Archive für nonkonformistische Kunst aus der Sowjetunion

In der Sowjetunion schufen einzelne Künstler*innen in ihren Ateliers Werke, die sich nicht an der offiziell verordneten Doktrin des sozialistischen Realismus orientierten. Mit ihren eigenen und sehr heterogenen ästhetischen Vorstellungen darüber, was als Kunst zu verstehen sei und wie ein Künstlerdasein auszusehen habe, entwickelte sich nach dem Tod Stalins in der Parallelwelt des sowjetischen Underground eine lebhafte informelle Kunstszene fernab von Öffentlichkeit und Zensur. Schon in den 1960er Jahren schließlich wurde die "verbotene" Kunst, die in der Sowjetunion nur in privaten Wohnungen im Kreis Gleichgesinnter gezeigt werden konnte, von ausländischen Sammler*innen und Kunstinteressierten entdeckt. In Westeuropa und den USA trafen alternative Künstler*innen auf ein großes Publikumsinteresse und so etablierten sich ihre Werke mit erstaunlichem Tempo auf dem internationalen Kunstmarkt. Emigrant*innen halfen dabei als "Katalysatoren". Auch im deutschsprachigen Raum wurden in den 1970/1980er Jahren beachtliche Kunstsammlungen zu inoffizieller Kunst aus der Sowjetunion zusammengetragen.

So bekannt einzelne nonkonforme Künstler*innen und ihre Werke in der Gegenwart sind, so wenig Informationen sind selbst im Internetzeitalter über den Verbleib ihrer persönlichen Archive zu finden. Es sind jedoch ihre Notizen und Skizzen, Planungen von Performances, Korrespondenzen mit Gleichgesinnten und Versuche, das eigene Schaffen selbst zu dokumentieren, die retrospektiv Einblicke in den Alltag und die Lebenswelt inoffizieller Künstler*innen in der Sowjetunion in den 1950er bis 1980er Jahren geben und eine außerordentlich wichtige Quellenbasis für die Kunstgeschichte bieten. Zwar sind viele Materialien noch in privater Hand einzelner Künstler*innen oder ihrer Nachfahren, doch bemühen sich einige spezialisierte Archiveinrichtungen darum, Zeugnisse nonkonformistischer Kunst aus der Sowjetunion aufzubewahren und zu präsentieren.

In Deutschland ist dies vor allem das Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen(FSO), das sich mit seinen immer begehrter werdenden weitreichenden Archivbeständen zu Dissens und Opposition in Osteuropa, darunter auch sowjetischer inoffizieller Künstler*innen, in der Verantwortung sieht, ein breiteres Fachpublikum anzusprechen. Das von der FSO eingerichtete Themenportal soll daher Anregungen geben und eine offene Plattform für all jene schaffen, die Materialien über nonkonformistische Kunst aus der Sowjetunion zusammentragen, für die Forschung bereitstellen oder sich als Kurator*innen oder Wissenschaftler*innen mit ihren eigenen Fragestellungen der Thematik alternativer Kunst aus der Sowjetunion annähern wollen. 
Neben einer ausführlichen Bestandsübersicht über die Vor- und Nachlässe sowjetischer nonkonformer Künstler*innen im Archiv der FSO werden das Verbundprojekt Russian Art Archive Network vor- und weiterführende Informationen über Partnerarchive zusammengestellt. In der Rubrik Einblicke rund um den Globus finden sich exemplarisch ausgewählte Archivstücke nonkonformistischer Kunst aus der Sowjetunion aus den einzelnen Archiven in Deutschland, Russland und weltweit. 

Die Redaktion freut sich auf die Zusammenarbeit nicht nur mit weiteren interessierten Archiven, sondern vor allem auf eine zukünftige Kooperation mit Forscher*innen, die sich mit geeigneten Literaturhinweisen oder Kurzbeiträgen zu Archivfundstücken in den Ausbau des Themenportals einbringen wollen und eingeladen sind, mit ihren eigenen Ideen Kontakt zu uns aufzunehmen.