Rezension

Sabine Poeschel: Alexander Maximus. Das Bildprogramm des Appartamento Borgia im Vatikan, Weimar: VDG 1999,
Buchcover von Alexander Maximus
rezensiert von Eva-Bettina Krems, Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

"Aurum, vis et venus imperabat" - "Gold, Gewalt und Venus regierten", das schrieb Egidio da Viterbo (in einem Papst Leo X. gewidmeten Bericht!) über den Pontifikat Alexanders VI. Ohne Zweifel war Rodrigo Borgia (*1431), der als "unüberwindlicher" Alexander VI. von 1492 bis 1503 den päpstlichen Stuhl innehatte, lange Zeit berühmter dank seiner vermeintlich lasterhaften und skrupellosen Machenschaften als dank seiner Wirkung als Mäzen und Initiator eines umfangreichen Freskenzyklus im vatikanischen Palast. Sabine Poeschel mußte in ihrem Buch zum Appartamento Borgia dieses Bild nicht mehr unbedingt revidieren und einen Papst rehabilitieren; dieses Verdienst gebührt der historischen Forschung, die Neid und Mißgunst als Gründe für die negativen zeitgenössischen äußerungen entlarvte und die Person des Papstes dem normalen Maß eines machtbewußten, aber nicht hemmungslosen Renaissancemenschen anglich. Auf diesen Vorgaben konnte Poeschel aufbauen und sich dem künstlerischen Wirken des Borgia-Papstes im apostolischen Palast widmen.

Einen Ansporn für ihre umfassende Studie sah die Autorin darin, die bisher wenig beachteten Fresken des Appartamento Borgia und mit ihnen auch Pinturicchio zu rehabilitieren. Abgesehen von der Untersuchung Ehrles und Stevensons (1897) und einiger kürzerer Abhandlungen, fehlte ein solches Werk, das nicht zuletzt deshalb so verdienstvoll ist, weil sich Poeschel der gesamten Ausstattung annahm, deren 86 Bildfelder eine überwältigende, fast abschreckende Vielfalt bieten.

Das zwischen 1492 und 1495 dekorierte Appartamento Borgia befindet sich im Piano Nobile des 1450 unter Nikolaus V. begonnenen Traktes und umfaßte drei in einer Flucht liegende Räume im Palast Nikolaus' V., ferner die zwei anschließenden, erhöht liegenden Zimmer der Torre Borgia und die schrägwinklig zu dieser Achse gelegenen kleineren Räume. Die unter Julius II. errichteten Seitentrakte, die den Palast mit der Villa Belvedere verbanden, und ihre spätere Aufstockung führten zu einer Verdunkelung und dem heute so dominanten "mittelalterlich-düsteren" Eindruck.

Aus dem Schatten der Fresken Raffaels im Geschoß darüber haben sich Pinturicchios Werke nie erheben können, und diese undankbare Position hat bisher mehr Anlaß zu Polarisierung als zu gründlicher Untersuchung gegeben. Um es gleich vorwegzunehmen: Poeschel vermag es zweifelsohne, die Fresken mit ihrer beeindruckenden Gelehrsamkeit und gedanklichen Tiefe aus dem Schattendasein zu heben, die eingangs anvisierte Rehabilitierung des genuin künstlerischen Werts bleibt indessen gegenüber der weitschweifigen und teilweise erschöpfenden Gelehrsamkeit doch sekundär. Der gelegentliche Hinweis auf die Wertschätzung Pinturicchios von Seiten Julius II. und auch das unvermittelt euphorische Zitat Paul Klees auf dem Buchklappentext bleiben isoliert.

Poeschel führt dem Leser ihren Weg zum Verständnis der Ausstattung des Appartamento Borgia in transparenten Schritten vor. Als unabdingbar zur richtigen Lesung werden zunächst die historischen Bedingungen des Papsttums im 15. Jahrhundert ausgebreitet, die einschneidenden Veränderungen in der Stellung des Papstes, der sich nunmehr nicht nur als Priester sondern auch als königlicher Herrscher verstand, feiern und darstellen ließ. Das Zeremoniell erhielt zunehmend höfischen Charakter, der Possesso entwickelte sich zum Triumphzug all'antica. Die Person des Papstes rückt in den Mittelpunkt, eine Omnipräsenz, die - das wird der Leser in den späteren Kapiteln erfahren - auch sein Appartamento prägen wird.

In besonderem Maße wird die spätere Lesung der Fresken von der politisch brisanten Situation der Türkengefahr dominiert. Kreuzzugsbestrebungen, die in zeitgenössischen Reden unerschöpfliches Thema sind, der hoffnungsträchtige Sieg der Spanier über die Mauren 1492, demgegenüber die erschütterte Situation der Kirche bilden die zeitpolitischen Präliminarien. Mit Rodrigo Borgias Werdegang bis zum Konklave, seiner hohen humanistischen Ausbildung und seinem Wirken als Kunstmäzen nähern wir uns der Ausstattung des Appartamento Borgia, die, so lautet Poeschels Hauptthese, neben hohen theologischen Inhalten von den politischen Zielen des Bewohners nicht zu trennen sei: Türkengefahr, die Einheit der Kirche, die Macht des Glaubens, der Primat Petri und damit die unangefochtene Stellung Alexanders VI. sind die Schnittstellen zwischen zeitpolitischer Situation und malerischer Dekoration. Minutiös wird Poeschel dabei die einzelnen Sinnebenen herauspräparieren, Aspekte, die freilich in der schriftlichen Tradition exegetischer Literatur und alltäglicher Liturgiepraxis (Reden und Predigten) präsent sind, die in der bildlichen Wiedergabe aber manchmal erst mit viel Wohlwollen entdeckt werden können.

Nach der Rekonstruktion der ursprünglichen Gestalt und der Chronologie der Malereien widmet sich Poeschel zum Einstieg in die enorm erhellende (und meist gänzlich neue) ikonographisch-ikonologische Sezierarbeit kurz der Funktion der Räume. Gelegentliche Rückgriffe auf diesen Abschnitt hätten vielleicht zu einem Spannungsbogen, den das Buch aufgrund des unerschöpflichen Materialreichtums vermissen läßt, beitragen können (ein fehlender Index, ein kleinteiliges Schriftbild, die grobkörnigen Abbildungen erschweren leider auch die Lektüre).

Der Gang durch das Appartamento kann hier nicht nachgezeichnet werden; es sollen nur zwei Einzelbeobachtungen folgen und zu Poeschels These, die Dekoration als einen Gesamtentwurf zu verstehen, Stellung bezogen werden. Die beiden wichtigsten Räume sind die Sala dei Misteri und die nächstgelegene Sala dei Santi. Erstere war der Audienzraum, dessen Fresken den Triumph Christi zeigen und Alexander VI. als seinen Vicarius herausstellen. Poeschel rekonstruiert dabei die Position des Papstthrons: er habe links neben dem Eingang gestanden, der auferstehende Christus im Lünettenfresko gegenüber schaue segnend auf den Thronenden herab. Als "historisches" Kriterium wird so eine Beobachtung befremden. Auch ihr Versuch, die Marien- und Christusszenen in einem Beziehungsgeflecht konkreter bildlicher ("Bildgruppen") und abstrakter inhaltlicher Interaktionen zu verankern, ist fragwürdig, weil dies oft allgemein und willkürlich bleibt. über Rezeptionsgewohnheiten des frühneuzeitlichen Betrachters zu spekulieren, ist verführerisch, aber vielleicht liegt die Lösung nicht darin, sie allgemein auf das Gewahrwerden von "Bildgruppen" zu reduzieren. Ein Blick auf Pinturicchios Werke zeigt, daß ähnliche auf formalen Analogien aufbauende Bilder keine Seltenheit sind. Das vermeintlich Spezifische entpuppt sich, inhaltlich wie formal, als beliebig übertragbar.

Die Sala dei Santi, der repräsentative Empfangs- und Aufenthaltsraum, ist künstlerisch am aufwendigsten gestaltet. Hier kulminiert in der Isis-Osiris-Decke die aus Profandekorationen entlehnte und in der päpstlichen Kunst bisher ungekannte Herrscherikonographie. Bedeutsam sind in diesem Raum die Darstellungen der exempla des christlichen Lebens: anhand verfolgter Heiliger (Sebastian, Susanna, Katharina etc.) wird die Bitte um Beistand im Kampf gegen die Feinde der Kirche veranschaulicht und der bevorstehende Triumph Christi angekündigt. Die negativ konnotierte Darstellung der muslimischen Bedränger deutet Poeschel in Hinblick auf die Kreuzzugsbestrebungen des Papstes. Jedoch fehlen konkrete Hinweise auf die realpolitische Situation. Vielmehr ist auffällig, daß es Szenen sind, die von einer dezidiert friedlichen Lösung ausgehen, einer Lösung, die das Disputieren statt eines wirklichen Eingreifens in den Mittelpunkt rückt. Die beständige persuasio mit dem Ziel des Friedens für die Christenheit (durchgesetzt von Alexander VI, der den Namen des Feldherrn wählte) erfolgt auf bildlicher Ebene eben nicht durch Waffengewalt, sondern durch die Gewalt des Glaubens und der Glaubensinhalte. Die zierliche, schmale, disputierende hl. Katharina im Kreise von Heiden ist hier die wichtigste Kronzeugin.

Schließlich proklamiert Poeschel eine Einheit des gesamten Bildprogramms, die in der Verherrlichung und dem Triumph des christlichen Glaubens von der frühen Theologie bis zur Zeit Alexanders VI. zu finden sei. Dabei verwiesen die einzelnen Szenen auf die Gegenwart, das Gesamtprogramm hingegen auf die Tradition, an deren Ziel die Durchsetzung der Herrschaft Christi, des sol invictus, unter seinem Vicarius Alexander VI. stünde. Diese von Poeschel beschworene Einheit verharrt auf einer, formal wie inhaltlich, eher unspezifischen, allgemeinen Ebene, was aber an der gedanklichen Tiefe dieses Programms nicht rüttelt. Es ist schon beeindruckend genug, daß in der Dekoration des Appartamento Borgia Themen und Gestalten der altägyptischen, altrömisch-heidnischen, der jüdischen und der christlichen Geschichte und Religion nebeneinander stehen, ohne einen disparaten Eindruck zu evozieren. Hier liegen die wichtigsten Erkenntnisse des Buches. Ob dieser gemalte Synkretismus zur Verklammerung die beschworene einengende Einheit oder auch die sogenannten "Schlüsselbilder" bei der Disposition braucht, erscheint letztlich ebenso wenig zwingend wie die Suche nach einem Beginn und einem Ende der einzelnen Freskenfolge im Raum.


Eva-Bettina Krems

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Eva-Bettina Krems: Rezension von: Sabine Poeschel: Alexander Maximus. Das Bildprogramm des Appartamento Borgia im Vatikan, Weimar: VDG 1999
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1,

Rezension von:

Eva-Bettina Krems
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr