Rezension
Das Buch von Michael Wenzel über Adam Friedrich Oeser (1717-1799) nimmt sich eines Forschungsdesiderats an, das seit mehreren Generationen (!) besteht und auch auf eine symptomatische Weise die Forschungsgeschichte beider deutscher Staaten zum Klassizismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Es muß nachdenklich stimmen, wenn Wenzel eingangs zu verstehen gibt (S. 13), daß für eine neuerliche Beschäftigung mit Oeser immer noch die Forschungen von Alphons Dürr (Adam Friedrich Oeser. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts, Diss. Leipzig 1879) als Ausgangspunkt zu dienen haben. Oeser zählt, so kann man pointiert sagen, zu den am wenigsten geliebten deutschen Künstlern des 18. Jahrhunderts, und oft genug werden ihm sämtliche Eigenschaften eines blutleeren Klassizismus nachgesagt. Michael Wenzel setzt nun zu einer Ehrenrettung Oesers an, freilich nicht im Rahmen einer großangelegten Werkmonographie, sondern mittels Analysen, die um einzelne Werkkomplexe (Deckenmalerei, Denkmalsentwürfe), Aufgabenstellungen (Akademielehrer) und Theoriepositionen (überwiegend im Vergleich mit Winckelmann und Goethe) kreisen. Ohne dies eigens zu begründen, verfolgt Wenzel also nicht die Absicht, die Kenntnis des künstlerischen Schaffens durch einen Katalog der bekannten, erhaltenen oder verlorenen Werke zu erweitern, sondern eine Interpretation von Oesers Anteil am deutschen Frühklassizismus in Theorie und Praxis zu leisten.
Die Ausgangssituation ist nicht günstig, denn es existieren von Oeser nur verstreute schriftliche äußerungen disparaten Inhalts. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Biographie (Kap. 1) und Oesers Beurteilung durch die Zeitgenossen und die Forschung (Kap. 2), widmet Wenzel der Deckenmalerei Oesers (Kap. 3) eine einführende Analyse. Anhand seiner erhaltenen Deckenbilder eine Diagnose der Monumentalmalerei überhaupt anzustreben, mag überraschen, zählt Oeser doch kaum zu den Meistern dieses Fachs. Wenzel sieht bei Oeser den ambitionierten Versuch, die Deckenmalerei ikonographisch auf mehr Natürlichkeit auszurichten. Ob es allerdings genügt, Oeser mit Texten von Sulzer, Werner und Milizia zu kontrastieren, um seine "Modernität" zu erweisen, scheint fraglich, denn man muß davon ausgehen, daß Oeser einen veralteten Kenntnisstand der Deckenmaleri hatte (sieht man einmal von den Werken in der Dresdner Hofkirche ab, die übrigens von erprobten auswärtigen Kräften ausgeführt wurden) und diesbezüglich auch nicht in einem "Milieu" arbeitete, das durch eigene Kennerschaft ausgewiesen war, besondere Leistungen gerade der Deckenmalerei auch als solche zu erkennen.
Daß hierbei wie auch in anderen Werkbereichen Oesers fortschrittliches Allegorieverständnis eine große Rolle spielt, kann Wenzel überzeugend darstellen, indem er die Relationen zu Winckelmann und Goethe aufzeigt. Deutlich wird in dieser Analyse auch, daß dies ein Kardinalproblem der Zeit war und als ein dynamischer Faktor des Epochenumbruchs zu gelten hat.
Im weiteren gelingt es Michael Wenzel sehr gut, Oeser im Kontext der Kunstwentwicklung des mittleren 18. Jahrhunderts zu verankern und die Korrelationen zu den Protagonisten des Klassizismus aufzufächern. Schwierig ist z. B. die Bewertung von Oesers Anteil an den Gedanken von Winckelmanns Erstlingsschrift. Wenzel streift dabei auch kurz die Problematik, die in Winckelmanns Diktum von der "edlen Einfalt und stillen Größe" liegt (Kap. 4.2). Die Voraussetzungen für dieses so wirkungsträchtige Diktum werden lediglich angedeutet, daß aber Winckelmann gerade durch den Chiasmus zu einer Zuspitzung gelangt (und genau darin liegt das radikal Neue), entgeht Wenzel, und so befremdet es, wenn aus diesem Mißverständnis heraus die Kategorie der "Stille" über Winckelmann auf Oeser zurückgeführt wird. Hier kommt es darauf an, Winckelmann beim Wort zu nehmen, denn es ist nicht gleichgültig, ob es "stille Größe" oder "große Stille" heißt. Die "Stille" als ästhetische Kategorie läßt sich jedenfalls kaum aus Winckelmanns Chiasmus so abspalten, wie Wenzel es tut, und ob mit einer solchen "Stille" weiterhin das "physiognomische Stereotyp" in Oesers Schaffen erklärt werden kann (S. 86), ist fraglich.
Oeser bleibt als Zeichner und Kunstpädagoge merkwürdig "konturlos". Gerne hätte man mehr über den Stellenwert der Zeichung in seiner Theorie erfahren, zumal hier sein Hauptaktionsfeld lag. Als Inventor für graphischen Bücherschmuck hatte Oeser ein Monopol in Leipzig, wie überhaupt seine Rolle für die Druckgraphik der Aufklärung anerkannt ist. Symptomatisch zeigt sich dies auch in seinen Denkmalsentwürfen, die das Memorialbedürfnis der Empfindsamkeit bestens bedienten. Freilich hätte man sich Oesers Innovationen in den Denkmalsentwürfen in einen größeren Kontext eingebettet gewünscht. Insgesamt erfährt man über Oesers praktische Talente, seinen Zeichenstil, seine Auffassung von Werkvorbereitung und Werkprozeß zu wenig, und darunter leidet auch die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis.
In gewisser Weise betrifft dieses Dilemma auch den Abbildungsteil des Buches. So sehr es zu begrüßen ist, daß Bücher im print-on-demand-Verfahren für Autor und Käufer vergleichsweise preisgünstig zu realisieren sind, so bedauerlich ist der Nachteil in der Qualität der Abbildungen. Man wäre froh, einmal einen repräsentativen überblick mit guten Abbildungen von Oesers Werken zu haben. Es ist dies ein Desiderat, dessen Behebung nicht Teil von Wenzels Themenstellung war, für die Zukunft aber doch wünschenswert bleibt.
Am Ende der Lektüre bleibt daher ein etwas zwiespältiger Eindruck: Wenzel überzeugt mit oft klugen Interpretationen und einem guten Gespür für den theoretischen Kontext von Oesers Denken, auch lernt man viel über dessen "Modernität". Es war nicht Absicht des Autors, eine umfassende Monographie zu schreiben, doch ist es kein geringes Verdienst, neues Interesse an Oeser geweckt zu haben.
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