Das Fotoalbum als Teil der Alltagskultur

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Fotoalbum ein Teil der Erinnerungskultur wie der erinnerten Geschichte. Die Einbände wurden seit den 1950er Jahren und bis in die 1980er Jahre hinein allerdings immer schlichter. Kunstleder – mit geometrischen Formen bedruckt oder geprägt – herrschte nun vor. Fotoalben sind zu Gebrauchsgegenständen der Alltagskultur geworden, zu einem industriellen Massenprodukt. Man erkennt dabei deutlich bestimmte Serien, die einzig in der Farbgebung variieren. Bis in die 1980er Jahre war es in vielen Familien üblich, für jedes neu geborene Kind ein eigenes Fotoalbum anzulegen und darin die Lebensetappen – meist bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter – fotografisch zu dokumentieren.

Stefan Selke bemerkt dazu in seinem überaus aufschlussreichen Buch »Lifelogging. Wie die digitale Selbstvermessung unsere Gesellschaft verändert» (Berlin, 2014): »Nach der Scheidung meiner Eltern fielen mir Diakästen, Fotoalben und die üblichen Schuhkartons mit Fotos zu. Die Fotos, die ich archivierte, stammten aus den 1960er bis 1980er Jahren. Sie zeigen deutlich, wie die fotografische Praxis einer ganzen Generation vom Wunsch geprägt wurde, Ordnung ins eigne Leben zu bringen« (S. 132). Leider wird diese Beobachtung nicht weiter spezifiziert. An anderer Stelle führt der Autor jedoch aus: »Mit den Fotos als Erinnerungshilfe ist die Idee einer Lebenschronik verbunden, in der fotografische Serien die Funktion der Beglaubigung und Rückversicherung übernehmen. Jedes Foto hat dabei eine Bedeutung, die weit über seine Materialität hinausgeht.« (S. 137).

Zu einer solchen Lebenschronik gehören auch Alben, die sich thematisch nicht der Familie widmen, sondern den Interessensschwerpunkten des Albenerstellers in Freizeit oder Beruf. Mögen diese Vorlieben nun auf dem Gebiet des Sports oder der Technik liegen, in Wissenschaft und Kunst, bei den unternommenen Reisen, Vereinen, Organisationen, oder was darüber hinaus denkbar ist: Die Vielfalt wird immer größer.

Viele dieser Alben dürften noch in Privatbesitz sein, und erfahrungsgemäß verbleiben sie dort, bis sie für die Nachgeborenen auf Grund der unweigerlichen Informationsverluste sowie der nicht mehr vorhandenen persönlichen Beziehung zum abgelichteten Inhalt an Interesse verlieren, was wohl spätestens ab der vierten Generation der Fall sein dürfte. Manches Album wird heute vor allem deshalb zum Kauf angeboten, weil die Befürchtung besteht, die Nachkommen könnten es einfach entsorgen. Inzwischen hat die digitale Welt das Koordinatensystem von medialen Erwartungen und Ansprüchen vollkommen verändert. Auch hierzu äußert sich Stefan Selke, indem er schreibt: »Ganz offensichtlich haben klassische Erinnerungshilfen wie Fotoalben und Tagebücher für die meisten ausgedient. Aber was tritt an ihre Stelle? Wie wird sich die Generation Internet an die eigene Kindheit und Jugend, an das eigene Leben erinnern?« (S.133) Und an dieser Stelle zitiert er den Sozialwissenschaftler Will Odom, der die virtuellen Besitztümer Jugendlicher untersuchte, und zu dem Ergebnis kam, »dass für die Jugendlichen Ereignisse oder Dinge nicht ›real‹ oder ›authentisch‹ sind, solange sie kein Foto davon gemacht, diese ›getaggt‹ (mit Metadaten versehen), ›gesharet‹ (mit anderen geteilt) sowie diese bewertet oder kommentiert hatten.« (zit. n. ebd.).

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