Erste römische Werke (1500-1504)

Laut Vasari traf Bramante vor dem Beginn des Heiligen Jahres 1500 in Rom ein und malte in S. Giovanni in Laterano ein Wappen Alexanders VI., nachdem er die Position eines sottoarchitettore mit untergeordneten Pflichten erhalten hatte. Seine beiden frühesten römischen Bauten sind der Klosterhof von S. Maria della Pace (1504) und der Tempietto von S. Pietro in Montorio. Die Stifter dieses mit einem Durchmesser von ca. 5,5 m in den Dimensionen bescheidenen, gleichwohl aber monumentalen Bauwerks waren das spanische Königspaar Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien, wie die Inschrift belegt, die sich auf der Front des Altars in der Unterkirche befindet. Sie gibt als Datum der Stiftung das Jahr 1502 an. Das prominente Patronat für diesen Bau und der Auftrag an Bramante haben direkt etwas mit Alexander VI. zu tun, der Ferdinand und Isabella den Titel Reyes catolicos verliehen und ihnen außerdem die größere Hälfte der Welt zugeteilt hatte. Trotz dieser Inschrift überwiegt in der Forschung die Ansicht einer etwas späteren Entstehung, etwa gleichzeitig mit dem Klosterhof von S. Maria della Pace.

Zum Ruhm des Tempietto hat beigetragen, dass seine äußere Gestalt wie aus einem Guss erscheint, weswegen er schon von den Zeitgenossen als Beispiel der perfekten Annäherung an die Antike angesehen wurde. Diese Harmonie wird jedoch nicht durch die Nachahmung eines bestimmten Bautypus erreicht, sondern durch die kohärente Neuorganisation antiker Architekturelemente und Proportionen. Obwohl der Tempietto seine Abkunft vom römischen Rundtempel (Tholos) nicht verleugnet, handelt es sich um ein Gebilde sui generis. Der zentrale und überkuppelte Baukörper ist von außen zweigeschossig und erhebt sich über einem von der antiken Tempelarchitektur übernommenen zweiteiligen Unterbau. Auf einem Ring aus drei gleich hohen Stufen erhebt sich ein Stylobat, auf dem eine Kolonnade dorisch-toskanischer Ordnung steht. Zugang zu den vier Portalen in den Hauptachsen geben vier in Kreuzform ausgerichtete Stufenpodeste. Die Türen sind von Nischen beziehungsweise von Fenstern flankiert. Bei den grazilen Granitsäulen der Kolonnade handelt es sich um antike Spolien. Eine der Neuheiten dieses Bauwerks ist der korrekte Gebrauch der dorisch-toskanischen Ordnung, die von Vitruv beschrieben wirdund die Bramante bereits für die einen der beiden Kreuzgänge im Konvent von S. Ambrogio in Mailand (1497) konzipiert hatte, wenngleich die spätere Ausführung (1562–1591) nicht genau seinem Entwurf gefolgt ist. Die Metopen des Tempietto enthalten ornamentale Reliefs, die liturgische Geräte der christlichen Religion zeigen. Das Gebälk der Kolonnade ist durch eine elegante Balustrade bekrönt, die einerseits als Zäsur gegenüber dem Kolonnadengeschoss dient, andererseits als Sockelung für den Kuppelzylinder, den sie wie einen kostbaren Schrein umgibt. Für die Belichtung des Innenraums sorgt ein durchfensterter Tambour, über dem sich eine halbkreisförmige Kuppel erhebt.

Ein entscheidender Gesichtspunkt für die Wahl des Bautypus war die Funktion, die diesem Bauwerk als Erinnerungsbau an den Ort des von Petrus erlittenen Martyriums und als Symbolbau des christlichen Rom zukam. Der Tempietto trat an die Stelle einer cavernula, die traditionell als Ort der Kreuzigung Petri galt. Ähnlich den Krypten mittelalterlicher Kirchen erhielt er eine Unterkirche, die den topographischen Bezug zur Stätte des Martyriums herstellt. Zahlreiche Darstellungen und Risse in Skizzenbüchern und in Architekturtraktaten belegen den nachhaltigen Ruhm des Bauwerks. In den Illustrationen zu Sebastiano Serlios 3. Buch des Architektur-Traktates wird der Tempietto von einem kreisrunden Hof eingefasst, den Bramante laut Vasari geplant hatte. Auch Andrea Palladio hat den Tempietto in seine „Quattro Libri“ aufgenommen, die außer einigen antiken Bauten nur seine eigenen Werke enthalten. Er rechtfertigt dies damit, dass Bramante die Wiedergeburt der Architektur im Geist der Antike zu verdanken sei. Auch wenn seine Darstellung in den Proportionen nicht ganz korrekt ist, trug gerade Palladios Werk zur späteren Wirkung des Bauwerks bei, das als Paradigma ausgewogener Maßverhältnisse galt. Eine Zeichnung, die von der älteren Literatur Bramante zugeschrieben wurde, gilt heute als Arbeit des urbinatischen Malers Federico Barocci, der dieses Motiv in den Hintergrund eines Gemäldes eingefügt hat. Direkte Nachwirkungen des Tempietto in der gebauten Architektur sind selten; jedoch wurde er zum Prototypus für römische Sakramentstabernakel, deren Funktion der des Tempietto darin ähnelt, dass auch sie schreinartige Behältnisse sind. Der einzige störende Akzent in dieser Harmonie des Ganzen ist die reich dekorierte Laterne, die der spanische König Philipp III. 1603 stiftete und die sein Wappen trägt.

Mit dem im Auftrag des Kardinals Oliviero Carafa errichteten Hof des Klosters von S. Maria della Pacehat Bramante einen neuen Prototypus für die Gestaltung des zweigeschossigen Loggienhofes geschaffen. Seine Maßverhältnisse gelten als kanonisch, da die Gesamtfläche so in 16 Einheiten unterteilt ist, dass sich für jede Seite 16 quadratische Joche ergeben und damit eine Zahl, in der Vitruv die vollkommenste Zahl sieht. Die Pfeilerarkaden des Erdgeschosses besitzen keine Halbsäulenvorlagen wie im Palazzo Venezia >L.VII.2, sondern schlanke Pilastervorlagen ionischer Ordnung auf hohen Postamenten. Ihnen entsprechen im niedrigeren Obergeschoss gestauchte Pfeiler kompositer Ordnung, die auch als „Bündel quadratischer Säulen"verstanden werden können. Sie stehen im Wechsel mit korinthischen Säulen, die auf der glatten Balustrade genau über den Bogenscheiteln des Erdgeschosses stehen. Der für Arkadenhöfe mit aufgeblendeter Ordnung charakteristische Eckkonflikt konnte dank dieses Gliederungssystems gelöst werden: die Pilaster des Erdgeschosses reduzieren sich in den Ecken auf einen schmalen eckigen Stab, der mit einem Restkapitell versehen ist, auf dem das Gebälk ruht. Der eingestellte und auf beiden Fronten mit Pfeilervorlagen versehene Eckpfeiler ermöglicht sowohl im Erd- wie im Obergeschoss einen dem Kanon der Ordnung gemäßen Übergang zwischen den rechtwinklig aufeinander treffenden Hofflügeln.

4. Die Villa del Belvedere und der päpstliche Palast

 

Tholos

 

Tholos = von einem Portikus umfasster Rundbau mit innerer Cella in der Art des Vestatempels auf dem römischen Forum Boiarum oder des Vestatempels in Tivoli.

Ecklösung (Eckkonflikt)

 

Bei den von Arkaden eingefassten Innenhöfen, die durch die Applikation der klassischen Ordnungen geschichtete und mehrgeschossige Fassaden erhalten, kommt es in den Ecken zur Kollision zwischen den struktiven Baugliedern (Pfeiler oder Säule) und den applizierten Gliederungssystemen (Rom, Hof des Palazzo Venezia, >L.VII.4. Bramantes kanonischer Lösung der Pfeilerarkade mit aufgeblendeter Pilasterordnung (Hof von S. Maria della Pace) geht der Hof des Palazzo Ducale in Urbino voraus >L.VI.8. Die Ecken werden hier durch L-förmige Pfeiler gebildet, denen eine Pilasterordnung vorgeblendet ist, der sich die Säulen der Arkadenfolge unterordnen.