Rezension
Der von Werner Schäfke, Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, herausgegebene erste Band der Reihe "Der Riß im Himmel" nimmt die gleichnamige Ausstellung zu Clemens August (1700-1761) in Schloß Augustusburg in Brühl zum Anlaß, Forschungsergebnisse zur lange vernachlässigten Kölner Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts zu versammeln. Ausgangspunkt war ein Arbeitskreis, den Horst Vey und Hans Ost angeregt haben. Die Beiträge würden jeder Fachzeitschrift Ehre machen, ein Zusammenhang zu einer hauptsächlich dem 18. Jahrhundert gewidmeten Ausstellung aber ist kaum ersichtlich. Auch das Vorwort läßt den Leser hierüber ebenso im Unklaren wie über den kryptischen Titels des Buches: "Coellen eyn Croyn".
Dies schmälert nicht das Verdienst dieses Bandes, fast alle zwischen 1500 und 1700 in Köln relevanten Kunstgattungen und -medien auszubreiten, vom Kunstgewerbe (Textil, Intarsien, Kacheln, Goldschmiede) bis zur Malerei (Porträt) und Druckgraphik (Vorlagewerke, Handel). Führende Kölner Maler aus Spätrenaissance und Frühbarock (Bartholomäus Bruyn d.J.; Geldorp Gortzius) kommen ebenso vor wie wichtige Auftraggeber- und Sammlerfamilien (Hittorp; Jabach; Imstenrath). Angesichts solcher Fülle, kann man das Fehlen von Hinweisen auf die Kölnische Malerei des Hochbarock verschmerzen. Neben der älteren Literatur wird man hier die überwiegend im Wallraf-Richartz-Jahrbuch publizierten Beiträge zu J. Hulsman (B. Herrmann, WRJb 1992; vgl. auch deren Diss. 1998), J. M. Hambach (I. Stitz, WRJb 1990), J. W. Pottgießer (H. Lukrafka; Magister Köln 1991) und einigen weiteren Kölner Barockmalern (H. Vey, WRJb 1990) zu Rate ziehen.
Den Auftakt bildet eine kluge Studie von Annekatrein Löw zu den "Altarstiftungen und Bildnisaufträgen des Bürgermeisters Goddert Hittorp". Löw zeigt, daß Bartholomäus Bruyn d.J. nach dem Tod des Bürgermeisters (1573) mehrfach dessen Porträt nach der Vorlage von B. Bruyns d.ä. malte. Neben einem Stifterbildnis widmet sich Löw hier vor allem einem Diptychon, das neben dem Bürgermeister ein lateinisches Lobgedicht auf den Verstorbenen zeigt, das Löw mit einer (allerdings wenig verläßlichen) übersetzung abdruckt und als "eine heftige, streng einseitig konservativ ausgerichtete, moralisierende Stellungnahme zu den aktuellen politischen Wirren in der Stadt im Zuge des Ringens um die katholische Gegenreformation" einstuft (S. 43). Auch in der Kontinuität, mit der die Familie Hittorp Porträts bei der Malerfamilie Bruyn in Auftrag gibt, sieht Löw einen "konservativ-traditionsbewußten Geist" (S. 53). Die Komplexität der damaligen religionspolitischen Argumentation und der mit dieser verbundenen Malerei im Umkreis der rheinischen Humanisten fordert jedoch ein vorsichtigeres Urteil. Das Gedicht nennt ausdrücklich Erasmus als Zeugen (Z. 75), und den gesamten Gedankengang trägt ein Erasmianischer Geist, der mit der von Goddert Hittorp unterstützten "katholischen Reform" (S. 24) eine Reformalternative zu den zerstörend erscheinenden Kräften der Reformation suchte. Das Lobgedicht verknüpft in diesem Sinne die Verantwortung Hittorps als Humanist, als Bewahrer der katholischen Einheit und damit als Retter des sozialen und politischen Friedens. Dies muß ernstgenommen und auf den Porträttyp bezogen werden. Gerade Löws treffender Hinweis auf eine Exempelfunktion der Porträtdarstellung des Bürgermeisters Hittorp für seine Amtsnachfolger (S. 45-47), ein ganz humanistisches Bildniskonzept, kann künftigen Studien zur katholisch-humanistischen Kölner Malerei einen Weg weisen.
Ingeborg Krueger untersucht eine "Kölner Familie beim Tischgebet, Anno 1602" von Geldorp oder Melchior Gortzius ikonologisch und zeichnet die Entwicklung und Verbreitung solcher Tischgebetsdarstellungen im Kontext der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung nach, wie sie besonders in Tischzuchten und Hausväterliteratur ihren Niederschlag gefunden hat. Für eingehendere Klärungen zur Autorenschaft darf man auf die Geldorp-Monographie von B. Nick hoffen.
Als Kenner der kölnischen Kunst- und Sammlertradition legt Horst Vey eine umfassende Biographie "Eberhard Jabachs III (1567-1636)" vor, der bisher vor allem als Stifter der Rubensschen Petruskreuzigung und als Vater des Kunstsammlers Eberhard Jabach IV bekannt war. Vey rekonstruiert Jabachs politische, gesellschaftliche und kaufmännische Betätigungen, die familiären Verflechtungen und die Konfessionalität des im krisengeschüttelten Antwerpen Geborenen, seine Hauskäufe, Umbauten und Hauseinrichtung sowie seine maßvolle Sammlertätigkeit. Interessant ist auch die Rekonstruktion der Wege, auf denen Jabach Dürers Hiob auf dem Misthaufen erworben haben kann und der Nachweis der Dürerschen Proportionslehre in Jabachs Bibliothek.
Jutta Seyfarth ediert das bisher kaum zugängliche, hier vorzüglich übersetzte Lob der Kunst, das der Kölner Kaufmann und Ratsherr Franz von Imstenraedt 1667 unter dem Titel "Iconophylacium sive artis Apelleae Thesaurium" zu seiner Kunstsammlung verfaßte. Innerhalb einer von Franciscus Junius (De pictura veterum, 1637) geprägten wirkungsästhetischen Kennerkultur führt Imstenraedt die emotionale Beteiligung des Betrachters als wichtigstes Kunstkriterium an (der knappe Hinweis auf Junius in Anm. 20), wie es auch die an Junius anschließende niederländische Kunstliteratur kennt (zu dieser G.J.M. Weber, Der Lobtopos des 'lebenden' Bildes, 1991). Seyfarths weist zudem auf die von den Kölner Jesuiten gepflegte Bildungs- und Bildkultur hin, die keinesfalls in einer vermeintlich gegenreformatorischen Propaganda aufging.
Petra Werhahn-Fleischhauer gibt einen überblick über die Kölner Intarsienmöbel. Die Quellen nennen hier als einzigen Meister Melchior von Rheidt, der besonders von der Ausstattung des Senatssaals im Kölner Rathaus bekannt ist (1599-1601). Werhahn-Fleischhauer kann zahlreiche Möbel mit verwandter Ornamentik um diese Arbeit gruppieren. Eindeutigere Aussagen zu Werkstatt und Chronologie werden möglicherweise Untersuchungen zur Konstruktion erbringen, wie Werhahn-Fleischhauer sie andeutet (S. 288).
Gudrun Sporbeck skizziert erstmals die Entwicklung der Kölner Kaselstickerei des 16. und 17. Jahrhunderts in der Spannung zwischen Traditionsgebundenheit und Neuerung. In diese Zeit fällt die Verlagerung der Herstellung von den zünftigen Wappenstickern in die Kölner Klöster und Konvente, ein wirtschaftsgeschichtlich brisanter Vorgang, den Sporbeck mit einer 1651 dokumentierten Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung von Stickwaren in der Kölner Ursulinenniederlassung anschaulich macht.
Die polychromen "Kacheln der Bibel-Serie von 1572 und der Serie der Alttestamentlichen Heerführer von 1573" untersucht Ingeborg Unger. Als Hersteller identifiziert sie den Kölner Kachelbäcker Diederich Westermann von Buir und als Formenschneider Wilhelm Vernuken, der zwischen 1569 und 1573 auch die Pläne des Cornelis Floris von 1557 für die Kölner Rathausvorhalle umsetzte.
Günter Irmscher ordnet die "Kölner Ornamentstiche und nichtornamentalen Vorlagenwerke von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts" in die Geschichte der frühneuzeitlichen Ornamentik ein. Während Antwerpen, Nürnberg oder Augsburg je eigene Ornamentstile entwickelten, bestimmten in Köln vor allem die Editionen des Verlegers Johann Bussemacher, der meist ältere Vorlagen kopieren ließ, das Bild. Nur kurz behandelt Irmscher die Kölner "Schreinerarchitekturen", zu denen er soeben eine umfassende Monographie vorgelegt hat (Kölner Architektur- und Säulenbücher um 1600, Bonn 1999). Sein Beitrag schließt mit einer Zusammenstellungen von druckgraphischen Vorlagenwerke zu dekorativen Zwecken etwa in Schrift-, Textil- und Gartengestaltung.
Bernadette Schöller versucht eine Darstellung des "Kölner Graphikmarktes um 1600" anhand des "Warenkorbes des Arnoldus Buchelius". Der Utrechter Buchelius erwarb während eines Kölnbesuchs 1599-1600 fast vierhundert Graphikblätter, wie seine Aufzeichnungen zeigen. Schöller wundert sich, daß Buchelius in Köln Stiche kaufte, die er in seiner Heimat preiswerter hätte erwerben können, prüft aber nicht, ob Buchelius hier nicht als Sammler möglicherweise wertvolle Zustandsdrucke suchte.
Carola van Ham gibt eine Stilgeschichte des ehemals reichen Bestandes von Werken der "Kölner Goldschmiede seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Auflösung der Zunft". Auch in der Kölner Goldschmiedekunst fällt ein langes Bewahren älterer Formen auf. So entstehen noch Variationen von "Pokalen im gotischen Stil", als man 1630-33 bereits am ambitionierten "Engelbertschrein" arbeitet. Bei der Ablösung gotischer Monstranzformen scheint in der Mitte des 17. Jahrhunderts die Kölner Jesuitenwerkstatt entscheidend gewesen zu sein (S. 405).
Den Band schließt ein Beitrag von Uwe Schwarz zu einer zwischen 1635 und 1650 datierten anonymen "vierblättrigen Manuskriptkarte von Köln und seinen Schweidländereien", in denen Kölner Bauern Weide- und Viehtriftrechte hielten. Um einen karthographischen Beitrag in einem Sammelband zur Kölner Kunst der Renaissance und des Barock nicht als Fremdkörper erscheinen zu lassen, wäre allerdings eine methodische Verbindung von Kartographie und Landschaftsdarstellung wünschenswert gewesen, wie sie Nils Büttner vorgeführt hat (Die Erfindung der Landschaft, 2000).
Man darf hoffen, daß der Band eine Ausstellungsinitiative für diese Epoche Kölner Kunst anregt. Dann hätte das Buch tatsächlich zu dem beigetragen, was das Vorwort ankündigt: "Die Erträge der Forschungen sind Grundlage und Beitrag zum Projekt, das unserer Region des Rheinlandes ein neues Selbstbewußtsein geben wird..." Bis dahin bleibt nur der bewahrend-traditionalistische Grundzug der Kölner Kunstproduktion in Renaissance und Barock als Ergebnis festzuhalten und die an vielen Stellen aufscheinende Verflechtung Kölns mit dem innovativeren Antwerpen.
zurück zu KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1