Die Renaissance als „Leitkultur“

Ausgehend vom Stichwort Renaissance steht Italien im Fokus des Tutorials, während andere Länder und Künstler Europas nur in dem Maße berücksichtigt werden wie sie sich mit den von dort ausgehenden künstlerischen Tendenzen auseinandergesetzt haben. Das gilt vor allem für Albrecht Dürer, dem eine tragende Rolle bei der Formulierung von innovativen Lösungen zugefallen ist, die zum Spektrum der Renaissance gehören. Seine neuartige Definition der Rolle des Künstlers als Multiplikator von Bildideen mittels der Druckgraphik wurde prägend für die Strategien der Diffusion der Bildwelt der italienischen Renaissance im Norden. Der Austausch zwischen Norden und Süden kannte schon zuvor beide Richtungen. So ist der Mailänder Dom ein deutlicher Ableger der deutschen Baumeisterkunst der Spätgotik, der seine spezifische Gestalt gleichwohl der italienischen Tradition und Sichtweise verdankt. Ähnliches lässt sich über die auf Sebastiano Serlios architektonischen Musterbüchern aufbauende Profanarchitektur Frankreichs sagen, die sich den italienischen Formenkanon aneignete, ohne ihre französische Identität zu verlieren.

Ein großer Teil der reichen materiellen Hinterlassenschaft des Kunstgeschehens im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts hat bis heute seine ursprüngliche Ortsbindung bewahrt und steht damit im Fokus des Global-Tourismus. Darüber hinaus sind die Werke dieser Epoche in den wichtigsten Museen der Welt präsent und üben dort eine große Anziehungskraft auf das Publikum aus. Auch vor diesem Hintergrund ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Periode für die Kunstwissenschaft unerlässlich. Epochenüberblicke, die das Spezialwissen filtern, selektieren und sortieren, sind eines der wirksamsten Instrumente, um den über Generationen hinweg aufgebauten Wissensfundus zu bewahren, zu bewerten und weiterzugeben. Der kritische Umgang mit diesem Fundus bildet eine Grundlage dafür, dass neues Wissen und neue Erkenntnisse über die bis in die Gegenwart hinein lebenden Objekte der Kunstgeschichte generiert werden können. Für eine Einführung dieser Art bedarf es der Konzentration auf die künstlerisch prägenden Leistungen und auf die Persönlichkeiten von epochaler Wirkung, wobei methodisch kein innovativer oder wissenserweiternder Ansatz verfolgt wird. Vielmehr wird das auf die Hauptlinien beschränkte Gerüst umrissen, in dem sich mit selbständigen und über den Rahmen eines Kollegs resp. einer digitalen Vorlesung hinausgehenden Erkundungen und Vertiefungen der immense Bestand an Objekten und Fakten verorten und beurteilen lässt, den die italienische Renaissance hervorgebracht hat. Die Werke dieser Zeit sind nicht nur als kulturelle Glanzleistungen anzusehen, die das Wissen und das Verständnis der Gegenwart erfordern, etwa für ihre konservatorische Betreuung und ihre Weitervermittlung durch gut ausgebildete Fachkräfte, sondern sie bieten auch Maßstäbe für die kulturelle Orientierung an, die von Generation zu Generation neu gesetzt werden. Gelehrtes und weitergegebenes Wissen ist jedoch an Personen gebunden, d.h. es basiert immer auf subjektiven Einschätzungen. Das gilt auch für dieses Tutorial.

1. Der Begriff "Renaissance"