzung und Rezeption der Kunstproduktion. Edouard Pommier beschreibt etwa die französische Rezeption Dürers in der Kunstliteratur. Auch Michel Laclottes Untersuchung zum kurzen Zeitraum, den Altdorfers "Alexanderschlacht" in Frankreich nachweisbar ist, geht von der Ebene des quellenschriftlich belegten Interesses Denons an dem Gemälde, seiner Ikonographie und seinem Stil aus. In dieser Linie steht ebenfalls Pierre Rosenbergs Untersuchungzu einer gegenläufigen Rezeptionsrichtung, die Wahrnehmung der Kunst Chardins in Deutschland. Barbara Gaehtgens folgt der nahe liegenden und in ihrer Logik bestechenden Frage nach den Konsequenzen eines Kontextwechsels für ein Kunstwerk.
Die Durchdringung der kulturellen Traditionen, Interessen und Sprachen sind jedoch auch im einzelnen Werk nachzuweisen. überzeugend zeigen zahlreiche Analysen, wie diejenige von Sybille Ebert-Schifferer, welche das Bildnis des Moritz von Sachsen von Jean-Marc Nattier untersucht, die Fruchtbarkeit eines Ansatzes, der über die historischen Bedingungen zur künstlerischen Praxis vordringt.
Der Segen der kurzen, exemplarischen Studien mag gleichzeitig ihre Grenze sein. Denn die methodologischen Fragen, die Studien zum Kulturtransfer aufwerfen, können damit nicht befriedigend beantwortet werden. Die wohl bekannten Differenzen zwischen französischer und deutscher Forschung treten erstaunlich wenig hervor - vielleicht ist dies ja auch ein gutes Zeichen. Immer wieder wird auf die Chance hingewiesen, die in übergreifenden, französisch-deutschen Forschungsprojekten liegen würde, um die aufgeworfenen Fragen weiter und in vertiefter Form zu verfolgen.
Das weite Netz von Freundschaften und übergreifenden Projekten des Geehrten wurde als Chance begriffen, einen repräsentativen Querschnitt durch die französischen und deutschen Forschungen zur Thematik des Kulturaustausches zwischen Frankreich und Deutschland zusammenzustellen. Ein Desiderat bleibt dabei anzumerken: Vergeblich sucht man nach einer kurzen Vorstellung der illustren Runde, Verweise auf ihre Forschungen und ihre institutionelle Anbindung. Zumal es hervorzuheben gilt, dass auch interdisziplinäre Ansätze vertreten sind. Die Neugier ist jedoch geweckt und es wird deutlich, dass eine gesteigerte wechselseitige Wahrnehmung der französischen und deutschen Forschung und ihrer Methoden die Kunstgeschichte weiterbringen kann.
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