Rezension

Cornelia Logemann: Das große Fressen. Tapisserien und Texte der Condamnation de Banquet, Baden-Baden: NOMOS 2021, 132 S., ISBN 978-3-96821-798-7, 26.00 EUR
Buchcover von Das große Fressen
rezensiert von Janine Maegraith, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Das große Fressen - ein sprechender Buchtitel, der an Marco Ferreris Film La Grande Bouffe von 1973 erinnert. Hier steht zwar kein kollektiver Selbstmord am Ende, doch geht es auch um exzessive Tafelfreuden und deren zeitgenössische Kritik, wenn der Gastgeber seine Gäste nach dem Mahl "von einem Heer schwerer Krankheiten ermorden lässt" (7). Cornelia Logemann greift mit dem spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bankett und der Kritik an dessen Verschwendung ein zeitloses Thema auf. Sie tut dies anhand einer Analyse der Allegorie Condamnation de Banquet, die als anonymer Text des 15. Jahrhunderts, der ab 1507 als Moraltheater gedruckt wurde, und in großformatigen Tapisserien überliefert ist. Fragen zu Exzess und Mäßigung, welche Ferreri 1973 filmisch thematisierte, wurden demnach schon im 15. Jahrhundert diskutiert.

Im Fokus des Buches steht nicht die moralische und ernährungsgeschichtliche Perspektive, sondern die "verschlungene mediale Inszenierungs- und Überlieferungsgeschichte zwischen Text, Tapisserie und Theater" (9). Damit einher geht die Frage, wie literarische Texte visuell umgesetzt wurden, wofür sich Tapisserien hervorragend eignen, die nach Logemann im 15. und 16. Jahrhundert eine sehr enge Verflechtung von Literatur und Kunst eingingen. Die Autorin bietet mit ihrer Herangehensweise eine komplexe Deutung der Tapisserien: Einerseits können sie als Repräsentationsobjekte wahrgenommen werden, mit denen die aristokratischen Auftraggeber*innen ihren Wohlstand und literarische Bildung demonstrierten. Andererseits sind sie literarischer "Argumentationsort" und werden zu einem "Interaktionsfeld der Künste" - ein bisher zu wenig verfolgter Denkansatz. Ihr Ziel ist es, anhand der Condamnation de Banquet die vormoderne Verwebung von Texten, Bildern und Performanzen zu untersuchen. Als Quellen verwendet sie zehn Tapisserie-Zyklen - erhalten in Museen und Privatsammlungen und imaginiert in Trois Tapisseries de Turquie - und zwei verschiedene Textfassungen.

Die Allegorie behandelt die personifizierten Konkurrenten Mittagsmahl, Abendessen und Bankett, die nacheinander eine Gesellschaft bewirten. Die Gesellschaft besteht aus personifizierten Verhaltensweisen wie Unmäßigkeit, Fresssucht, Zeitvertreib etc., die sich dem Mittagsmahl moderat hingeben, dann aber beim Abendessen einem Überfall entfliehen, nur um beim Bankett von den gleichen Angreifer*innen wie Gicht, Kolik, Schlaganfall etc. zum Teil ermordet zu werden. Anschließend wenden sich die Überlebenden an Dame Experience, die mit ihren Assistenten Rezept, Klistier u.a. die Intriganten vor Gericht stellt. Mithilfe antiker Ratgeber wie Hippokrates, Avicenna, Averroes und Galen werden eine gesunde Lebensführung dargestellt und Abendessen und Bankett verurteilt (8-9).

Logemann steigt methodisch mit der Vorstellung aller Figuren ein (13-14) und bietet die Rezeptionsgeschichte und Analyse einer Handschrift des späten 15. Jahrhunderts, der Abschrift der Trois Tapisseries de Turquie. Deren dritter Teil beschreibt eine Serie von sechs Tapisserien, Tapisserie de la Condampnacion de Souper et de Banquet. Diese ist im Anhang im französischen Original und in deutscher Übersetzung gegeben. Dieser schriftlichen Beschreibung von Bildwerken fügt sie weitere Beispiele bei und untersucht Tapisserien als Ekphrasis genauer. Spannend ist dabei der Nexus der Beschreibung von Tapisserien (fiktiv oder real) und deren Wahrnehmung, die auf literarischen Fiktionen beruhen. Als weitere Annäherung an das zentrale Objekt stellt die Autorin die Variante der Condamnation als Moraltheater in ihrem historischen Kontext und in Bezug auf zeitgenössische Traktate vor, beleuchtet den Überlieferungskontext und liefert eine eingehende Quellenkritik der Moralité. Mit der Diskussion der Tapisserien aus Tournai, die heute in Nancy verwahrt sind, wendet sich Logemann dem Medium selbst mit einer analytischen Bildbeschreibung zu. Diese fünf noch vorhandenen Tapisserien sind wohl die bekanntesten Stücke der Condamnation de Banquet-Serien (41-61). Sie werden anschließend mit der Beschreibung von drei weiteren Tapisserien (in Angers und Madrid) zu diesem Thema komparativ ergänzt, die eine tiefer gehende Interpretation ermöglichen (61-70).

Die Beschreibungen werden durch Abbildungen im Text unterstützt, und die Autorin macht die Bildteppiche als bewegliche "raumstrukturierende Elemente" (71) lebendig, indem sie Überlegungen zu Hängung und theatralem Eindruck einflicht (61). Damit verbindet sie wieder Bildsprache mit Literatur, doch stellt sich hier eine zentrale Frage: allegorische Bildserien visualisierten konkrete Texte. Inwieweit war dann die dargestellte Handlung für Betrachtende ohne Textkenntnis verständlich? Logemann verdeutlicht, dass dies trotz der knappen Inschriften nicht möglich war, sondern dass die Tapisserie als ein Kommentar zu verstehen ist, der erst mit Kontextwissen zugänglich wird (71). Dies hat Auswirkungen auf deren Interpretation, und im folgenden Kapitel veranschaulicht sie die komplexe Beziehung zwischen Bild und Text (72-77).

In den nächsten Abschnitten wird die bildliche Darstellung des Banketts mit der Handlung verknüpft: dem Festmahl. Dabei wird dessen Funktion erörtert, zwischen kostspieliger Dekoration, (politischem) Kommentar und in Bezug auf die dramatisch dargestellten, luxuriösen Speisen. Die Autorin geht auf historische Festmahle wie das Fasanenfest 1454 in Lille ein und diskutiert allegorische Bankette und deren ambivalente Lesarten und moralischen Wertungen. Dabei formuliert sie wichtige Fragen, die noch erforscht werden wollen. Was allerdings bei der Condamnation deutlich wird, ist die Kritik des Exzesses mit der Gegenwart medizinischer Autoritäten als gerichtliche Gutachter. Damit verbindet Logemann ansatzweise die Bildsprache mit der Medizingeschichte und leitet mit der Rolle der Betrachter*innen als Zeug*innen vor Gericht die "performative Dimension" der Tapisserien ein, die ein "theatralisches Imperativ" zeigen (97). Die Diskussion der Choreographie, der Aufteilung der Bildsegmente in quasi Bühnenauftritte und der Beteiligung der Zuschauenden knüpft an die vorhergehende Bildbeschreibung an. Doch geht die Interpretation weiter und betont, dass es eine weitere Art der inhaltlichen Vermittlung gegeben haben muss, eventuell in Form des Moraltheaters. Die Tapisserien allein waren nur ein Teil des Vermittlungsprozesses Performanz-Text-Bild.

Allerdings bleibt die Frage offen, ob dies immer den Inhalt verdeutlichte oder ob Vermittlungsprobleme blieben. Die Autorin vermutet auf Basis ihrer Analyse der komplexen Verflechtung "bildhafter Texte und textbehafteter Bilder" (102), dass die besprochenen Tapisserien keine Umsetzung einer Textvorlage, sondern eine eigenständige Wiedergabe darstellen. Die zahlreichen Details boten dem Publikum mehrere Interpretationsmöglichkeiten und die Textbezüge und deren Entschlüsselung regten sicher zu Gespräch und Debatte unter den Gästen an (105).

Insgesamt macht die Autorin deutlich, dass es eine verknüpfte und kontextuale Annäherung an solche Bildstücke braucht, um Wirksamkeit und möglichen Eindruck auf die Betrachtenden zu erforschen. Das hat sie mit diesem Buch demonstriert und methodisch wunderbar illustriert. Dies macht ihre Studie nicht nur für Kunsthistoriker*innen, sondern auch für Sozialhistoriker*innen besonders im Bereich der materiellen Kultur und des Konsums zu einer sehr lohnenden Lektüre. Denn Verknüpfung und Kontextualisierung oder Verwebung sind auch hier methodische Basis und benötigen Interdisziplinarität. Allerdings ging die Autorin nicht so weit, eine Rückbindung an die Forschung zur materiellen Kultur zu unternehmen - das hätte besonders bei der analytischen Bildbeschreibung tiefer gehende Einblicke ermöglicht oder die Materialität mehr beleuchtet. Andererseits liefert der kunsthistorische Blick Werkzeuge für die materielle Kulturforschung und Perspektiven für die Objektforschung.

Was aus Sicht der Sozialgeschichte im Hintergrund bleibt, ist die genauere Beleuchtung der Agierenden. Zwar erwähnt Logemann hie und da das "elitäre Zielpublikum" und den "exklusiven Adressatenkreis" (101), und dass Tapisserien mit das "kostspieligste und begehrteste Bildmedium des Mittelalters sowie der Frühen Neuzeit" waren (38). Eine Auseinandersetzung mit dieser exklusiven sozialen Gruppe und mit Fragen der Abgrenzung durch solche Darstellungen und deren Interpretationsprivileg bleibt aber leider aus. Die geringe Druckqualität der zu kleinen Abbildungen ist zu bedauern, doch tut dies der Publikation insgesamt keinen Abbruch: Logemann hat eine sehr inspirierende Studie geschrieben mit einer disziplinübergreifenden methodischen Annäherung an die Frage der Performanz und medialen Funktion über Text, Bild und Kontext mit Anknüpfungspunkten an die Sozialgeschichte.


Janine Maegraith

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Janine Maegraith: Rezension von: Cornelia Logemann: Das große Fressen. Tapisserien und Texte der Condamnation de Banquet, Baden-Baden: NOMOS 2021
in: KUNSTFORM 24 (2023), Nr. 2,

Rezension von:

Janine Maegraith
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Redaktionelle Betreuung:

Bettina Braun