Brunelleschis Basiliken S. Lorenzo und S. Spirito

Die Florentiner Basiliken S. Lorenzo und S. Spirito vertreten einen Bautypus, der auf eine lange Tradition zurückblickte, für den Brunelleschi aber eine völlig neue Grammatik benutzt hat. Dadurch erhielten die Innenräume der Basiliken eine rationale, leichte und elegante Gestalt, was auch auf eine neuartige Lichtregie zurückzuführen ist. Während San Lorenzo bereits ab 1421 geplant und begonnen und im Wesentlichen bis 1465 vollendet wurde, erfolgte die Grundsteinlegung für Santo Spirito, die neue Kirche der Augustinereremiten, erst 1434. Bauverlauf sowie Umfang und spätere Abänderungen der ursprünglichen Planung geben eine Reihe von Fragen auf, auf deren Behandlung hier verzichtet werden muss. Beide Bauten folgen einem verwandten Grundschema, wobei seit Vasari Einigkeit darüber besteht, dass S. Spirito das, was man heute als Brunelleschis Architektursystem bezeichnet, konsequenter und ausgeprägter vertritt als der früher geplante, aber nicht in einem Zug aufgeführte Bau von S. Lorenzo. Es ist bekannt, dass es für S. Spirito ein hölzernes Modell gab, auf dessen Grundlage der Bau nach dem Tod Brunelleschis von 1454 bis 1482 durch Antonio Manetti vollendet wurde.

Bei beiden Kirchen handelt es sich um dreischiffige Säulenbasiliken mit Kapellen, einem allseitig von Kapellen gerahmten Querhaus, einer überkuppelten Vierung und einem gerade schließenden Chorquadrat. Nach dem Plan Brunelleschis sollten jedoch in S. Spirito die Kapellen nicht ummantelt werden, sondern am Außenbau als halbrunde Nischen in Erscheinung treten. Die Mittelschiffe und Querarme erhielten in beiden Kirchen eine kassettierte Flachdecke, während die Seitenschiffsjoche von Hänge- oder Stutzkuppeln überwölbt sind. Das Vierungsquadrat ist bei beiden Bauten das Grundmaß, aus dem sich alle weiteren Maße ergeben, also auch die der Seitenschiffe und der Kapellen. Der heute für dieses Grundmaß gängige Begriff des Modul suggeriert, dass es sich um die mathematisch errechneten Grundelemente eines in sich stimmigen „Systems" handele. Die proportionalen Verhältnisse beider Innenräume stimmen trotz abweichender Maße weitgehend überein. Dennoch differiert ihre Gesamterscheinung erheblich, was vor allem auf die unterschiedliche Lichtregie zurückzuführen ist, die ein Ergebnis der architektonischen Differenzen ist. Bei der Vierungskuppel von S. Lorenzo handelt es sich um eine tambur- und fensterlose Halbkreiskuppel mit einer kleinen Laterne, während sich die nach dem Vorbild der Alten Sakristei gestaltete Schirmkuppel von S. Spirito über einem kreisförmigen Tambur erhebt, der von runden Fenstern (oculi) durchbrochen ist und der eine hohe und freistehende Laterne besitzt.

Auch in der architektonischen Instrumentierung der Vierung zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Kirchen. Während in S. Spirito die Vierung von glatten Pfeilern mit Halbsäulenvorlagen zu den Mittel- und Seitenschiffsarkaden markiert wird, erheben sich in S. Lorenzo an dieser Stelle Kreuzpfeiler mit antikisierender Kannelierung und korinthischen Kapitellen, die ein die Arkadenreihe einschließendes Gebälk tragen. Unter der durchlichteten Vierungskuppel steht in S. Spirito der Ziboriumsaltar, d.h. an einer zentralen und durch die Lichtführung deutlich betonten Stelle, während sich in S. Lorenzo die Kuppel wie ein Baldachin über die Vierung spannt. Die Chorhauptkapelle ragt über die Flucht der Nebenkapellen hinaus, wofür die frühgotische Florentiner Kirche Santa Trinita vorbildhaft gewesen sein dürfte. Verwendung und Aufbau der Stützen der Scheidbögen sind in beiden Kirchen weitgehend identisch. Sie werden seit Manetti als Säulen (colonne) bezeichnet, obwohl sie kaum eine Entasis (zu dt. Anspannung) besitzen, wie man die leichte Anschwellung des Säulenkörpers bezeichnet, die ein wesentliches Merkmal der antiken Säule war.

Die korinthischen „Säulen“ des Mittelschiffs ordnen sich der Vierung mit ihrer „großen Ordnung“ unter, wie daran deutlich wird, dass in S. Lorenzo der an die Vierung grenzende Bogen des Querhauses am Beginn der Seitenschiffe auf einer Pilastervorlage ruht, die der Pilastergliederung der Seitenschiffswände entspricht. Deren Intervalle sind mit den Scheidarkaden des Mittelschiffs identisch. Dies lenkt den Blick auf eine Unstimmigkeit, die als der größte Defekt von S. Lorenzo gilt und die von Vasari auf den Punkt gebracht wurde, wenn er feststellt, das Werk hinke. Da die Wandpilaster der Aussenwände auf Stufen statt auf einer attischen Basis stehen, seien sie zu kurz. Deutlich sichtbar wird dies Asymmetrie im Querschnitt. Die Projektion der Ordnung auf die Wand macht deutlich, dass die kämpferartigen Blöcke, die auf dem Säulenkapitell aufsitzen und die mit einer Deckplatte enden, von der die Bögen aufsteigen, als Relikte eines Architravs zu deuten sind. Brunelleschi, der das Vorbild hierfür am Baptisterium fand, zitierte den antiken Kanon, der vorschreibt, dass die Säule niemals einen Bogen, sondern immer einen geraden Architrav tragen muss.

zu 6. Florentiner Palastbauten