Rezension

Sibylle Appuhn-Radtke: Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu. Johann Christoph Storer (1620-1671) als Maler der katholischen Reform, Regensburg: Schnell & Steiner 2000,
Buchcover von Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu
rezensiert von Gabriele Wimböck, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Ganz im Gegensatz zu ihrem italienischen Verwandten fristet die Forschung zur deutschen Malerei des Barock immer noch ein Schattendasein. Seit den grundlegenden Arbeiten Hans Tintelnots in den 50er Jahren haben sich bislang nur wenige Forscher — zu nennen sind vor allem Christian Klemm oder Rüdiger Klessmann — darum verdient gemacht, die weißen Flecken auf der Karte deutscher Barocklande zu beseitigen. Zu ihnen darf nun auch Sibylle Appuhn-Radtke gezählt werden. Mit zahlreichem neuem Archiv- und Bildmaterial, dargeboten in einem opulent ausgestatteten Band, widmet sie sich in ihrem Buch, das auf ihrer an der Universität Erlangen eingereichten Habilitationsschrift beruht, Leben und Werk des Konstanzer Malers Johann Christoph Storer (1620-1671). Sein Wirken fiel in die Blütezeit barocker Sakralkunst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Anders als ihre Vorgänger wendet sich die Autorin aber von der traditionellen Form kennerschaftlichen Arbeitens ab und folgt einem neuen Bestreben im Bereich der Künstlermonografien, bei dem Werk und künstlerische Entwicklung unter ausgewählten Fragestellungen beleuchtet werden. Am Beispiel Storers verfolgt sie eine Problemstellung, die spätestens seit dem grundlegenden Werk von Wittkower/Jaffe (Baroque Art: the Jesuit Contribution, New York 1972) in der Barockforschung präsent ist: die Frage nach den Strukturen der Kunstförderung und den Erscheinungsformen von Bildern im Jesuitenorden, in diesem Fall in der oberdeutschen Ordensprovinz. Deshalb konzentriert sich die Autorin auf die Konstanzer Schaffensperiode des Malers, in der die Strukturen kirchlicher Auftragsvergabe am deutlichsten zu beobachten sind. Auch der umfangreiche und reichhaltige Katalogteil im Anhang umfasst nicht das Gesamtwerk, sondern beschränkt sich auf die Bilder des für die Fragestellung relevanten Zeitraums.

Wie sich feststellen lässt, sind die Bereiche in ihrer Untersuchung allerdings nicht immer eng verzahnt: Zunächst wird die Frage nach jesuitischen Bildvorstellungen in einem eigenen Kapitel vorangestellt und erst im zweiten Teil zum Wirken Storers wieder resümierend aufgegriffen. Hier scheint sich zudem der zeitliche Abstand zwischen Abfassung und Drucklegung bemerkbar zu machen. Die Forschung zu den Funktionen religiöser sowie speziell jesuitischer Kunst – gerne unter dem Schlagwort des 'delectare – movere – docere' zusammengefasst — hat in den letzten Jahren erhebliche Forschritte gemacht (nicht zuletzt durch die Autorin selbst), so dass der erste Abschnitt einen gut lesbaren, aber hauptsächlich Bekanntes zusammenfassenden überblick bietet. Vielmehr sind vor diesem Hintergrund Werk und Leben des 1620 als Sohn des Konstanzer Malers Bartholomäus geborenen Storer zu sehen, der bereits seine schulische Ausbildung bei den Jesuiten erhielt, in späterer Zeit enge Kontakte zu namentlich nachweisbaren Patres pflegte und zahlreiche Aufträge für Niederlassungen des Ordens in der oberdeutschen Provinz ausführte. Als Grundlage für die späteren Ausführungen werden dem Leser kurz die Ausbildungsjahre und die Tätigkeit in Mailand dargelegt. Seine Lehre absolvierte Storer vermutlich im angesehenen Augsburg. Nach dem Tod des Vaters für kurze Zeit nach Konstanz zurückgekehrt, orientierte er sich kurz darauf Richtung Italien und siedelte nach Mailand um. Inmitten der nach dem Tod Federico Borromeos brachliegenden Kunstszene schloss sich der junge Maler der Werkstatt Ercole Procaccinis (dem Bruder des bekannteren Giulio Cesare Procaccini) an, machte sich aber schnell selbstständig. Bekanntheit erlangte er durch Entwürfe für Festdekorationen des spanischen Herrschaftshauses (z.B. Triumpharchitektur für Maria Anna von österreich), die teilweise in Reproduktionsstichen verbreitet wurden. Dekorationen für Privatpaläste (z. B. Palazzo Terzi/Bergamo) bzw. sakrale Ausstattungen (z.B. Certosa di Pavia, Rosenkranzkapelle) folgten rasch.

Zum Ende der 40er Jahre griff Storer auch häufig zur Radiernadel und wurde so mit dem druckgraphischen Medium vertraut, für das er später äußerst erfolgreich Entwürfe liefern sollte. Seit 1652 bereitete sich Storer auf die Rückkehr nach Konstanz vor. Wie andernorts hatte sich auch dort die allgemeine Lage nach dem Westfälischen Frieden beruhigt und das künstlerische Leben kam wieder in Gang. Mit diesem Teil des Buches beginnt die eigentliche Fragestellung zu greifen: Deutlich wird, wie die Strukturen kirchlicher Auftragsvergabe den Erfolgsweg Storers prägten. Er richtete seine Werkstatt im elterlichen Anwesen ein. Gleichzeitig bekleidete er erfolgreich mehrere ämter im städtischen Gemeindewesen. Diese (Neben-)Tätigkeit erforderte dauerhafte Anwesenheit vor Ort und wirkte sich maßgeblich auf seine künstlerische Produktion aus: Nach 1655 zog er sich aus der Freskendekoration zurück und fertigte nur mehr Leinwandbilder, die auch über weite Strecken leicht zu transportieren waren. Thematisch beschränkte er sich weitgehend auf Heiligenbilder und religiöse Historien. Um die steigende Auftragslage zu befriedigen, bediente sich Storer gut eingespielter Werkstattstrukturen. Entwürfe wurden wiederverwendet oder Kopien nach ausgelieferten Altarbildern gefertigt. Seine Mitarbeiter sind kaum archivalisch belegt, doch werden durch Appuhns Arbeit mehrere Namen greifbar, die ein neues Licht auf die künstlerischen Verflechtungen im süddeutschen Raum werfen: Neben Johann Bösinger, Johann Glückher und Johann Ackert, deren Bilder die Abhängigkeiten von Storers Bilderfindungen und ihr Verbreitungspotential erkennen lassen, erscheinen auch bekanntere Künstler wie der Maler Andreas Asper im Umfeld des Konstanzers. Die vielschichtigen Mechanismen der Auftragsvergabe werden anhand der teilweise umfangreichen Korrespondenz mit Auftraggebern illustriert, mittels Graphiken und Tabellen gezeigt, in welch umfangreichem Radius Storers Auftraggeber nördlich der Alpen angesiedelt waren (87), mehr noch aber, wie stark die Auftragsvergabe von seinen Beziehungen zum Jesuitenorden abhängig war (115): Die große Flexibilität, die der Orden von seinen Mitgliedern verlangte, brachte einen hohen Grad an Informationsaustausch. Künstler, die den Vorstellungen der Patres entsprachen, wurden zwischen den einzelnen Niederlassungen weiterempfohlen. Der erste nordalpine Auftrag für die Jesuitenkirche in Luzern könnte noch Verbindungen aus der Mailänder Zeit entsprungen sein. Eine bedeutendere Rolle aber spielte das Kolleg in Dillingen, deren einflussreiche Patres ihn an befreundete Ordensniederlassungen weiterempfahlen. Neben der Altarbildproduktion war er vor allem gefragt als Entwerfer gelehrter allegorischer Druckgraphiken für Thesenblätter. Der rasche wirtschaftliche Aufstieg Storers lässt sich in den städtischen Steuerbüchern nachweisen (92), auch die Bildpreise zeugen von der Beliebtheit seiner Bildentwürfe, die bis über seinen Tod 1672 anhielten.

Im letzten Teil des Buches schließt die Autorin den Kreis zum ersten Kapitel und nimmt sich der Frage an, inwieweit die jesuitische Auftraggeberschaft auch ihre Spuren in Bildthemen und -formen hinterlassen hat. überzeugend weist sie in einem überblick über die Formen der Hauptaltarretabel nach 1650 eine Form der Altarkonstruktion als typisch für jesuitische Kirchen der oberdeutschen Provinz aus. Auch die enge Verbindung des thematischen Bildrepertoires Storers mit Szenen aus dem Marienleben, der Hl. Familie oder Ordens- und Lokalpatronen zu den zentralen Glaubensfragen der Societas Jesu bzw. der unübersehbare Einfluss der gelehrten Ordensleute auf die vielschichtigen Thesenblätter- und Buchtitelallegorien leuchtet ein. Nur der Feststellung, dass hinter Storers einfachen Kompositionen eine bewusste Reflexion (jesuitischer) Bildvorstellungen steckt, dass die Bilder etwa als "Lehrtafeln ihres Bildinhalts", nicht als "autonome Kunstwerke" erscheinen sollen, wird man erst glauben wollen, wenn weitere — hoffentlich ähnlich gründliche — Untersuchungen vorliegen, die das Wissen um die Malerei des deutschen Barock vervollständigen helfen.


Gabriele Wimböck

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Gabriele Wimböck: Rezension von: Sibylle Appuhn-Radtke: Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu. Johann Christoph Storer (1620-1671) als Maler der katholischen Reform, Regensburg: Schnell & Steiner 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 1,

Rezension von:

Gabriele Wimböck
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr