Rezension

Andreas Beyer: Parthenope. Neapel und der Süden der Renaissance, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Parthenope
rezensiert von Michael Rohlmann, Rom

Nach dem Sieg über die Anjou regierte seit 1442 in Neapel die Dynastie der Aragonesen. Um die spanische Herrschaft abzusichern, restituierten der Stadt König Alfonso I., seine Mitstreiter und Nachfolger als Ausgleich für reale Fremdbestimmung einen antiken Gründungsmythos als lokale Identität: die Geschichte der griechischen Stadtgründung am Grabmal der Sirene und Nymphe Parthenope. Damit setzten sich die Aragonesen programmatisch von ihren Anjou-Vorgängern ab, die Neapels griechischer Vergangenheit indifferent bis ablehnend gegenübergestanden hatten. Formal durch die Aufnahme lokaler und griechischer Architekturmotive und inhaltlich durch die Evozierung Parthenopes an zentralen Stellen und Monumenten der Stadt gewann so die Renaissance in Neapel ein eigenes Profil: bei dem Triumphportal des Castel Nuovo, dem Carafa-Palast in der Stadt und den Villen von Poggio Reale und La Duchesca. So lautet zusammengefaßt die These von Andreas Beyers geschmackvoll gestaltetem Neapel-Buch, dessen Inhalt auf die Habilitationsschrift des Autors zurückgeht.

Schon Hersey hatte das Bogenmonument der aragonesischen Residenzburg Castel Nuovo als Ausdruck einer Herrschaftspolitik Alfonsos verstanden, mit der der fremde König bewußt lokale Traditionen betonte: in der Form des Marmortors sei auf das legendäre Grabdenkmal der Parthenope angespielt. Beyer sieht eine Darstellung des Grabmals in dem Hauptrelief, welches Alfonsos Triumphzug in Neapel schildert: Der siegreiche neue Herrscher ziehe vor dem Parthenope-Monument in die Stadt ein. Genau drei Giebelbüsten zeige die Architektur: es könne sich daher dabei nur um Parthenope und ihre beiden Schwestern, die drei Sirenen handeln. Doch erinnert der Bau kaum an ein Grabmal und besitzt außerdem an den Schmalseiten zwei weitere Giebel für Büsten, in einem befindet sich noch heute ein Kinderkopf: eine Fünfer-, keine Dreiergruppe. Die von Beyer als Parthenope gedeutete Büste trägt zudem einen martialischen Schuppenpanzer, für eine Nymphe recht ungewöhnlich und in eklatantem Widerspruch zu dem von Alfonso anderweitig propagierten Bild einer unter seiner Regierung in friedvoller Ruhe selig schlummernden Stadtpersonifikation. Das Triumphrelief verweist wohl kaum auf das Parthenope-Grabmal, sondern diente Alfonsos Herrschaftslegitimation vielfältig mittels anderer Motive: In dem Triumphwagen brennt vor dem Thronenden eine Flamme, die in der Artussage einen Sitz der Tafelrunde für einen Würdigen frei gehalten hatte. Die Bürger Neapels tragen Alfonsos Baldachin, die Barone folgen im Zug, man zeigt allgemeines Einverständnis mit dem neuen Oberhaupt, ein ritueller ingressus in der Tradition päpstlicher Possesso-Prozessionen und nordischer entrées solennelles. Wie Alfonso den Triumphzug über dem Eingang seines Palastes präsentiert, so hatte die Bürgerschaft Neapels bereits das reale Relikt des Triumphzugs, den von ihr gestifteten Triumphwagen, auch an dem städtischen Regierungssitz, über dem Innenportal der Kirche von San Lorenzo dauerhaft erhöht: hier wie dort die Erinnerung an den Einzug über einem Eingang. Auch ließe sich Alfonsos Triumphtor in Tradition und Dekorum von Residenzportalen einordnen.

Alfonsos Vertrauter Diomede Carafa schmückte seinen neuen Stadtpalast reich mit antiken Skulpturen und lateinischen Inschriften. Beyer fragt zurecht nach Programmatik und Bedeutung. An den Fassadenecken sind hoch oben die Köpfe eines Mannes und einer Frau eingemauert. Den Frauenkopf kann Beyer als antikes Bildnis der Plotina identifizieren, der Mann ähnele in der Frisur zwar Trajan, sei aber keine Antike. Doch sollten diese Köpfe an Carafas Palast wirklich Parthenope und den mythischen griechischen Helden Diomedes darstellen, der an Parthenopes Grab Neapel gegründet habe? Eine mythologische Deutungsabsicht, und dabei zufällig zwei Kopftypen ausgewählt, deren antike menschliche Vorbilder verheiratet waren? Die Aragonesen hatten jedenfalls bewußt eine antike Trajansbüste in ihrem Palasthof aufgestellt, der erste aus Spanien gebürtige römische Kaiser diente ihnen auch sonst als propagandistisches Vorbild für ihre eigene dynastische Karriere als Spanier in Italien. Die Portalinschrift von Carafas Palast widmet seinen Bau ausdrücklich dem Aragonesen-König, führten die Eckköpfe dann nicht passend das Herrscherlob weiter aus? Beyers Parthenope- und Diomedes-These bezieht sich auf zwei Ausstattungselemente des Palasthofes: Eine Skulptur und eine Inschrift. Aber die inschriftliche Nymphenwarnung des Gartenportals nennt Parthenope nicht und bezieht sich inhaltlich auf die Gartenanlage. Auch den großen bronzenen Pferdekopf wird Carafa kaum als Hinweis auf seinen mythischen Namensvetter aufgestellt haben. Denn bei einer mythologischen Assoziation Pferd - Diomedes hätte man zunächst nicht an den vorbildlichen griechischen Helden Diomedes gedacht, sondern an den thrakischen Unhold Diomedes mit seinen menschenfressenden Rossen, dem einst Herakles den Garaus gemacht hatte. Carafas Pferdekopf steht im Hof vor dem Pferdestall und spielt dort auf ein anderes berühmtes Bronzepferd Neapels an, das im Mittelalter vor der Domfassade gestanden hatte und dessen Anblick dort der Legende nach mit Zauberkraft Pferde vor allen Krankheiten bewahren und heilen konnte. Der offensichtlichste Bezug Carafas auf die mythische Vergangenheit Neapels liegt in Carafas Vornamen Diomede, und den hatte er sich nicht selbst und zur Herrschaftslegitimierung der Aragonesen ausgewählt, sondern seine lokalpatriotischen Eltern unter der Regierung der Anjou.

In den beiden Villen Alfonsos II. endlich begegnet man weniger zweifelhaften Darstellungen Parthenopes, an ihrem angestammten Nymphenort als Brunnenbekrönung in Gärten. Aber ist dies Neapolitaner Lokalkolorit oder politische Propaganda? Dem Rezensenten erscheint bei dem Bogen von Castel Nuovo, bei Carafas Palast und bei den Villen zweifelhaft, ob die Aragonesen ihre Fremdherrschaft dort wirklich mittels des Parthenope-Mythos den Neapolitanern als "Ausgleichsangebot" schmackhaft machen wollten.

Regum princeps, rex hispanus siculus italicus, so ließ sich Alfonso am Triumphbogen nennen: die Herrschaft zielte über Neapel hinaus. Als neuer Trajan und neuer Artusritter adaptierte Alfonso nicht nur die Tradition und Motivwelt römischer Cäsaren oder lokale Formtraditionen Neapels, sondern er baute zugleich mit den Triumphtoren all'antica auch spanisch-spätgotische Säle, schmückte sie mit flämischen Salomon-Teppichen, stellte in der Palastkapelle ein Florentiner Altarbild auf, freute sich in seinem Privatgemach über ein kleines Triptychon Jan van Eycks. Aus Venedig suchte Alfonso Donatello zu gewinnen. Pisanello arbeitete für den König, zuletzt war er in Verona, Mantua, Ferrara tätig gewesen. Aus Perugia stammte ein Bronzegießer. Aus Ragusa kamen der Mailänder Bildhauer Pietro und Laurana. Der Donatelloschüler Andrea dell'Aquila hatte zuvor angeblich lange im Florentiner Medicipalast gearbeitet, Isaia da Pisa in Rom am Papstgrab Eugens IV., Domenico Gagini in Genua. Dazu kamen aus Spanien Maler, Architekten und Bauhandwerker, aus ganz Europa Musiker. Regum princeps, rex hispanus siculus italicus: Ambitionen, Horizont und Kunst des Aragonesenherrschers reichten über Parthenope hinaus.

Andreas Beyers klare und angenehm zu lesende Studie faßt eine oft verstreute Forschung klug zusammen. Informativ und pointiert bietet Beyer dabei eine Einführung zu einigen wichtigen Renaissancemonumenten Neapels. Mit dem Palazzo Carafa und seiner Antikensammlung fordert er für ein bislang vernachlässigtes Objekt endlich gebührende Aufmerksamkeit. Die Bedeutung Diomede Carafas für die frühe Antikenrezeption und -erforschung sollte von Beyers Essay ausgehend in Zukunft die Forschung verstärkt beschäftigen. Problematisch erscheint dagegen Beyers These einer stringenten aragonesischen Kunstpropaganda im Zeichen Parthenopes. Dabei versteht Beyer auch seine eigene Arbeit als "Beitrag zur Sicherung des parthenopaeischen Gedächtnisses", dies vor dem Hintergrund der Vernichtung eines großen Teils des Neapolitaner Staatsarchivs durch deutsche Soldaten im 2. Weltkrieg. Doch kann man eine vergleichbare Konstellation wirklich auf das Verhältnis von Aragonesen und Anjou zu Parthenopes Vergangenheit übertragen?


Michael Rohlmann

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Michael Rohlmann: Rezension von: Andreas Beyer: Parthenope. Neapel und der Süden der Renaissance, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Michael Rohlmann
Rom

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr