Albertis Palazzo Rucellai

Der Palazzo Rucellai gehört zu den Bauten, die in der Nachfolge des Palazzo Medici stehen, obwohl man das seiner Fassade nicht unbedingt ansieht. Giovanni Rucellai, der Schwiegersohn des 1434 unter Einfluss der Medici aus Florenz verbannten Palla Strozzi, hatte seit Mitte Beginn der 1440er Jahre stetig und unauffällig an der Arrondierung seines Grundbesitzes in der Via della vigna nuova gearbeitet, bis er ein genügend großes Areal zur Verfügung hatte, um einen fünfachsigen Palast mit einem mittleren Portal zu errichten, der nach 1465 auf acht Achsen erweitert wurde, wobei die achte Travée außen rechts jedoch unvollendet blieb. Das Datum des Baubeginns ist das Jahr 1451, wie der Bauherr selbst in seinen Erinnerungen, die er als „Zibaldone” (zu übersetzen mit „lose Notizen”) betitelt hat, schreibt. Zwischen 1462 und 1463 wurde die große Loggia errichtet, die dem Palast gegenüber steht, und die zusammen mit dem Platz davor eine wichtige Voraussetzung für die Wirkung der Fassade schuf, was um so wichtiger war, als dieser Palast in der Straßenflucht steht und keine prominente Ecksituation aufweist.

Wie wichtig die Außenwirkung von Architektur für den Bauherrn war, ergibt sich aus dem erwähnten „Zibaldone”, wo Rucellai schreibt, dass er durch die Errichtung von Bauwerken die allergrößte Genugtuung erhalte, weil diese Gebäude der Ehre Gottes, dem Ansehen der Stadt und der Erinnerung an ihn selbst dienten. Der kunsthistorische Ruhm des Palazzo Rucellai beruht darauf, dass hier zum ersten Mal eine antike Ordnung auf eine Palastfassade appliziert wurde, d.h. es musste zwischen den durch Vitruv überlieferten Proportionen der antiken Säulenordnungen und den Proportionen eines kubischen Baukörpers einschließlich seiner Fensterachsen eine Übereinstimmung gefunden werden. Mit der Lösung des Problems, das auch die Position und die Größe der Fenster betraf, beauftragte der Bauherr Leon Battista Alberti, mit dem er befreundet war. Es wird angenommen, dass die Beratertätigkeit Albertis für Rucellai eine Folge des Renommées war, das er sich durch den Traktat „De re aedificatoria” >L.III.4 erworben hatte.Die Bauarbeiten, die eine Umstrukturierung der bereits bestehenden Gebäude einschlossen, oblag Bernardo Rossellino (1409–1464), der wie Brunelleschi und Michelozzo ursprünglich Bildhauer gewesen war. Unter Papst Nikolaus V. war er nach Rom gegangen, hatte dort Pläne für die Vergrößerung des Chors von Alt-St. Peter angefertigt >L.IX.5 und zusammen mit Alberti an der Neuplanung der Stadt gearbeitet.

Die Abfolge der Pilasterordnung, die auf die Fassade appliziert wurde, folgt nicht der Systematik, die Alberti für die nach dem Vorbild des Kolosseums gebildete Superposition festgelegt hat und die von unten nach oben folgendermaßen strukturiert ist: dorisch, ionisch, korinthisch, komposit (für die Pilasterordnung der geschlossenen Wand im vierten Geschoss). Die Palastfassade zeigt dagegen im Erdgeschoss eine dorisch-toskanische Ordnung in einer Sonderform und darüber zwei ungleiche korinthische Ordnungen. Sowohl das zweite wie das dritte Geschoss werden damit als ‚herrschaftlich’ ausgezeichnet. Offenbar war die von Alberti für wichtig gehaltene varietas hier ein vorrangiges Anliegen und nicht die kanonische Abfolge der Ordnungen. Um die Höhe und Proportion der glatten Pilaster in den gleichmäßig mit glatten Quadern und wechselnder Schichthöhe und einem sorgfältigen Fugenschnitt gestalteten Geschossen gleich zu halten, beginnt das höhere Erdgeschoss, dem im Inneren ein Hof entspricht, erst über einer Sockelzone,die durch ihre ungewöhnliche Behandlung auffällt. Die Sockelbank >L.IV.7 erhält eine Art von Rücklehne, die zwischen den Basen der Pfeiler mit einem Rautenmuster dekoriert ist. Dieses Muster imitiert das opus reticulatum römischer Bauten der Antike. Die antike Anregung für das mit regelmäßig platzierten Lukenfenstern versehene Erdgeschoss mit den beiden rechteckigen Portalen und für die besondere Form der korinthischen Kapitelle stammt vom Attikageschoss des römischen Pantheon. Die beiden Vertikalachsen (a-a-b-a-a-b-a-a) über den Türen sind durch größere Radialsteine in der Fenstereinrahmung betont.

Ein dreiteiliges Gebälk tritt an die Stelle des Gesimses und markiert die Trennung der Stockwerke. Hinsichtlich des Umganges mit den antiken Ordnungen ist der kritische Punkt des Systems der Abschluss des oberen Geschosses, wo auf das Gebälk verzichtet wird, da hier ähnlich wie beim Palazzo Medici ein stark vorkragendes Kranzgesims ansetzt. Verglichen mit dem antiken Vorbild fällt auch das Fehlen der Subordination auf, d.h. die Rundbogenfenster sind nicht durch eine sie rahmende kleinere Halbsäulen- oder Pilasterordnung in das System eingeordnet, wie es etwa an der Benediktionsloggia von Alt-St. Peter in Rom zu sehen ist, die nach 1458 errichtet worden ist >L.VII.2. Diese Inkonsequenz, die sich aus der Florentiner Tradition erklärt, kann sowohl auf das Konto des Bauherrn wie auch auf das des ausführenden Baumeisters Bernardo Rossellino gehen. Die Fassade des Palazzo Rucellai lässt sich jedoch anders lesen, wenn man den Pilaster im Sinne Albertis als eine quadratische Säule auffasst, von der nur die Frontseite sichtbar wird. Nach dieser Lesart werden die Pilasterordnungen zu einer auf die Wand projizierten Kolonnade, der die von einem Architrav überlagerten Säulenstellungen in den Fensteröffnungen antworten. Die Biforienfenster, die dem Vorbild des Palazzo Medici folgen, lassen sich nach dieser Lesart als Teile der von der antiken Proportion bestimmte Ordnung sehen. Die kleinteilige Instrumentierung der Fassade fand in Florenz keine Nachfolge, was vielleicht mit ihren architektonischen Inkonsequenzen zu erklären ist. Mit seinen ausgewogenen Proportionen, seinem feinen Dekor und mit den moderaten Dimensionen bildet er einen wohltuenden Kontrast zur unnahbar und martialisch wirkenden Monumentalität der übrigen Florentiner Paläste. 

zu 9. Der Palast Pius' II. in Pienza

Super(Supra)position

 

 „Unter dem Ausdruck „Supraposition“ ist das Auftreten mehrerer Säulenstellungen übereinander an einem mehrgeschossigen Bau zu verstehen (nach Serlio 1566, IV, fol. 187 c).

„(…) Heute verbindet sich mit diesem Begriff auch der Gedanke an die klassische Abfolge der Säulenordnungen - toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch, komposit - wobei […] nicht alle fünf Ordnungen an einem Bau vertreten sein müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr das Prinzip, daß jeweils die stärkere Ordnung die schwächere zu tragen habe.“ (Christiane Denker Nesselrath: Die Säulenordnungen bei Bramante (Diss. Bonn 1984), Worms 1990, S. 100, nach Forssmann 1961).

Antike Beispiele dieser Gliederung finden sich am Kolosseum, am Tabularium und am Marcellus-Theater in Rom, wo die Säulenordnungen auf massive Pfeilerarkaden appliziert sind. Entsprechend wird dieses Grundelement der Außengliederung als Tabularium- oder Theater-Motiv bezeichnet.

Giovanni Rucellai, Il Zibaldone (Memoria del 1473)

 

Il Zibaldone

„Außerdem habe ich große Summen für mein Haus und für die Fassade der Kirche S. Maria Novella aufgewendet und für die Kapelle mit dem (Heiligen) Grab in der Kirche S. Pancrazio wie auch für die Loggia gegenüber dem Haus sowie für die Wohnung und den Garten in meinem Besitz in Quarachi und Poggio a Caiano. Alle diese erwähnten Unternehmungen haben mir eine sehr große Genugtuung und Freude gegeben und geben sie mir noch, weil sie zu einem Teil der Ehre Gottes dienen, zu einem anderen der Ehre der Stadt und schließlich auch zu meine m Gedächtnis.” (übersetzt nach Alessandro Perosa: Giovanni Rucellai ed il suo Zibaldone. London 1960, 121)

 

Travée

 

Übersetzung: Gewölbefeld 

Terminus technicus für Grundfläche eines Gewölbeabschnitts, der durch Stützen, Gurt- und Scheidbogen als vollständiges Einzelelement eines größeren Gewölbesystems ausgeschieden ist (H. Koepf/ G. Binding, Bildwörterbuch der Architektur, 4. Aufl. Stuttgart 2005, ad vocem)