Klaus und Erika Mann an der Riviera und auf Weltreise

Von Prof. Dr. Maren Lickhardt

»The first is the appearance of a new medium for art, and the second is the appearance of a new personality for art also.«
(Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray, S. 16–17) 

Würde Oscar Wilde heute noch leben, wäre er mit seinen aphoristischen Sentenzen ein beliebter Twitter-User. Allein dieser Gedanke stellt in Aussicht, dass eine Persönlichkeit oder ein persönlicher Stil doch vor dem Medium auftauchen kann. Aber was Wilde hier zum Ausdruck bringt, nämlich dass das Medium als Dispositiv bestimmte Künstler*innen-Typen zum Vorschein bringt, trifft durchaus zu. 

Wenn es um neue Medien geht, denkt man in Bezug auf die 1920er Jahre vermutlich zunächst an das Kino und das Radio, die ihre erste große Blüte in diesem Jahrzehnt hatten und die tatsächlich neue Kunstformen und Künstler*innen-Typen hervorgebracht haben. Dass nach dem Ersten Weltkrieg die Pressefotografie deutlich verbreiteter wurde und illustrierte Unterhaltungsmagazine an Zahl und Auflage florierten wie nie zuvor, ist erst in den letzten Jahren in der Forschung stärker berücksichtigt worden. 

Besonders beliebt bei der jungen urbanen Bevölkerung der Weimarer Republik waren z.B. die Zeitschriften ›Uhu‹ und ›Die Dame‹ (Ullstein Verlag) oder ›Scherl’s Magazin‹ (Verlag August Scherl) und viele mehr, die teilweise in einem Gemeinschaftsprojekt von Patrick Rössler (Universität Erfurt) und der SLUB Dresden digitalisiert wurden. Diese Zeitschriften können als Entstehungsbedingung zahlreicher künstlerischer Innovationen angesehen werden. Im Forschungsprojekt ›Präfigurationen von Pop in Unterhaltungsmagazinen der 1920er Jahre‹ geht es darum zu rekonstruieren, mit welchen Ästhetiken und welchen Funktionen die Magazine eine kleine erste Generation Pop-Literat*innen ermöglicht oder gar erschaffen haben.

So könnte man zum Beispiel Klaus und Erika Mann als Pop-Dandys beschreiben, die in einem Zwischenreich zwischen Fakt und Fiktion vor allem sich selbst und einen distinguierten Lifestyle beschreiben. Als Kinder von Thomas Mann gelten sie von vorne herein als Prominente, die in der Presse boulevardesk in Szene gesetzt werden. Als diese Aufnahme im Oktoberheft der ›Revue des Monats‹ 1931 entstand, waren Klaus und Erika Mann freilich selbst bereits aufgrund künstlerischer Leistungen bekannt.

Sie veröffentlichten selbst – neben buchförmigen Texten und Theaterstücken – in Zeitschriften wie dem ›Querschnitt‹ oder besagtem ›Uhu‹, z.B. ›Unordnung und späte Freude‹ (Erika und Klaus Mann, in: Der Querschnitt, Dez. 1928, S. 825ff.), ›Gruß an das zwölfhundertste Hotelzimmer‹ (Klaus Mann, in: Der Querschnitt, Aug. 1931, 552), ›Der Unstern‹ (Erika Mann, in: Uhu, Feb. 1932, S. 94ff.) oder ›Im Schlaf durchs Ziel. Zwei auf der Europafahrt‹ (Erika Mann, in: Uhu, Nov. 1931, S. 91ff.).

Die Zeitschriften haben je andere Profile; sie widmen sich Mode, Stilfragen, Urlaub, Beziehungen etc. Reklame, Werbeanzeigen, Ratgeber, Bilder und literarische Texte treffen sich hier nicht nur auf engem Raum, sondern beziehen sich formal und funktional aufeinander: Magazinnovellen, Fortsetzungsromane und Gedichte archivieren Aspekte der Konsumkultur, indem sie z.B. Markennamen benennen. Umgekehrt sprechen Werbeanzeigen und Ratgebertexte die Leser*innen an, an der Konsumkultur zu partizipieren. Zudem inszenieren die Zeitschriften ästhetische Vorbilder – Stil-Ikonen wie z.B. Ruth Landshoff-Yorck. Mit schillernden Konsumversprechen und Anreizen, das eigene Leben entsprechend der bildlichen und literarischen Angebote zu gestalten, verwischen diese Zeitschriften die epistemologische Grenze zwischen Fakt und Fiktion.

Erika und Klaus Manns ›Reiseberichte Rundherum. Abenteuer einer Weltreise‹ (1929) und ›Das Buch von der Riviera‹ (1931) sind in diesem massenmedial generierten Zwischenreich zwischen Fakt und Fiktion angesiedelt. Zwar handelt es sich um realistische Berichte, und auch der Stil der Texte wirkt nicht ›literarisch‹, jedoch stilisieren sich die Manns selbst und alle Begebenheiten und sie beziehen sich in Ihren Reiseschilderungen auf massenmedial vorgeprägte Topoi, die aus Leser*innen-Sicht einen fantastischen bzw. fiktionalen Charakter haben. 

In ›Rundherum‹ ist die Rede von – auch von deutscher Seite – massenmedial mythisierten Orten wie New York, Chicago und Hollywood, die von Deutschland aus nicht allen physisch zugänglich sind, wenn man nicht zur Protoform des Jetsets gehört. Das mondäne Moment wird noch gesteigert durch die Hotels, in denen die Manns residieren – wie das Astor Hotel (Rundherum, S. 11), das Plaza Hotel (Rundherum, S. 27, 36) –, und die Bildungsstätten, die sie erwähnen – Harvard, Princeton (Rundherum, S. 55). Im Text selbst wird eine ästhetische Weltsicht inszeniert, die gleichwohl auch gesellschaftlich moderne Aspekte kritisch bemerkt. »New York ist eine der allerschönsten Städte (ästhetisch gewertet, abgesehen also von schlechter Justiz, Negerproblem, Sensationspresse und Prohibition) […].« (AW 13–14) Insgesamt ist die Wahrnehmung der Geschwister literarisch und massenmedial vorgeprägt und gebrochen. 

Leser*innen der Texte konnten die Orte bereits aus illustrierten Magazinen kennen, weil es dort zahlreiche Berichte über und Bilder von New York und Chicago gibt und die Städte auch in fiktionalen Erzählungen Erwähnung finden oder Handlungsorte bilden. In ›Das Leben‹ findet 1931 ein Gewinnspiel statt. Leser*innen müssen Fotos, sehr wahrscheinlich Urlaubsfotos, einsenden. Die besten werden prämiert. Unter den Einsendungen findet sich auch eine Fotografie aus Chicago, d.h. nicht nur Klaus und Erika Mann, sondern auch die Leser*innen von ›Das Leben‹ leben – hier zwei Jahre nach Erscheinen von ›Rundherum‹ – einen kosmopolitischen Lifestyle, und sie leben ihn den anderen Leser*innen vor. 

Dass so viel aus Amerika berichtet wird, fügt sich in den pro-amerikanischen Diskurs der 1920er Jahre. Insbesondere bei jungen Menschen gilt Amerika als Sinnbild für Modernität schlechthin und insofern auch als Vorbild. Gemeint sind liberale bis konservative, in jedem Fall nicht kommunistische, der Markwirtschaft und dem Kommerz zugeneigte Menschen, die Technisierung, Metropolisierung, Medialisierung feiern. 

In der ›Revue des Monats‹ vom September 1928 ist eine Präsentation der New Yorker Fifth Avenue zu sehen. Die Fifth Avenue ist in den 1920er Jahren bereits sehr bekannt und Inbegriff der luxuriösen Konsumkultur der Stilvollen, Schönen und Reichen, auch wenn das lange Zeit berühmteste amerikanische Gebäude, das Empire State Building erst 1930/31 auf der Fifth Avenue gebaut wird. In Deutschland erscheinen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre im ›Querschnitt‹, in ›Scherl’s Magazin‹, in der ›Revue des Monats‹ etc. Bilder dieser Straße.

Erika und Klaus Mann berichten nicht nur aus Amerika; sie rekurrieren auch gezielt auf die massenmedialen Topoi über Amerika, die in Deutschland bereits verbreitet sind. Auch wenn sie in ihrem Text durchaus eigene Akzente setzen, bestätigen sie doch, was ohnehin schon – wirklich oder vermeintlich – aus den Medien gewusst wird. Diese Anschlussfähigkeit wird bewusst gesucht, weil das gemeinsame Wissen und die miteinander geteilte Aufmerksamkeit allen Beteiligten – den Schriftsteller*innen, Journalist*innen und Leser*innen – bestätigt, zu einer Gruppe zu gehören. Das gemeinsame Wissen und die miteinander geteilte Aufmerksamkeit eint alle, die an dieser Medienkommunikation beteiligt sind. 

Auch die Stars, über die die Manns aus Hollywood berichten, sind nicht etwa amerikanische Geheimtipps, sondern die Personen, die auch in Deutschland aus dem Kino und den Paratexten in der illustrierten Presse bekannt sind. Mondän ist die Nennung derer, denen die Manns nun hautnah begegnen und die sie den Leser*innen nahebringen, indem sie sich selbst als identifikatorische Sonden anbieten: Emil Jannings (Rundherum, S. 29), Conrad ›Connie‹ Veith, Ernst Lubitsch, Pola Negri (Rundherum, S. 33–34) sowie Greta Garbo (Rundherum, S. 36–37). 

In ›Das Leben‹ vom Januar 1927 findet sich ein die Leser*innen aktivierendes Spiel. In einer vorherigen Ausgabe sollten die zerschnittenen Gesichter der Stars zusammengefügt werden. Solche Spiele sind ein typisches Merkmal serieller Kulturprodukte. Sie dienen der Bindung der Leser*innen an ein Blatt, weil man die Ausgabe mit der Lösung sicherlich kauft, hat man sich an dem Speil beteiligt. So wird schon in den 1920er Jahren (aber dies geschah auch bereits im 19. Jahrhundert in der Gartenlaube, wie Claudia Stockinger herausgearbeitet hat) der Erfolg kommerzieller Serialisierung sicher gestellt. Über die Bindung der Leser*innen entstehen Lektüregemeinschaften, die wiederum in Stilgemeinschaften im Sinne Thomas Heckens münden können, d.h. einer Gruppierung von Menschen, die sich ästhetisch auf ähnliche Weise stilisieren. Die Werbeanzeigen in den gleichen Zeitschriften bieten dazu genug Inspirationen, ganz abgesehen davon, dass die Stars selbst, wie Emil Janning und Conrad Veidt, Stil-Ikonen waren. 

Die Schauspielerin Pola Negri wird in Unterhaltungsmagazinen nicht nur vielfach abgebildet, sondern steht auch für einen modernen Stil. Der Anglizismus ›sex appeal‹ steht für ein neues Stil-Ideal, das in den 1920ern Jahren nach amerikanischen Vorbildern in Publikumszeitschriften popularisiert wird. 

Pop-kulturelle Stilgemeinschaften bilden sich auch auf Basis von Zeitschriftenwissen. Diese Stilgemeinschaften sind Ausdruck dessen, dass Menschen sich auf Basis von frei gewählten, kontingenten Geschmacksfragen miteinander identifizieren und sich von anderen unterscheiden. Andere soziodemografische Variablen treten dagegen zurück, d.h. aus einem Arbeiter*innen-Milieu zu stammen ist weniger determinieren für diese Stilgemeinschaften, als zu wissen, wie man auf der Höhen der Zeit – en vogue oder in ist –, und dies wissen diejenigen, die an spezifischen Medienkulturen partizipieren. Zeitschriften bilden in diesem Prozess ganz wichtige Inkubatoren. 

Die Manns unterwerfen sich insgesamt freiwillig den modernen Werbe- und Medienbedingungen. So inszenieren sie sich als erlebende Figuren als Zwillinge, um sich interessanter zu machen (Rundherum, S. 10). Aber der Mechanismus wird dadurch dekonstruiert, dass sie dies als erzählende Figuren klar als Werbestrategie herausstellen. Außerdem platzieren sie beim Schreiben auf der Textoberfläche Marken und Sensationsmeldungen. Coca-Cola wird erwähnt (Rundherum, S. 29), was metonymisch auf Amerika verweist, aber auch auf Werbung an und Konsum für alle, wenngleich nicht in dem Ausmaß, wie wir es heute kennen. 

Zurück in Berlin steht die Berliner Zeitung für Heimkommen und Heimatlichkeit. »In dem Augenblick, da wir die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wiedersahen, war schon die ganze Weltreise zum Traum geworden. Niemals hatten wir mit Ricki vom Woolworth-Building geschaut, nie den Chaplin im Restaurant belauscht […], nie haben wir andere Musik in den Ohren gehabt als die uralten Rufe: ›B.Z. am Mittag – B.Z.!‹« (Rundherum, S. 142) Es ist auch der mediale, nicht nur der geographische Raum, der zeigt, dass man zu Hause ist. Außerdem erscheint das Erlebte angesichts der ›B.Z.‹ teilweise als irreal, weil die gleichen Topoi, die im Reisebericht aufgerufen werden, auch in dieser Zeitung und anderen stehen. Spielt es eine Rolle, ob man etwas wirklich erlebt oder es in einer Illustrierten gelesen hat? Hier verwischen die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion. 

Interessanterweise wird Berlin von den Manns gleich zu Beginn explizit als amerikanischer als New York beschrieben (Rundherum, S. 14), was darauf hindeutet, dass Amerika in Deutschland nicht nur beobachtet und imitiert wird, sondern sich hier auch erst die Klischees verdichten, die Amerika zugeschrieben werden, d.h. amerikanischer als Amerika ist Berlin, weil ganz Berlin und die Manns aus der Perspektive einer deutschen Medienrealität für sich definieren, was amerikanisch ist. Gleichzeitig zeigen sie aber auch ein Spiegelungs- und Projektionsverhältnis, das in die umgekehrte Richtung läuft, indem sie bemerken, dass die Reichen in Amerika europäischen Fürsten gleichkommen (Rundherum, S. 18). Diese Aussage lässt en passant die Tatsache aufscheinen, dass es der amerikanischen (Klassen-) Gesellschaft – zumindest gefühlt – an Distinktionskriterien mangelt – schließlich ist Geld an sich erst einmal unsichtbar –, die sie durch den Bezug auf den europäischen Adel zu gewinnen erhofft, der in Europa untergegangen ist, während umgekehrt das um die Klassengesellschaft beraubte bzw. erleichterte Europa nach Amerika schaut, um neue Konturen zu gewinnen, dabei aber kaum bemerkt, dass es sich teilweise um Re-Importe handelt. Die wechselseitige Stilisierung von europäischem Adel und amerikanischer Upperclass, die sich in großem Maß über massenmediale Vermittlung, auch in Magazinen und natürlich im Film vollzieht, liefert einen Baustein zur Konstituierung von Pop in den 1920er Jahren.

Dass sich die Klassengesellschaft in Deutschland überlebt hat, bedeutet aber nicht, dass europäische Adelige nicht mehr von Interesse wären. Vielmehr verwandeln sie sich schon in den 1920er Jahren in die Art von Prominenz, wie wir sie heute kennen. Als Stil-Ikonen bleiben sie interessant, also dann, wenn sie ästhetisch von Interesse sind, die adelige Geburt wird zweitrangig, wenngleich sie auch nach dem Ersten Weltkrieg noch qua Geburt oftmals privilegiert sind und daher Konsumästhetik vorleben können. In der Ausgabe von Scherl‘s Magazin wird auch die historische Dimension thematisiert, allerdings mit dem boulevardesken und sensationalisierbaren Thema der illegitimen Liebe verknüpft. 

Adelige werden in einer Vielzahl von Reportagen, Kurzgeschichten und Bildergeschichten erwähnt, teilweise im Kontext von Lifestyle-Fragen, teilweise im Zusammenhang mit melodramatischen Motiven wie Liebe, Mord und Tod. Im Artikel ›Die Sehnsucht unserer Zeit nach einer Weltansschauung‹ von Hermann Hesse im ›Uhu‹, November 1926, geht es um die Suche nach neuen Lebensweisheiten. Dies wäre im Kontext der Klassischen Moderne und im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung und im Gefolge des Ersten Weltkrieges – gerade mit Bezug zu Hesse – ein eigenes Thema. Was später unter ›New Age‹ firmiert und bei aller existenziellen Aufladung vielleicht auch nur ein ästhetischer Lebensstil neben vielen ist – wenngleich mit mitunter gefährlichen gesellschaftspolitischen Implikationen – wird im ›Uhu‹ auch anhand von Adeligen exemplifiziert, was einmal mehr zum Ausdruck bringt, dass die gesellschaftlichen Kategorien durcheinander geraten sind, auch die Adeligen nicht mehr qua Geburt, sondern qua Spleen zu einer Identität finden. Und immer vor den Augen der Öffentlichkeit, inszeniert von der illustrierten Presse.

Wie aus der – regelmäßig erscheinenden – Kolumne ›Film-Puzzle‹ in der ›Revue des Monats‹ hervorgeht, war der Reiseratgeber der Manns selbst wieder Gegenstand einer massenmedialen Bewertungskultur. Ebenso wie die Pop-Literat*innen der 1990er Jahre gerieren sich die Manns als Maßstab für Stil und Coolness, wobei der letzte Begriff in den 20er Jahren noch nicht verwendet wurde. Sie sind die Dandys, die über andere urteilen, die fast hauptberuflich Geschmacksurteile auch über andere fällen. In der Kolumne wird dies als »unbedeutende Auslassungen« bezeichnet. Die Geschwister haben sich in ›Rundherum‹ auch despektierlich über das geäußert, was sie in Amerika vorgefunden haben. Was wären Dandys, würden sie nicht ›snobben‹, also andere aburteilen. – Snob und Snobben sind nicht selten gebrauchte Wörter in den 20er Jahren. – Nun rechnet das Film-Puzzle im boulevardesken Modus mit ihnen ab. Sie seien von den von ihnen kritisierten Universal Filmstudios nur abgeblitzt und daher nicht gut auf sie zu sprechen. 

›Das Buch von der Riviera. Was nicht im Baedeker steht‹ möchte gemäß Titel Informationen liefern, die der prominenteste Reiseführer seit dem 19. Jahrhundert nicht liefert. Das Riviera-Buch der Manns ist ein Band in einer Reihe von Reiseführern des Piper Verlags (1927-1938). Der programmatische (Reihen-)Titel ›Was nicht im Baedeker steht‹ evoziert, dass hier alternative, abseitige, besondere Informationen, also Insiderwissen vermittelt wird. Das ist aber im Grunde nicht der Fall. Bzw. müssten die Outsider dann schon Personen sein, die die zeitgenössische Literatur sowie die auflagenstarken Lifestyle-Magazine und Magazinnovellen nicht kennen. Denn der Reiseführer der Manns bedient von Beginn an ostentativ die »Legende« und die »populäre Vorstellung«. 

»Die Riviera: Legende von Luxus, Glanz, rollender Kugel, Hermelinpelz und Champagnerseligkeit.« (Riviera, S. 7) 

»Sonne, Sonne, Sonne – plus Golfstrom. Ganz blaues Meer, Palmenalleen, Kasinos, Luxushotels: das ist die populäre Vorstellung von der Riviera.« (Riviera, S. 8) 

Dass das für die reisenden Geschwister reale Szenario im Grunde schon längst fiktional über-schrieben ist, dass sie sich an Orte begeben, die schon literarisch, filmisch etc. ebenso derealisiert wie festgeschrieben sind, betonen die Manns vielmals.

»[D]ie meisten [kommen] aber doch wegen der Boules, des Roulette und des Bakkarat. – Die Spielertragödien á la Dostojewski muten uns etwas stark altmodisch an; aber sie verlieren nicht an brennender Aktualität für den, der sie gerade erlebt. Die typischen ›Riviera-Existenzen‹. Die, welche ›nicht mehr loskommen‹, sondern Jahr und Jahrzehnte an der Küste bleiben, wie im Zauberberg, sind meistens dem Spiel verfallen, seiner vielfach geschilderten, klassischen, fast schon konventionellen Dämonie, die im Monte-Carlo-Kasino am eigentümlichsten zu Hause ist.« (Riviera, S. 14–15)

»Nichts war mir neu, vielmehr war mir völlig zumute wie einem, der etwas wieder sieht: so sehr hatten Operndekorationen, Film und Kitschpostkarte mich an Farben, Atmosphäre und Gesamtbild der Arena gewöhnt.« (Riviera, S. 128)

Die Geschwister Mann verweisen darauf, dass ihre Wahrnehmung der Côte d’Azur von zeitgenössischen Lifestyle-Zeitschriften vorgeprägt ist. Inhaltlich gibt es selbstverständlich zahlreiche Berichte über und Abbildungen von Roulette und anderen Spielen, den Spielern und den Casinos (z.B. ›Revue des Monats‹, Oktober 1929, S. 1298), Boulevardnachrichten über die Hochzeiten von Adeligen (z.B. ›Das Magazin‹, August 1928, S. 2531) und Segelregatten (z.B. ›Revue des Monats‹, Februar 1927, S. 402), Bilder von Fürst und Fürstin Aga Khan (z.B. ›Scherl’s Magazin‹, Oktober 1930, S. 1022) und von noblen Hotels (z.B. ›Das Magazin‹, April 1929, S. 3424) sowie von Künstlern wie beispielsweise Henri Matisse in seinem Atelier in Nizza (z.B. ›Der Querschnitt‹, Dezember 1929, o.P.). Es handelt sich bei diesen Aufzählungen um vergleichsweise wenige Beispiele, anhand derer ersichtlich wird, wie sich ein Côte d’Azur-Topos in den Lifestyle- und Boulevardmedien der 20er Jahre verdichtet hat und den Leser*innen der Manns schon bestens vertraut gemacht worden war. Über Cannes schreiben die Manns:

»Der Luxus ganz großen Stils wird mehr und mehr zur Legende. Die Großfürstin mit den Perlen, die zwei Provinzen wert sind, ist Vorkriegsspuk. Die elegante Welt, die mit blasierter Miene zehntausend Mark täglich verausgabt, flüchtet sich mehr und mehr in die Zeitschrift gleichen Namens, wo sie in der Rubrik ›Sprechen Sie noch?‹ ihr schattenhaftes Dasein weiterführt. Eher in Ägypten oder St. Moritz.« (Riviera, S. 66)

Die elegante Welt ist Namensgeber und Gegenstand des Magazins ›Elegante Welt‹, wobei die Transformation einer Klasse in eine Zeitschriftenrubrik bzw. in eine Zeitschrift als Zeichen des Ablebens beschrieben wird; zumindest aus Sicht derjenigen, die davon betroffen sind. Der Reiseführer selbst bedient sich mit Freude all jener Aspekte, die zu Zeitschriftenklischees geworden sind; offensichtlich wissend, dass es sich um solche handelt.

Viele der angepriesenen Ortschaften in den Texten der Manns konkret nachweisbar mondäne Orte, die man in den 20er Jahren mit einer im Grunde fremden, aber durch Medienvermittlung bekannten Welt in Verbindung bringt (Riviera, S. 54).

»Dem großen Snob, der gerne mit Herzoginnen, Kaffeeköniginnen und Lords in derselben Hotelhalle sitzen möchte, bietet sie einige Hotels, wo diese in der Tat immer noch sitzen, kurz haben wir schon angedeutet, wo. – Inzwischen hat sie sich auch dem bourgeoisen Publikum weit geöffnet, ja es dominiert hier beinah, wie übrigens eigentlich fast überall auf der Welt. In Cap d’Ail, St.-Jean, Beaulieu, in Nice, St. Raphaël, Hyéres und an hundert verschiedenen anderen Plätzen findet es die ganze Gemütlichkeit, die es sucht; außerdem in mittleren Kasinos und Cafés, den Talmiglanz, der es blendet. Man kann es auf der Promenade von Nizza in solch dichten Haufen promenieren sehen, daß es nur noch ein amorphes Geschiebe ist […].« (Riviera, S. 13)

Auch aus diesem Zitat wird deutlich, dass noch immer – wenn es um Stil-Fragen geht – die Welt des Adels begehrt wird. Ihnen bleibt auch nach dem Krieg die ›Funktion‹, von öffentlichem Interesse zu sein, eine Projektionsfläche für Phantasien und den Maßstab für nachahmende Selbstinzenierungen darzustellen. Die Ignobiles streben nach Nobilitierung und imitieren die Aristokrat*innen durch Reisen. Dadurch dass die Geschwister Mann dies als Formierungsprozess des ungeformten, massenhaften Mittelmaßes beschreiben, nehmen sie der Sache durchaus ein wenig den Glanz. Gleichwohl tragen sie zu einer neuerlichen Mythisierung bei, indem sie Empfehlungen aussprechen. 

Mit ihren Empfehlungen erstellen die Manns pop-kulturelle Listen. Wohlklingendes aus dem Bereich des Populären wird einer Selektion unter ästhetischen Gesichtspunkten unterzogen und weiter popularisiert, um den In-Bereich einer distinktiven Gesellschaft abzustecken. Der ganze Ratgeber ist eine Ansammlung von Listen, die ihrerseits Sammlungen von Hotels, Bars, Geschäften und Orten darstellen. So lernt man aus dem Ratgeber, dass in St. Tropez die internationale Künstler- und Intellektuellen-Boheme verkehre (Riviera, S. 14, 56). Ein ominöses – oder aber aus den Medien bezogenes – Wissen wird vorausgesetzt, das einen dort hinführe. Im Text wird es als »Riecher« (Riviera, S. 57) oder »Instinkt« (Riviera, S. 58) bezeichnet. Ein Vermögen, das andere nicht haben, einen Geschmack oder Sinn, sich das auszusuchen, was die richtige Gruppe konstituiert, wird hier als Qualität ausgewiesen. Und so findet oder erfindet man die richtigen Orte, z.B. sei Juan-les-Pins ein Ort für diejenigen, »die auf sich halten« (Riviera, S. 83). Ortskenntnis ist wichtig, und die Manns verfügen über sie. Das vermeintliche Geheimwissen ist spätestens durch ihre Publikation nicht mehr geheim, wird aber bezeichnenderweise explizit als »Geheimliste« angeführt. »Es steht immer noch und nun schon ziemlich lange auf der ungeschriebenen Geheimliste der Orte, wo ›man‹ hingehen kann.« (Riviera, S. 66–67) Kennerschaft, also die Zugehörigkeit zu einem Kreis Eingeweihter ist wichtig, sodass sie das Richtige ästhetisch goutieren können oder auf die richtige Weise ästhetisch goutieren. »Jeder Rivieraort hat seine ganz bestimmte Note, seine atmosphärische Eigenheit, wenn man ihn nur recht kennt.« (Riviera, S. 84)

Das Buch eröffnet – als Reiseführer natürlich ganz einfach qua Gattung – einen direkten Kommunikationskanal zu den Leser*innen, um Appelle an sie zu richten. »Wenn Sie jetzt noch einmal hören, Nice, die Stadt am Meer, sei ›passée‹, dann fahren Sie diesem versnobten Gesellen über den Mund: er solle doch keinen Unsinn reden. Eine große Stadt ist nicht plötzlich passée, weil irgendeine Clique beschlossen hat, woanders wäre es schicker.« (Riviera, S. 106) Reiseführer informieren üblicherweise sachlich über Länder, Lokalitäten, Sitten und Gebräuche. Die Manns fügen sich dabei offensichtlich lustvoll so sehr in Medienklischees, dass man sich ebenso gut vorstellen könnte, sie haben den Reiseführer aus einer Sammlung von Lifestyle-Zeitschriften kompiliert und vollzögen lediglich einen Wechsel der Gattung und des Verbreitungsmediums, wie man glauben kann, sie haben diese Reisen selbst getätigt. Gleichwohl wird durch die Reisen der Manns ein authentisches Substrat behauptet, und der Reiseführer ist als solcher eine Aufforderung zur Nachahmung an die Leser*innen. 

Die Geschwister Mann tragen dazu bei, mit ihren Ratgebern Wirklichkeit zu erschaffen, denn schließlich sollen Leser*innen, sofern sie es sich leisten können, nachreisen und nacherleben. Folgende Urlaubsgrüße aus Juan-les-Pins an die Revue des Monats stehen sicher nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Buch von der Riviera, fügen sich aber in den Diskurs, Medienwelten zur realen Lebenswirklichkeit zu machen und dieser wiederum zu medialisieren – und sich dabei selbst zu stilisieren. Es geht hier nicht um Diskurse im Allgemeinen, also was so kursiert, sondern ganz explizit darum, dass diese Diskurse in Unterhaltungsmagazinen wesentlich geprägt sind und eine ganz bestimmte Leseschaft zu einer Stilgemeinschaft formieren. 

Aber die Manns beziehen sich ja auf Wissen, das in den Massenmedien schon vorgeprägt ist. Was die Mythisierung der Orte betrifft, die den Texten der Manns vorgeschaltet ist, so ist zunächst einmal Ernst Lubitschs Film ›Monte Carlo‹ von 1930 zu erwähnen. Weiterhin tauchen die Orte in Lifestyle-Magazinen auf. Es ist schier unmöglich, die Kurz- und Fortsetzungsgeschichten aufzuzählen, die sich in ›Uhu‹, ›Querschnitt‹, ›Revue des Monats‹ etc. um die Städte der französischen Riviera ranken, so z.B. im ›Uhu‹ von 1927/28 ›Die Unglückszahl. Eine Geschichte aus Monte Carlo‹ von Jenö Heltai (Jul. 1928, S. 62), im ›Querschnitt‹ von 1929 ›Poker-Novelle‹ von Massimo Bontempelli (Juni 1929, S. 409), in ›Revue des Monats‹ von 1926/27 ›Fern vom Schnee. Arabesken um Monte Carlo‹ von Edmund Edel (Feb. 1927, S. 399), in den ›Losen Blättern‹ von 1928/29 ›Reise nach Monte Carlo‹ von Alfred Polgar (Heft 22, 1928/29). In Letzterer wird zum Auftakt berichtet, was »man« zu tun habe, wenn man etwas auf sich halte. Das unpersönliche Pronomen wird in diesem Text bereits ironisierend in doppelte Anführungszeichen gesetzt, weil es die Feuilletonliteratur der 20er Jahre penetrant durchzieht, d.h. im Grunde nur noch als Zitat verwendet werden kann. Manchmal bezeichnet es die unpersönliche Sprechmaske in Essays, manchmal – und so auch in diesem Fall – eine zwar große un- oder überpersönliche, aber definierte Gruppe, die Regeln befolgt, um sich zu differenzieren und zu erheben. Für fiktionale Erzählungen gilt üblicherweise als konstitutiv, dass sie eine Erzählmaske aufweisen, die zwischen der Histoire und den Leser*innen steht, die vermittelt, die erzählt. Eine solche Instanz ist in diesen Geschichten vorhanden, aber durch die Verwendung des unpersönlichen Pronomens ist nicht klar, ob die Erzählmaske auf die Geschichte oder die Realität zielt, wenn sie generalisierende Aussagen tätigt. 

Man könnte nicht mit der gleichen Gewissheit von pop- oder proto-pop-literarischen Texten sprechen, wenn es nicht auch in einem hyperrealistischen Sinn zur Verwendung von Zeichen aus der Konsumkultur ginge, also um die Nennung von Markennamen, wie es Moritz Baßler in Bezug auf die Pop-Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet hat. Natürlich denkt der Reiseführer auch an die »echte feine ›Shopping‹-Dame« (Riviera, S. 74), die neben einem Hin-weis auf Hermès (Riviera, S. 72) folgende Liste erhält: »Chanel! Guerlain! Lanvin! Molyneux! Sind Sie nun erschlagen? Noch nicht?« (Riviera, S. 76) Diese Luxusmarken werden tatsächlich nicht oder kaum in Unterhaltungsmagazinen beworben. Der oder durchschnittliche Leser*in hätte sie sich nicht leisten können. Gleichwohl ist Werbung in diesen Magazinen ein wesentlicher Bestandteil, und zahlreiche Werbungen werden in anderen Texten benannt – z.B. bei Irmgard Keun. 

Diese herausragende Werbung in der Zeitschrift ›Die Dame‹, die auch haptisch auffällt, weil sie im Gegensatz zu den anderen Seiten in Hochglanz gedruckt ist, mag der Grund dafür gewesen sein, dass Coty häufig in literarischen Texten der 1920er Jahre Erwähnung findet. Klaus Mann knüpft in seiner Autobiografie Wendepunkt Erinnerungen an Coty: »Warum verliebt man sich in diese Stadt Paris? Nun, wegen der Perlmutt-Blässe, die zuweilen die Bäume und Statuen im Luxemburg-Garten verklärt […], wegen des Aromas von Anis, ›Vin rouge‹ und Coty in den kleinen Bistros […].« (S. 216)

Inmitten all dieser Ausführungen zu einem europäischen Reise- und Badeort beobachten die Manns einmal mehr eine komplexe, dynamische europäisch-amerikanische Wechselwirkung, ein reziprokes Projektions- und Imitationsverhältnis. »Es ist sehr amüsant zu beobachten, wie die französische Riviera, die lange Zeit von Kalifornien bis auf die Namen kopiert wurde, nun damit beginnt, Kalifornien bis auf die Namen zu kopieren.« (Riviera, S. 77) Dass Kalifornien zunächst Europa imitiert, aktualisiert implizit den Topos der amerikanischen Wurzel- und Traditionslosigkeit: Amerikaner*Innen können nur imitieren, und als Vorlage ist das mondäne künstlerische und aristokratische Europa besonders reizvoll. Dabei geht es um das Herausstellen von Besonderheit im Rahmen einer kontingenten Wahl. Was historisch gewachsen ist, hat eine unumstößliche Notwendigkeit qua Existenz – natürlich nicht hinsichtlich der Entstehungsgeschichte selbst –, d.h. dort ist keine Wahl möglich. Ohne Geschichte ist man gleichermaßen genötigt, wie frei zu wählen. Der Vorgang ist beliebiger, und der Geschmack steht Kalifornien den Manns zufolge nach der noblen Seite Europas. Nach dem Ersten Weltkrieg entstehen in Europa Lücken, die nun ihrerseits nach Geschmack gefüllt werden können, weil alle anderen Kriterien obsolet geworden sind, und über den Umweg über Amerika etabliert Europa Aspekte seiner alten Adelswelt mit neuen Snobs, vermutlich ohne ein ausgeprägtes kulturdiagnostisches Bewusstsein dafür zu haben, dass es sich dabei indirekt teilweise um europäische Formen handelt.

Literatur

Erika und Klaus Mann: Rundherum. Abenteuer einer Weltreise, 1929, benutzte Ausgabe: Reinbek bei Hamburg 2005 (= Rundherum)

Erika und Klaus Mann: Das Buch von der Riviera. Was nicht im Baedeker steht, 1931, benutzte Ausgabe: Reinbek bei Hamburg 2006 (= Riviera)

Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002

Thomas Hecken: Pop. Aktuelle Definitionen und Sprachgebrauch, in: Pop. Kultur und Kritik, URL: https://pop-zeitschrift.de/2012/09/09/pop-aktuelle-definitionen-und-sprachgebrauchvon-thomas-hecken/

Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht [Originaltitel: Turning Point]. Reinbek bei Hamburg 2007

Claudia Stockinger: An den Ursprüngen populärer Serialität. Das Familienblatt Die Gartenlaube. Göttingen 2018

Text: Maren Lickhardt 2022
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