Die Loggien

Eine ähnlich intensive Nachwirkung ging von einem weiteren Werk aus, das parallel zu den Stanzen und zu den Teppichkartons entstand. Raffael hatte 1515 den Bau der von Bramante begonnenen Loggia abgeschlossen, die dem vatikanischen Palast nach Osten vorgeblendet wurde >L.IX.4. Im Jahr darauf (1516) begann er mit der Ausstattung des zweiten Geschosses dieser Loggia, die mit dem päpstlichen Appartement kommuniziert. Sie war zur alleinigen Benutzung durch den Papst bestimmt, der hier seine private Antikensammlung aufstellen ließ. Die Leitung der dekorativen Gestaltung der Wändewurde Giovanni da Udine übertragen, der sich auf das Gebiet der Grotesken nach dem Vorbild der Wanddekorationen in den antiken Kaiserpalästen und Villen spezialisiert hatte. Inwieweit Raffael selbst die Vorgaben für diesen Dekor geliefert hat, ist nicht geklärt. Vasari erwähnt aber seine (nicht erhaltenen) Zeichnungen für die Ornamentik. Am 16. Juni 1519 berichtet Baldassare Castiglione an Isabella d’Este nach Mantua, dass die Loggien vollendet seien. Sie seien „vielleicht das Schönste von der Hand moderner Künstler, das man heute sehen kann.“Die Wirkung, die von diesem „profanen“ Bestandteil der Loggien ausging, zog sich über das ganze weitere 16. Jahrhundert hin und erreichte im 18. Jahrhundert einen letzten Höhepunkt. Die in den Dekor eingefügten Kopien nach antiken Gemmen und Reliefs sind mit Hilfe der Nachstiche ein reiches Repertorium der Antikenrezeption geworden.

Raffaels wichtigster Mitarbeiter bei der Ausmalung war Giovanfrancesco Penni, genannt il Fattore (um 1494– um 1534). Seit 1515 gehörte der Werkstatt neben ihm auch Giulio Romano an sowie der aus Florenz stammende Perino del Vaga und Polidoro da Caravaggio. Die mit unterschiedlichen und sehr phantasievollen Architekturmalereien geschmückten Gewölbe der dreizehn Joche beherbergen einen aus 52 Szenen bestehenden Zyklus, in dem von Süden nach Norden die biblische Geschichte in chronologischer Abfolge von der Erschaffung der Welt bis zum Letzten Abendmahl erzählt wird. Den 48 Szenen aus dem Alten Testament stehen nur vier Szenen aus dem Neuen Testament gegenüber. Die Bedeutung dieses Zyklus, der in einem bis dahin nicht bekannten Umfang biblische Szenen verbildlicht, für die es keine zusammenhängende ikonographische Tradition gab, liegt vor allem in dieser Vollständigkeit. Jeweils vier Szenen eines Gewölbes sind einer zentralen biblischen Persönlichkeit gewidmet: Gottvater, Adam, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Moses, Josua, David, Salomo, Christus Sie zeichnen sich durch ein lebhaftes und plastisch modellierendes Kolorit aus. Die kaum auf Unteransicht berechneten Kompositionen begnügen sich in den meisten Fällen mit wenigen Figuren, die in teils heftigen Bewegungen gezeigt sind. Häufig beschränkt sich die Angabe der Augen auf verschattete Punkte, die aber immer treffsicher platziert sind. Der manchmal skizzenhafte Duktus ist auf die Schnelligkeit zurückzuführen, mit der das ganze Unternehmen innerhalb von höchstens drei Jahren bewältigt wurde.

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