Rezension

Frank G. Zehnder / Werner Schäfke Schäfke: (Hg.) Der Riss im Himmel: Clemens August und seine Epoche. Ausstellungskatalog. Ausstellung im Schloss Augustusburg Brühl sowie ergänzende Ausstellungen im Stadtmuseum Bonn, in der Zitadelle Jülich und im Lustschloss Miel vom 3.5. bis 31.10., Köln: DuMont 2000,
Buchcover von Der Riss im Himmel: Clemens August und seine Epoche. Ausstellungskatalog
rezensiert von Annette Dorgerloh, Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin

Vorab ist eine Erklärung erforderlich: Das Eingeständnis nämlich, einen Katalog zu rezensieren, noch ohne die Ausstellungen gesehen zu haben. So etwas sollte man in unserem Fach gemeinhin vermeiden. Im gegenwärtigen Falle scheint das besonders fatal, denn die vorrangige Aufgabe dieses Katalogbuches, dessen Handlichkeit nicht nur auf der Presseseite der Homepage besonders herausgehoben wird, besteht ausdrücklich darin, die Besucher auf ihrem Rundgang zu begleiten. Für den Fachmann und die Fachfrau sowie die interessierten Laien wurde die ebenfalls von Frank Günther Zehnder, dem Direktor des Rheinischen Landesmuseums, und Werner Schäfke (Direktor des Kölnischen Stadtmuseums) herausgegebene achtbändige Buchreihe - sowohl von "namhaften Experten" wie auch von "jungen Wissenschaftlern", wie betont wird, - konzipiert, die den neuesten Stand der Rheinland-Forschung präsentiert. Diese Buchreihe, deren sechster Band unter dem Titel "Das Ideal der Schönheit" der Rheinischen Kunst im Barock und Rokoko gewidmet ist, lag im Wesentlichen bereits im Vorfeld der Ausstellung vor. Somit stellt der reich bebilderte und in erfreulicher Qualität gedruckte Katalog quasi die zusammenfassende Abschlußpublikation dar. Um diese und nur um diese soll es im Folgenden gehen.

Das Ziel der Ausstellungsmacher war es bei dem kulturellen Großprojekt, Clemens August und seine Epoche "wiedererstehen" zu lassen. (S. 14) Dieser - nicht nur angesichts der umfangreichen militärgeschichtlichen Abschnitte - etwas erstaunliche Gedanke zieht sich durch alle Websites der Veranstalter und wird auch in der Einführung zum Katalog explizit ausgesprochen. Selbst die im Katalogbuch nur benannte, aber nicht dokumentierte zeitgenössische Aquarell-Fotografie-Ausstellung der Kölner Fotografin Mechthild Op Gen Oorth - eine Auseinandersetzung mit dem Rokoko - in der Orangerie des Schlosses Augustusburg dient letztlich der Aufgabe, "das Lebensgefühl der Epoche erahnen" zu lassen.

Der Impuls zur Wiederbelebung des Barock - und zwar ausdrücklich mit der Perspektive auf die Französische Revolution, die als markanter Endpunkt gefaßt ist - speist sich deutlich aus dem Wunsch nach einer "Belebung der Region" (Homepage Brühl) heute.

Die Bedeutung der Region, die momentan und auch künftig als "zentral" eingestuft wird (Katalog S. 14), soll mit dem Blick auf Clemens August legitimiert und über diesen Blick zurück nachhaltig fundamentiert werden. Daß aber der titelgebende "Riss im Himmel" als Charakteristikum jenes widersprüchlichen Prozesses im Zeitalter der Aufklärung stets im Bezug auf ein drohendes Untergangsszenario (Zusammenbruch des Kurfürstentums 1794 beim Ansturm der französischen Revolutionstruppen) präsentiert wird, zieht sich wie ein roter Faden durch das Unternehmen.

Den Anlaß zu dem Großprojekt bildete der 300. Geburtstag des Kurfürsten und Kölner Erzbischofs Clemens August (1700-1761), einem politisch sehr erfolgreichen Wittelsbacher, dessen Regierungszeit eine bedeutende Friedensphase umfaßte, die Wohlstand und Aufschwung mit sich brachte. Einen Höhepunkt der geschickten Familienpolitik der Wittelsbacher bildete zweifellos die Salbung und Kaiserkrönung seines Bruders Karl Albrecht am 12. Februar 1742, die Clemens August als Konsekrator in der Kölner Bartholomäuskirche vollzog. Als politischer und militärischer Gegner Maria Theresias engagierte sich der neuernannte Kaiser Karl VII. wie sein Bruder im Auftrag und im Einvernehmen mit Frankreich. Das Deckengemälde von Carlo Carlone und die Ausstellung der 'Capella Clementina' im Gardensaal des Schlosses Augustusburg feiert diese Verbindung des Hauses Wittelsbach mit dem Kaisertum nachhaltig. Der französische Einfluß wird vielfältig sichtbar: in der Bevorzugung des Typus der Maison de Plaisance für die Lustschlösser, in der Berufung französischer Architekten und Künstler, die neben italienischen, niederländischen und deutschen Künstlern im Kurstaat tätig waren. Die mit rund 800 Nummern recht umfangreiche Gemäldesammlung des Kurfürsten wurde bereits nach seinem Tod wieder versteigert, um zur Tilgung seiner Schulden beizutragen. Zu den Käufern gehörten damals offenbar auch die russische Zarin Katharina II.und Friedrich II. von Preußen.

Doch nicht nur Artefakte der Hofkultur werden präsentiert, auch das Bürgerleben wird in vielen repräsentativen Facetten ausgebreitet. Der Verbund der Ausstellungen an immerhin sechs Orten (Schloß Augustusburg, Schloß Falkenlust, StadtMuseum und Ernst-Moritz-Arndt-Haus Bonn, Museum Zitadelle Jülich und Schloß Miel) gestattet einen detailgenauen Blick auf diese Epoche und ermöglicht wichtige Aufschlüsse über die Leistungen und - in deutlich geringerem Umfang - die Probleme der katholischen Aufklärung im Kurfürstentum. (Hier ist auf Frank Büttners Beitrag zur katholischen Aufklärung in Bayern im Ausst.Katalog "Mehr Licht", Frankfurt am Main 1999, zu verweisen.) Daß der Abschnitt über die Schattenseiten der Aufklärung (Sozialdisziplin und Justiz) über den Einfluß der protestantischen Ethik eingeleitet wird, gehört zu den diskutablen Punkten. Das Bemühen, ein positives Bild gerade der Rheinischen Institutionen zu geben, fällt jedenfalls auf. (So z.B. bei dem Bonner Arbeitshaus im Schloß Herzogsfreude, bei dem ausschließlich dessen Funktion zur Arbeitsbeschaffung betont wird.)

Insgesamt leidet der Katalog gerade in seinen einleitenden Texten unter einer starken Verknappung, die allein der Handlichkeit des Bandes zugute kommt. So wird etwa das Freimaurertum pauschal als Ausweis fortschrittlicher Haltungen angesehen, obwohl es hierbei tiefgreifende Differenzen im Spektrum zwischen Illuminaten und Rosenkreuzern gab. Auch wird durch die Betonung des neuen Eheverständnisses (S.135) die Tatsache, daß gerade in dieser Phase die 'Bestimmung' und 'natürliche Rolle' der bürgerlichen Frau als Hausfrau und Mutter nachhaltig zementiert wurde, sehr in den Hintergrund gedrängt.

In diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, daß die Gräben in Köln z.B. nicht etwa zwischen den Schichten bzw. Ständen verliefen, sondern je nach deren Ausrichtung, höchst aufschlußreich. Von dieser Position aus hätte man sich verschiedentlich gewünscht, anstelle einer polarisierenden Darstellung (z.B. 'unnatürlicher' Adel vs. 'gefühlvolles' Bürgertum) weitere genaue Einblicke in die Verknüpfungen beider Bereiche zu erfahren. Der "Aufbruch in eine neue Zeit" läßt sich eben doch nur eingeschränkt an den bürgerlichen Lebensidealen festmachen. Hier hätte eine stärkere Thematisierung der dynamischen Prozesse (wie die Frage nach Nobilitierungen, schichtenübergreifender Kommunikation und kosmopolitischen Interessen und Kontakten etc.) die eher statische Rekonstruktion der einzelnen Bereiche sinnvoll ergänzen können.

Die programmatische Absicht der Ausstellungsmacher, durch "eine umfassende Auswahl hervorragender Meisterwerke aus Malerei, Skulptur und Kunstgewerbe Macht und Herrschaft zu demonstrieren" und diesen Stücken Gegenstände des Alltags und der Wirtschaft "gegenüberzustellen" (S. 14), zeigt ein sehr traditionelles Kunstverständnis, das das kritische Potential guter Kunst - und zwar Kunst aller Bereiche zwischen "high" und "low" - weitgehend negiert. In der konkreten Umsetzung der thematischen Abschnitte ist dieses Prinzip dann doch erfreulicherweise oft genug durchbrochen worden.

Insgesamt bietet das Spektrum der angesprochenen Felder - so konventionell es insgesamt auch ist - einen relativ breiten Einblick in die Probleme des katholischen Rheinlandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Katalog macht die Lektüre der Begleitbücher ebenso zur Pflicht wie die Ausstellungen selbst, die noch bis zum 1. Oktober zu sehen sind und von einem aufwendigen Beiprogramm flankiert werden.


Annette Dorgerloh

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Annette Dorgerloh: Rezension von: Frank G. Zehnder / Werner Schäfke Schäfke: (Hg.) Der Riss im Himmel: Clemens August und seine Epoche. Ausstellungskatalog. Ausstellung im Schloss Augustusburg Brühl sowie ergänzende Ausstellungen im Stadtmuseum Bonn, in der Zitadelle Jülich und im Lustschloss Miel vom 3.5. bis 31.10., Köln: DuMont 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1,

Rezension von:

Annette Dorgerloh
Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr