Rezension

Hermann Bauer: Barocke Deckenmalerei in Süddeutschland. Photographische Aufnahmen Wolf-Christian von der Mülbe, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Barocke Deckenmalerei in Süddeutschland
rezensiert von Ulrich Heinen, Bergische Universität, Wuppertal

Mit dieser prachtvollen Einführung in die süddeutsche Deckenmalerei des Barock hinterlassen der Kunsthistoriker Hermann Bauer und der Kunstphotograph Wolf-Christian von der Mülbe ein eindrucksvolles Destillat ihrer langjährigen Zusammenarbeit. Autor und Photograph haben die Publikation nicht mehr erlebt. Wolf-Christian von der Mülbe, der bereits in seinen Arbeiten für das "Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland" Maßstäbe der Photographie barocker Decken gesetzt hat, war am 1. November 1997 verstorben, Hermann Bauer, Herausgeber der berühmten Corpus-Reihe, starb am 22. Januar 2000, als das Buch im Druck war. Wie ein Vermächtnis verdichtet das Buch seinen Gegenstand in fasslicher Form.

Zunächst erschließt Bauer auf knapp 25 Seiten mit dem ihm eigenen Vermögen zur systematisierenden Didaktik - seine "Kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte" ist in dieser Hinsicht wohl unübertroffen - alle wichtigen Grundsatzaspekte barocker Deckenmalerei der süddeutschen Kunstlandschaft. Ausgehend von konkreten Quellen entwickelt Bauer einen idealtypischen Entstehungsprozess solcher Monumentalgemälde und schließt eine Typologie der Bildkonzepte an: Am Anfang standen meist Skizzen. Modelli, die auch dreidimensional ausgeführt werden konnten, dienten als Grundlage von Auftraggeberverhandlungen. Besondere Sorgfalt galt in der Deckenmalerei der perspektivischen Illusion. Für deren Konstruktion und technische Projektion an die Deckengewölbe war vor allem Pozzos Perspektivtraktat (1693) einschlägig.

Dagegen waren gedruckte Anleitungen für die Maltechnik erst spät verfügbar, geben aber der Forschung wichtige Hinweise auf Werkstattkonventionen. Die Deckenmaler nutzten eine große Bandbreite von Techniken, die von der Variation der Bildgründe zwischen Kalkmörtel und Gips bis zur Wahl zwischen Fresko- und Seccomalerei reicht, letztere gelegentlich gar in öl. Die hierbei erkennbare Vorliebe für die auf weißen Grund aufgebrachte Seccomalerei bringt Bauer in Verbindung mit dem zentralen Inhalt barocker Deckenmalerei, der öffnung des Himmels: "Der Malgrund, der helle Kalkmörtel, ist nicht etwas, das im Malprozeß mehr oder weniger überdeckt wird, sondern Inhalt, eben die Helligkeit des himmlischen Firmaments." Eine zeitgenössische Liste der Pigmente, die sich mit dem basischen Milieu des Kalkmörtels verträgt, macht deutlich, mit wie begrenzter Palette die Freskanten die Vielfalt ihrer Licht- und Farbwirkungen erreichten. Die handwerkliche Bravour macht schließlich der Hinweis auf die enormen Flächen deutlich, die ein Maler unter den unzulänglichen Arbeitsbedingungen vormoderner Baustellen in einem Tagwerk bewältigte.

Eine akademische Ausbildung ist selten. Zumeist war vielmehr eine traditionelle Handwerkslehre die Basis solcher Leistungen. Neben den Höfen verschafften dann vor allem die exemten Klöster die zur künstlerischen und wirtschaftlichen Entfaltung nötige Freiheit von den Zunftordnungen. Detailliert informiert Bauer auch über die Bezahlung, deren enorme Spannbreite meist den Qualitätsschwankungen der Werke entsprach. Die bestbezahlten Künstler waren dabei die bei besonders prestigeträchtigen Projekten engagierten Italiener. Mit der neuen Forderung nach "edler Simplizität" und strengerem Finanzregime verliert die Gattung dann um 1770 an Boden. Statt der alles Irdische transzendierenden Illusionen dominieren nun biblisch-veristische Bildzyklen, die nicht mehr der Decke als Auftrittsort bedürfen.

Einem Tiepolo gestand man durchaus auch inhaltliche Planungskompetenz zu. Meist aber wurden die Bildkonzepte von den Auftraggebern festgelegt. Grundlage der Konzeptionsplanung waren wie in den anderen Bildgattungen der frühen Neuzeit die Konventionen der Symbolik, Hieroglyphik und Emblematik. So erfüllten auch die barocken Deckenbilder die Ansprücheder stummen Poesie, Rhetorik oder Predigt [Vor dem von Bauer erwähnten F. Büttner (1989) widmet sich diesen Aspekten insbesondere C.-P. Warncke: Die Seele am Kreuz, in: Vestigia Bibliae 2, 1980, 159-202; ders.: Sprechende Bilder - sichtbare Worte, Wiesbaden 1987].

Dass inhaltliche Vorgaben die barocke Deckenkunst nicht einengten, sondern vielmehr erst grundlegten, macht Bauer eindrucksvoll deutlich, entwickelt sie sich doch in der gesteigerten theatralischen Inszenierung symbolischer Bildsprache, deren thematischen Gehalt visuell entfaltend. In einem raffinierten Spiel von Verhüllung und Enthüllung verleiht sie den komplexen Allegorien neue Dynamik und eine überwältigende Wirkung.

In der gemeinsamen Funktionalisierung der Decke als Erscheinungsort himmlischen Lichts durchdringen sich Profan- und Sakralikonographie nun auch gestalterisch. Aus dem Kontrast zwischen der den Schwerkräften unterworfenen Architektur des realen Raumes und der imaginären öffnung der jeden konkreten Raumbezug aufhebenden Deckenmalerei sowie aus dem damit verbundenen thematischen Kontrast zwischen himmlischen Erscheinungen und der realen oder gemalten Alltagswelt entwickelt sich die Gattungsgeschichte.

Immer wieder feiern Decken die Herrschaft der Providentia, die seit der Spätrenaissance zur zentralen Kategorie der Geschichtsdeutung wird. Klöster lassen sich als Vollendung eines ewigen göttlichen Heilsplans verherrlichen, um ihre zunehmend umstrittenen Herrschafts- und Besitztraditionen zu rechtfertigen. Weltliche Herrscher inszenieren sich im selben Glanz der zum Himmel aufbrechenden Barockdecken als Erfüller eines neuen goldenen Zeitalters. In weiser Beschränkung bleibt Bauer hier bei der Befundfeststellung und unterliegt nicht der Versuchung, in solcher Inflation des Providentia-Arguments etwa ein Brüchigwerden der Herrschaftsverhältnisse zu diagnostizieren.

Mit der Krise der allegorischen Darstellung und der Wiederkehr eines neuen Verismus endet vor 1800 auch die formale Entwicklung der Barockdecke.An die Stelle der in steiler Untersicht gesehenen imaginären öffnung des Realraums, treten nun wieder "Quadri riportati", die ebenso an den Wänden angebracht sein könnten.

All diese Aspekte seiner Grundsatzdarstellung unterlegt Bauer aus reicher Kenntnis der Quellen und Zeugnisse mit treffsicher gewählten Beispielen. So wird das, was in einer kunsthistorischen Rezension wie eines jener rohen Lattenroste erscheinen mag, auf die man den Unterputz der Fresken aufzubringen pflegte, bei Bauer zu einem spannenden und an Neuigkeiten reichen Gemälde.

Nach dieser systematischen Darstellung gibt Bauer auf weiteren knappen 30 Seiten eine übersichtliche Entwicklungsgeschichte der süddeutschen Barockdecke anhand eines chronologisch geordneten Kompendiums der wichtigsten Freskanten. Auch hier ist es Bauers reiche Quellenkenntnis, die ein abgewogenes Urteil etwa über die Eigenheiten der süddeutschen Entwicklung und die Anleihen bei italienischen Künstlern zulässt.

Zwei Drittel seines Umfangs überlässt das Buches dann aber dem vorzüglich ausgewählten Katalog mit seinen ganzseitigen, meist farbigen Abbildungen. Bauers Katalogbeiträge sind aufs Beste mit dem Vorangegangen abgestimmt. Gut lesbar fassen sie jeweils Auftragsgeschichte, künstlerische Vorbilder, spezifische Qualitäten des jeweiligen Deckensystems und ikonographische Erläuterungen zusammen.

Doch bereits beim Betrachten der im Katalogteil chronologisch geordneten Folge brillanter Photographien kann man eine umfassende Vorstellung der hier ausgebreiteten Materie gewinnen. Einige der hier publizierten Aufnahmen kennt man schon aus dem 'Corpus'. Die meisten aber hat von der Mülbe für diese Publikation neu aufgenommen. Es überwiegen Aufnahmen der zentralen Deckenspiegel, in denen die umgebende Architektur als begleitender Rahmen erscheint. Durchgängig ist dabei von der Mülbes Anspruch einer "objektiven" Aufnahme zu spüren. Eine gleichmäßige Ausleuchtung nivelliert ebenso wie eine fast verzerrungsfreie Aufnahmetechnik die tatsächliche Wölbung der Decke. So werden Gemälde, die in natura in ganz unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen ganz unterschiedliche Wirkungen entfalten, im Medium Buch erst als Werkgruppe vergleichbar gemacht. Stilentwicklungen und individuelle Eigenarten treten so überdeutlich vor Augen. Die Aufnahmen werden so zu einem eigenständigen Instrument kunsthistorischer Forschung. Bedenkt man die aus flächigen Entwürfen abgeleitete Konstruktion solcher Gemälde, hat eine solche Aufnahmetechnik ihre Berechtigung auch in den Werken selbst.

Neben solchen Abbildungen verweisen aber einige wenige Aufnahmen von schrägsichtigen Bildausschnitten oder von Decken in ihrem räumlichen Bezug darauf, wie sehr die Wirkung der auf gewölbten Flächen gemalten Bilder vom Betrachterstandort abhängt. Erst in der Abfolge unterschiedlicher Blickwinkel entwickeln solche Bilder im baulichen, dekorativen und liturgischen Kontext ihre medienspezifische Argumentation. Ein überblick über die barocke Deckenmalerei in Süddeutschland hätte solche Aspekte nur auf Kosten der übersichtlichkeit des Buches berücksichtigen können, widersetzt sich deren Darstellung dem Medium Buch doch prinzipiell [vgl. etwa den schon klassischen Versuch von I. Lavin: Bernini and the unity of the visual arts, 1975]. So läßt sich das Buch gerade in der überwältigenden Brillanz seiner Abbildungen nicht zuletzt als ein Appell lesen, immer wieder die Originale zur Grundlage kunsthistorischer Lektüre zu nehmen.

Als würdiges Epitaph der Zusammenarbeit eines Kunsthistorikers und eines Photographen schließt das Werk mit einer Szene aus Guglielmis zentralem Deckenfresko des Schaezler-Palais in Augsburg: Fama trägt die weltumspannende Macht der europäischen Kultur in alle Erdteile.


Ulrich Heinen

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Ulrich Heinen: Rezension von: Hermann Bauer: Barocke Deckenmalerei in Süddeutschland. Photographische Aufnahmen Wolf-Christian von der Mülbe, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 1,

Rezension von:

Ulrich Heinen
Bergische Universität, Wuppertal

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr