Rezension

Björn R. Kommer: (Hg.) Adriaen de Vries: Augsburgs Glanz - Europas Ruhm. Katalog zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg vom 11.3.2000 bis 12.6.2000, Neustadt an der Weinstraße: Umschau 2000,
Buchcover von Adriaen de Vries: Augsburgs Glanz - Europas Ruhm
rezensiert von Alexander Markschies, Institut für Kunstgeschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen

Ohne einen aktuellen Anlass fand vom 11. März bis zum 12. Juni 2000 in Augsburg eine große und vor allem in der Tagespresse viel beachtete Ausstellung (Die Welt 15. 3. 2000, SZ 16. 3. 2000, FAZ 8. 4. 2000, besonders wichtig Der Spiegel 10/2000) über den Bildhauer Adriaen de Vries statt. In leicht veränderter Form, das heißt mit einer neuen Ausstellungsarchitektur sowie unterschiedlichen Exponaten setzte sie damit die de Vries-Schau fort, die vorher in Amsterdam, Stockholm und Los Angeles Station gemacht hatte. Die reiche Zahl der gezeigten Bronzeplastiken von de Vries bestimmt neben den zum Vergleich herangezogenen Werken von Giambologna, dazu zwei der ihm zugeschriebenen Zeichnungen sowie Stichen nach seinen Arbeiten und nicht zuletzt Archivalien das Bild, das der Besucher der Ausstellung wie auch der Leser des Kataloges vorgeführt bekommt. Ausgespart blieben - naturgemäß - die großen architektonisch und stadträumlich wirksamen Ensembles wie die Brunnen (Augsburg und Schloss Frederiksborg) oder die für Fürst Ernst von Schaumburg-Lippe ausgeführten Arbeiten: das Taufbecken in der Stadtkirche von Bückeburg sowie dessen Grabmal in der St. Martini-Kirche von Stadthagen (vgl. dazu jetzt mit guten Abbildungen Lars Olav Larsson, Adriaen de Vries in Schaumburg. Die Werke für Fürst zu Holstein-Schaumburg 1613-1621, Ostfildern 1998). Damit wird ein grundsätzliches Problem offenbar: Das Kataloghandbuch erscheint zunächst als eine Künstlermonografie, vermag diesen Anspruch jedoch nicht einzulösen, weil aufgrund der Auswahl der Ausstellungsobjekte keine integrale Sicht auf den Künstler ausgebreitet werden kann - und auch die einleitenden Essays bilden eher nur ein splittriges Panorama. Gleichwohl ist diese Praxis gleichsam versteckter Künstlermonografien gerade auf dem deutschen Buchmarkt weit verbreitet, nicht zuletzt weil der Absatzmarkt für aufwendig produzierte, abbildungsreiche Bücher anläßlich von Ausstellungen offenbar leichter zu kalkulieren ist.

Mit Ausnahme des in der Forschung momentan höchst kontrovers diskutierten Frühwerks ist das Oeuvre des Adriaen de Vries anhand der gezeigten und besprochenen Werke einigermaßen nachvollziehbar: Die frühesten Plastiken des 1545 oder 1556 in Den Haag geborenen Künstlers (vgl. zur Diskussion des Geburtsdatums Frits Scholten im Katalog, S. 19f. sowie Dorothea Diemer, in Kunstchronik 52, 1999, S. 242-259, hier S. 244f.) dürften sich in der Werkstatt Giambolognas nachweisen lassen. Dort hatte er seine Ausbildung erfahren, die ihn zu einem der gefragtesten Bronzeplastiker in Europa machen sollte. Die Händescheidung innerhalb einer Werkstatt ist indessen grundsätzlich problematisch, und so wird die persönliche Autorschaft von de Vries an einigen Werken - und hier häufig lediglich nur an Partien dieser Werke (vgl. etwa Kat. Nr. 3) - sicherlich noch über einen längeren Zeitraum Gegenstand der Auseinandersetzung bleiben. über die weitere Tätigkeit von de Vries in Italien, 1586 als Gehilfe Pompeo Leonis in Mailand anläßlich der Arbeiten für den Hochaltar im Escorial und ab 1588 als Hofbildhauer in Turin, informiert der einleitende, wichtige Essay von Frits Scholten (S. 19-45). 1593 kam de Vries dann mit dem Prager Hof in Kontakt und schuf für Kaiser Rudolf II. zwei große Bronzegruppen: Psyche, getragen von Putten (Kat. Nr. 4) sowie Merkur und Psyche (Paris, Louvre; im Katalog repräsentiert durch die Kupferstiche des Jan Muller, die die vielansichtige Gruppe von drei Ansichtsseiten zeigen). Beide Arbeiten erweisen sich stark von Giambologna beeinflusst, und dies entspricht ja letztlich den Erwartungen Rudolfs II., schließlich hatte er zuvor vergeblich versucht, Giambologna für eine Tätigkeit am Prager Hof zu begeistern. Später wurde de Vries in Prag als "Kammerbildhauer" hochrangiges Mitglied des Hofes, er sollte dort bis zu seinem Tod hauptsächlich tätig bleiben.

Mit seinen beiden ersten Werken für Rudolf hatte sich de Vries jedoch auch für weitere Aufgaben empfohlen: Für die Arbeit an den beiden Brunnen in der heutigen Maximilianstraße in Augsburg, die zusammen mit dem früheren Augustusbrunnen von Hubert Gerhard einen wesentlichen Teil der Vorstellung von Augsburg als einer Stadt der Künste ausmachen - der Ruhm wurde durch Kupferstiche und Reiseberichte verbreitet (hierzu Kat.-Nrn. 50-57 sowie der Essay von Björn R. Kommer und Markus Johanns, S. 133-146). Obwohl die Augsburger Tätigkeit von de Vries bereits häufiger im Blick der Forschung stand, sind hier Ausstellung wie Katalogbuch gewichtige neue Erkenntnisse zu verdanken: Zunächst und vor allem ist die konservatorische und restauratorische Bearbeitung der Brunnenskulpturen durch das Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege zu nennen, bei der die ursprünglich intendierte Patinierung der Plastiken wieder zum Vorschein kam und für die nächsten Jahre gesichert scheint. Statt einer grünen oder schwarzen, leicht porösen Oberfläche zeigten sie ein breites Farbspektrum, das von einem schwärzlichen Grau bis zu einem hellen Grün reichte. Gerade im technischen Bereich werden in Zukunft noch weitere Ergebnisse zu erwarten sein, insbesondere was Oberflächengestaltung, Gusstechnik oder Konstruktionsweise der Figuren betrifft. Dies ist kein Selbstzweck, der gerade einmal Zuschreibungsfragen auch von einer anderen Seite in den Blick nehmen kann. So hat etwa die Untersuchung der ursprünglichen Farbigkeit der 1615 von Christian IV. von Dänemark bei de Vries in Auftrag gegebenen Brunnenanlage ergeben, dass mit dem ursprünglichen Changieren der Farben von Rot zu Gold auf das Wappen der Oldenburger angespielt wurde - der Dynastie, der Christian IV. entstammt (Uwe Heithorn, S. 53). Darüber hinaus darf man die Brunnen in ihrer inhaltlichen Programmatik stärker auf Augsburg beziehen als bisher angenommen (Christoph Emmendörfer, S. 123ff.). Und auch ihre konkrete Entstehung wird besser fassbar, nachdem Gabriele Roeck die Tätigkeiten und den Anteil des Giessers Wolfgang Neidhardt (S. 106-112) und Wilhelm Ruckdeschel die technische Seite der Wasserversorgung untersucht haben (S. 113-120).

Schließlich - und auch das wird durch die neuere Forschung immer klarer - wandelt sich der Stil des Adriaen de Vries gerade bei den beiden Augsburger Brunnen weg von einer starken Orientierung an Giambologna hin zu einer natürlichen, lebensvolleren Figurenbewegung in weicher, ja geradezu spontaner Modellierung. Mögen manche dies bereits als Frühbarock bezeichnen (Volker Krahn, in Weltkunst 68, 1998, S. 2290-2293, hier S. 2291), differenzieren diese Beobachtungen in jedem Fall die Sichtweise auf de Vries als eines Epigonen Giambolognas auf dem Höhepunkt des Manierismus (so etwa Andreas Tönnesmann, Der europäische Manierismus 1520-1611, München 1997, S. 265). Auch in anderer Hinsicht unterscheidet sich die Arbeit de Vries von derjenigen seines Lehrers: Läßt dessen enorme Produktivität auf eine gesteigerte Nachfrage schließen, die sich auch für Repliken und nicht nur Unikate interessierte, schuf jener wiederum in der Regel Einzelwerke, was nicht zuletzt technisch bedingt ist. Bei den von de Vries überwiegend praktizierten Wachsausschmelzverfahren ging die eigentliche Arbeit, die in Wachs modellierte Gussvorlage, stets verloren (Gabriele Roeck stellt im Katalogbuch übersichtlich die Belege zusammen, nach denen die Arbeit am Wachsmodell fast doppelt so hoch bezahlt wurde wie der zeit- und materialaufwendige Guss der Figur). Der Vorteil dieses Verfahrens gegenüber dem indirekten Guss mit Hilfe von Formnegativen bestand darin, dass die Herstellung schneller ging und zudem auf der Oberfläche mehr von der spontanen Modellierung erhalten blieb. Diese war de Vries offenbar wichtig, denn Kennzeichen seiner Plastiken war die lebendige, oft skizzierte, ja geradezu unvollendet gelassene Oberfläche (vgl. dazu den Beitrag von Francesca Bewer in der englischen bzw. niederländischen Version des Kataloghandbuches). Demgegenüber zeichnen sich die in Guss- und Bearbeitungsqualität hervorragendsten Arbeiten Giambolognas - es sind wohl nicht zufällig gerade diejenigen Werke, die er signiert hat - durch "eine schimmernde, lichtempfindliche Oberfläche aus, durch eine minuziöse Detaillierung der Anatomie und eine perfekte Glättung der Hautpartien" (Andreas Tönnesmann, S. 265).

über die Werkstattpraxis des Adriaen de Vries wird auch in Zukunft nachzudenken sein: Modelle aus seiner Hand haben sich - etwa im Gegensatz zu Giambologna - nicht erhalten und auch der Bestand an eigenhändigen Zeichnungen ist schütter. Nur eine einzige ist signiert und datiert (Dresden, Staatliche Kunstsammlungen; in Augsburg leider nicht ausgestellt), weitere neun werden ihm lediglich zugeschrieben (Thomas DaCosta Kaufmann, S. 73-80). Ob de Vries auf der Grundlage von Zeichnungen oder Modellen seine Figuren geplant hat, wird also sicherlich noch diskutiert werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Beobachtungen von Erna Fiorentini (Zeitschrift für Kunstgeschichte 63, 2000, S. 269-277), die auf zweidimensionale Vorbilder im Schaffen von de Vries aufmerksam macht und darüber hinaus auf die "lange Tradition lokaler Florentiner Bildhauerpraxis" hinweist, "die Zeichnungen als Entwurfsmedien bevorzugte" (vgl. dazu jetzt auch Johannes Myssok, Bildhauerische Konzeption und plastisches Modell in der Renaissance, Münster 1999).

Adriaen de Vries galt um 1600 als einer der bedeutendsten Bildhauer Europas, davon zeugen nicht zuletzt seine Arbeiten für einen breiten und zudem prominenten Auftraggeberkreis. Bereits 1589 bestand die Hoffnung, er "werde sich eines Michelangelo würdig erweisen" (zit. nach Frits Scholten, S. 25). Stolz verkündete er selbst im Jahre 1620, als er seine Nachbildung des Farnesischen Stiers (Gotha, Schlossmuseum) Fürst Ernst zu Schaumburg-Lippe zum Kauf anbot, dass sein "toro so viel Werth ist wie der zu Rom von Marmor stehe" (zit. nach Lars Olaf Larsson, Adriaen de Vries, München/Wien 1967, S. 84). Darüber hinaus sollte diese Figurengruppe in einem ansonsten weitgehend ausstattungsfreien Raum auf einen drehbaren Sockel aufgestellt werden, eine Ehre, die ansonsten zu dieser Zeit nur antiken Figuren zukam (Lars Olaf Larsson, Von allen Seiten gleich schön. Studien zum Problem der Vielansichtigkeit in der europäischen Plastik von der Renaissance bis zum Klassizismus, Uppsala 1974, S. 64 ff.), mit denen hier offensichtlich bewusst ein Wettstreit aufgenommen wurde.

Seit etwa einhundertdreißig Jahren beschäftigt man sich wissenschaftlich mit de Vries, nachdem er über lange Zeit - trotz seiner Bedeutung - weitgehend vergessen war (vgl. dazu den Forschungsüberblick von Lars Olaf Larsson, S. 81-91). Das Kataloghandbuch leistet zur neueren Forschung einen bedeutenden Beitrag, parallel zu konsultieren ist jedoch die englische bzw. niederländische Ausgabe (Los Angeles 2000, Zwolle 1998). Zum einen wegen der durchweg besseren Qualität der Abbildungen, zum anderen weil dort einige andere Aufsätze und Katalogbeiträge aufgenommen sind. In vielerlei Hinsicht steht zu hoffen, dass die de Vries Forschung durch die Publikationen einen weiteren Aufschwung nimmt, so ist etwa das häufiger angesprochene Thema, die Bronzen des Künstlers seien ein "Mittel der Propaganda", an keiner Stelle wirklich ausgeführt.


Alexander Markschies

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Alexander Markschies: Rezension von: Björn R. Kommer: (Hg.) Adriaen de Vries: Augsburgs Glanz - Europas Ruhm. Katalog zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg vom 11.3.2000 bis 12.6.2000, Neustadt an der Weinstraße: Umschau 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1,

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Alexander Markschies
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Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr