Viktor Krivulin

Biographische Angaben und Bestandsbeschreibung

Der sowjetische Literaturkritiker und Dichter Viktor Krivulin (1944-2001) zählte zu den wichtigsten Protagonisten der inoffiziellen Literaturszene in Leningrad/St.Petersburg in den 1970er bis 1990er Jahren.

Noch bevor Krivulin 1967 sein Studium an der philologischen Fakultät der Leningrader Universität beendete, trat er aus dem Kommunistischen Jugendverband (Komsomol) aus. Dieser Schritt verhinderte eine offizielle Karriere im sowjetischen Literaturbereich und ebnete gleichzeitig den Weg in den Underground:  Bis zur Perestrojka wurden seine Werke nur selten in sowjetischen Zeitschriften publiziert. Gleichzeitig publizierte Krivulin aktiv im sogenannten Selbstverlag (z.B. in den Samizdat-Zeitschriften „37“, Casy, Obvodnyj kanal) und im Dort-Verlag, d.h. russischsprachigen Zeitschriften, die außerhalb der Sowjetunion herausgegeben wurden (z.B. die Zeitschriften Grani, Vestnik RChD und Kontinent sowie in der Zeitung Russkaja mysl etc.). Zusammen mit seiner Ehefrau Tatjana Goričeva und weiteren Personen war er Herausgeber von 1975 bis 1981 in 21 Ausgaben erscheinenden unabhängigen literarisch-publizistischen und religionsphilosophischen Monatsschrift "37", die nach der Wohnungsnummer der Eheleute benannt war. Gemeinsam mit Sergej  Dedjulin gab er Ende der 1970er Jahre die "Zeitschrift für Poesie und Kritik Severnaja Počta" heraus. Krivulin veröffentlichte acht Gedichtbände, eine Vielzahl an Aufsätzen und Kritiken, den Roman "Šmon" (1980) sowie eine Reihe von Kurzgeschichten, die er aus dem Englischen, Schwedischen und Finnischen übersetzte. Auch moderierte er Literatursendungen für "Radio Liberty" und für die BBC.

Aufgrund seiner vielseitigen Aktivitäten war Viktor KriVulin nicht nur ein bedeutender Anziehungspunkt für Dichter und Prosaisten seiner Generation, sondern Lehrer und Mentor für jüngere Autorinnen und Autoren. 1978 erhielt er als erster Preisträger des inoffiziellen Andrej-Belyj-Preis. Seit 1990 war er Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR/Russlands und Vizepräsident des St. Petersburger PEN-Clubs.

Teile seines persönlichen Archivs übergab Krivulin 1996 dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, darunter seine persönlichen Dokumente, wichtige Werke sowie Korrespondenzen und seine Sammlung an literarischem Samisdat. Besonders wertvoll sind die Varianten seines Romans "Šmon" und die umfassenden Redaktionsmaterialien der Zeitschrift 37. Zu seinen Korrespondenzpartnern zählen Emma Gerstejn, Tatiana Goričeva, Vladimir Alejnikov, Alexander Glezer sowie Boris Groys, Aleksandr Kondratov, Sergej Stratanovskij, Anna Taršis, Dmitrij Grigoriev und Pavel Pepperštein, allesamt bekannte Vertreter*innen des künstlerischen Undergrounds in der Sowjetunion.

Die Archivmaterialien wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Archiverschließungsprojekts "Nonkonforme Visionen. Alternative Kunst und Kultur aus Mittel- und Osteuropa" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der andere Teil des persönlichen Archivs von Viktor Krivulin wird in der Handschriftenabteilung des IRLI (Puschkin-Haus) der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg verwahrt.