Rezension

Claudia Banz: Höfisches Mäzenatentum in Brüssel. Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517-1586) und die Erzherzöge Albrecht (1559-1621) und Isabella (1566-1633), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000,
Buchcover von Höfisches Mäzenatentum in Brüssel
rezensiert von Barbara Welzel, Universität Dortmund

Zunehmend findet die Hofforschung auch in der Kunstgeschichte Interesse. Schon Norbert Elias hatte ja in seinem mittlerweile klassischen Werk "Die höfische Gesellschaft" (1969) die Verfestigung höfischer Ordnungen in der Architektur thematisiert. Inzwischen ist das Spektrum von Fragen und Untersuchungsgegenständen breiter geworden. Immer stärker gelingt es, künstlerische Entwicklungen nicht nur als Spiegel und Resultat historischer und soziologischer Prozesse gelten zu lassen. Vielmehr vermag die Kunstgeschichte den Beitrag künstlerischer Werke, ikonographischer Formeln und symbolischer Imaginationen zu den historischen Prozessen herauszustellen. Nicht zuletzt kulturwissenschaftliche Paradigmen eröffnen der Kunstgeschichte wichtige Felder im interdisziplinären Gespräch - ein Dialog, in dem das Fach an eigene Modelle und Traditionen, namentlich die Forschungen von Aby Warburg, anknüpfen kann.

Die Kunst der Niederlande rückt erst zögerlich in den Blick der kunsthistorisch perspektivierten Hofforschung. Gerade hier aber treffen über beinahe drei Jahrhunderte immer wieder herausragende künstlerische Begabungen und prononcierte höfische Repräsentationsbedürfnisse aufeinander. Die Herzöge von Burgund bauten als dynastische Aufsteiger im 15. Jahrhundert ihre Höfe zu Zentren europäischer Hofkultur mit einer beispiellosen Prachtentfaltung aus. Im 16. Jahrhundert ließ Karl V. das Schloß auf dem Coudenberg zu Brüssel zu einem Repräsentationszentrum ausbauen, das den neuen imperialen Ansprüchen genügen konnte. Die kaiserliche Statthalterin, Maria von Ungarn, betrieb im Namen des Kaisers und im eigenen Namen eine Kunstförderung, wie sie ambitionierter kaum sein könnte. An der Wende zum 17. Jahrhundert schließlich erlebten die Niederlande nach den verheerenden Zerstörungen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine neue Blüte. Sie wurden aus dem spanischen Imperium entlassen und gelangten unter die souveräne Herrschaft von Erzherzogin Isabella, Tochter Philipps II., und ihres Prinzgemahls Erzherzog Albrecht, Sohn Kaiser Maximilians, der sich zeitweise Hoffnung darauf machte, als Nachfolger Rudolfs II. deutscher Kaiser zu werden. Es galt auf dem internationalen Parkett ebenso wie in den Niederlanden selbst, diesen neugewonnenen Status sichtbar zu machen. Seit dem Beginn des Zwölfjährigen Waffenstillstandes mit den Nördlichen Provinzen 1609 zog ein beinahe goldenes Zeitalter auf. Diese Epoche war kurz, fielen die Südlichen Niederlande doch infolge einer Zusatzklausel des Abtretungsvertrages an Spanien zurück, als Albrecht 1621 starb, ohne daß ein Thronfolger geboren war. Allerdings gelang es Erzherzogin Isabella, die fortan bis zu ihrem Tod 1633 als Statthalterin des spanischen Königs die Niederlande verwaltete, die kulturelle Blüte fortzuschreiben, bevor das Land wieder in Krieg und zunehmende Bedeutungslosigkeit versank.

Auf dieses wichtige und großen wissenschaftlichen Ertrag versprechende Gebiet begibt sich die Untersuchung von Claudia Banz. Banz betritt - um das gleich in einem Bild vorneweg zu sagen - ein weites Feld, verbleibt aber auf ausgetretenen Pfaden und dicht an der Oberfläche. Das ist umso bedauerlicher, als sie viele Aspekte anspricht, eigene Archivstudien vorgenommen hat, mit einer erstmals ausgewerteten Reisebeschreibung von 1613 zum ersten Mal eine abgesicherte Vorstellung von der Ausstattung des Brüsseler Palastes zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermittelt und endlich die Frage nach höfischer Kunstförderung in den Niederlanden gerade auch in der deutschsprachigen Forschung für das 16. und 17. Jahrhundert nachdrücklich anmahnt.

Die Arbeit besteht aus zwei Fallstudien. Die erste befaßt sich mit Antoine Perrenot de Granvelle, Kanzler Karls V. Als Parvenu, der erst in der zweiten Generation zum Adel gehörte, betrieb er - vergleichbar dem burgundischen Kanzler Rolin - ein ehrgeiziges Mäzenatentum, um seiner gesellschaftlichen Stellung im höfischen Zeichenapparat wohl nicht nur Ausdruck zu verleihen, sondern sie auch im demonstrativen Repräsentationsgestus öffentlich einzufordern. Interessant ist die von Banz herausgearbeitete Vernetzung von Orientierung am habsburgischen Profil der Kunstförderung einerseits (Banz wählt die glückliche Formulierung der "mäzenatischen aemulatio") und das Fördern von Künstlern, die Granvelle später am Hof lanciert, andererseits: Tizian, Anthonis Mor, Jacques Jongelinck, Leone Leoni. Doch bleibt die Wahl der besprochenen Werke, Künstler und Projekte in einem unreflektierten Kunstkanon befangen, der entscheidende Ergebnisse der Hofforschung aus den letzten Jahren nicht zur Kenntnis nimmt. So sind Banz die höfischen Gärten nur einen lapidaren Hinweis wert. Ebenso ausgeblendet bleiben die Tapisserien (mit einer einzigen, jedoch in ihrer Abhandlung randständigen Ausnahme, dem heute in Mecheln befindlichen Tunisteppich). Doch gerade dieses Medium ist das höfische Ausstattungsmedium schlechthin (vgl. u.a. Wolfgang Brassat: Tapisserien und Politik, Berlin 1992, aber auch Maria von Hongarije: Koningin tussenkeizers en kunstenaars. Ausst.kat. Utrecht/'s Hertogenbosch 1993). Granvelle bemühte sich mit großem Engagement um eine seinen standesgemäßen Ambitionen entsprechende Tapisseriensammlung und hat bedeutende Werke in Auftrag gegeben, von denen sich als vielleicht bedeutendste Serie die sog. Granvellagärten im Kunsthistorischen Museum Wien erhalten haben. Auch die sog. Puttenspiele und die Tapisserien nach Bosch werden nicht besprochen- ein hochbedeutsamer Sammlungsschwerpunkt, den Banz schlicht übersieht (vgl. jetzt Rotraud Bauer: Gartenlandschaften mit Tieren. Zur Tapisserieserie der sogenannten Granvellagärten in Wien. In: Ursula Härting (Hg.):Gärten und Höfe der Rubenszeit. Ausst.kat. Hamm 2000/01, S. 151-154, Kat. Nr. 160, 161; siehe aber bereits den von Banz nicht zitierten Aufsatz von M. Piquard: Le Cardinal de Granvelle, amateur de tapisseries. In: Revue belge d'archéologie et d'histoire de l'art 1950). Hier entsteht in der Auswahl der Objekte, die im Text denn auch nicht begründet wird, ein unrepräsentatives und verzerrtes Bild höfischen Mäzenatentums.

Die zweite Fallstudie ist der Kunstpatronage der Erzherzöge Albrecht und Isabella in den Jahren ihrer gemeinsamen Regierung gewidmet. Sie stellt- wie auch der erste Teil - einige der Hofkünstler vor, die erzherzoglichen Schlösser (die ungenau als "Residenzen" bezeichnet sind), Aufträge für den Kirchenbau, Grabmäler, bedeutende einzelne Werke undschließlich die Kunstsammlung in Brüssel. Ein wichtiges Kapitel gilt dem Bau der Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel und ihrer Ausstattung. Es hat die kunstgeschichtliche Forschung regelmäßig irritiert, daß mit den Altarbildern Theodor van Loon, nicht aber Peter Paul Rubens betraut wurde. Auch Claudia Banz faßt ihre Analyse als Rechtfertigung. Sie ordnet die beiden Stilmodi zwei Frömmigkeitsformen zu, wobei aus der caravaggesken Rekrutierung des Bildpersonals aus unteren Gesellschaftsschichten bei van Loon das religiöse Ideal der humilitas gefolgert wird, die ihrerseits an die niederen Gesellschaftsschichten adressiert sei. Dieser als öffentlich charakterisierten Aussageabsicht wird eine "private"Aussage des von Robrecht de Nole geschaffenen Skulpturenprogramms mit seinen lateinischen Inschriften an die Seite gestellt, die auf die erzherzoglich-habsburgische Repräsentation ziele: eine Verkennung der in der historischen Hofforschung und der Zeremoniellforschung längst viel präziser gefaßten Sphären des öffentlichen und des Privaten. Wieder verhindert auch ein von außen und segmentierend an das Ensemble herangetragener Kunstbegriff eine umfassende Würdigung: Nur einer knappen Erwähnung für wert befunden werden die Glasfenster, die doch an einem zentralen Ort der Blick- und Wegeführung Memorialbilder der Erzherzöge zeigen.

Eine Reihe handwerklicher Beobachtungen ließe sich anfügen: Wenn beispielsweise in einem Kupferstich zur Wallfahrt nach Scherpenheuvel von Johann Bussemacher (Abb. 25) die Wallfahrer vor dem Marienbild benannt werden, auch daß Albrecht und Isabella zur Linken der Madonna knien, nicht aber auffällt, daß diese Anordnung auf der heraldisch untergeordneten Seite einen Grund haben muß - die Erklärung ist die von Banz übersehene Figur des Hl. Hubertus auf der von der Madonna aus gesehen rechten Seite, also jenes Heiligen, dessen Verehrung das Erzherzogspaar nachdrücklich protegierte. Wenn der zentrale Begriff der "liberalitas" aus der Analyse einer Medaille zum Bau der Brüsseler Kirche der Unbeschuhten Karmeliter begründet wird, ohne daß eine Abbildung oder eine Fußnote dies nachvollziehen ließe (100), oder wenn auch die Passage über den ranghohen Hofkünstler Wenzel Coebergher (89) ohne eine einzige Anmerkung auskommt.

Leider sind auch die beiden Fallstudien nicht wirklich vergleichbar. Dies rührt nicht nur daher, daß keine systematischen Verbindungen hergestellt werden, sondern auch aus der historischen Unvergleichbarkeit der gewählten Protagonisten. Weit aufschlußreicher wäre der Vergleich zwischen dem Mäzenatentum Karls V. und Marias von Ungarn auf der einen und Albrechts und Isabellas auf der anderen Seite, oder aber zwischen dem Mäzenatentum der souveränen Herrscher Albrecht und Isabella gegebenüber der Statthalterin Isabella.

Unverzichtbar für die künftige Forschung werden jedoch die Passagen über die Galerie Granvelles (42-50) und über "Die Disposition der erzherzoglichen Kunstsammlung" (137-145) sein. Für den Brüsseler Coudenbergpalast unter Albrecht und Isabella wertet Claudia Banz erstmals die Reisebeschreibung von Johann Ernst von Sachsen aus dem Jahr 1613 aus. Bisher kannte man keine einzige zeitgenössische Quelle zur Rekonstruktion dieser so wichtigen Sammlung und ihrer Disposition. Kombiniert wurden in Brüssel - wie auch in anderen habsburgischen Galerien - Porträts mit dynastischen Ereignissen und Schlachtenbildern sowie schließlich Bildern topographischer Repräsentation. Als folgenreiche überraschung muß gelten, daß sich die heute im Prado aufbewahrten Gemälde Jan Brueghels d.ä. der Bauernhochzeit und des Hochzeitszuges in der Großen Galerie des Brüsseler Palastes befanden. Nicht bäuerisches Genre bieten diese Bilder offenbar, sondern die Repräsentation der Erzherzöge als patres patriae, als fürsorgende Landesherren inmitten ihrer Untertanen. Hier kann eine Neubewertung bisher offenbar noch nicht ausreichend verstandener Bildgattungen vom Beginn des 17. Jahrhunderts ihren Ausgang nehmen.


Barbara Welzel

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Barbara Welzel: Rezension von: Claudia Banz: Höfisches Mäzenatentum in Brüssel. Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517-1586) und die Erzherzöge Albrecht (1559-1621) und Isabella (1566-1633), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Barbara Welzel
Universität Dortmund

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr