Rezension

Eva Knels: Der Salon und die Pariser Kunstszene unter Napoleon I.. Kunstpolitik, Künstlerische Strategien, Internationale Resonanzen, Hildesheim: Olms 2019, 424 S., ISBN 978-3-487-15774-0, 72.00 EUR
Buchcover von Der Salon und die Pariser Kunstszene unter Napoleon I.
rezensiert von Hans-Ulrich Thamer, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Paris-Reisende, die nach den Radikalisierungen der Revolution und der sich abzeichnenden politischen Stabilisierung durch das Konsulat seit 1800 wieder die französische Hauptstadt besuchten, stellten grundlegende Veränderungen der französischen Kunst und Kunstszene fest, die diese seit der Revolution erlebt hatten. Wenn sie über den glänzenden Zustand der Künste berichteten, der mit der Revolution eingetreten sei, dann bezogen sie sich auch auf den Salon und die dort präsentierte französische Kunstlandschaft. Die Organisation des Salons wie seine Funktion als Bühne des Wettbewerbs und der "künstlerischen Selbstvermarktung", aber auch seine Akteure und die dort ausgestellten Werke sind Thema der vorliegenden materialreichen, chronologisch-systematischen Studie von Eva Knels. Mit ihrer Dissertation, die sie 2013 in einer "thèse de co-tutelle" an der TU Berlin und der Université Paris IV verteidigt und die sie nun in einer gekürzten Fassung veröffentlicht hat, leistet sie einen erhellenden und differenzierenden Beitrag zur Beschreibung der Kunstszene und Kunstpolitik im nachrevolutionären napoleonischen Frankreich.

Nachdem die Forschung sich bisher vor allem den grundstürzenden Wirkungen der Revolution auf die Künste zwischen 1789 bis 1799 gewidmet und überdies die Akteure sowie die veränderten Präsentationsformen der napoleonischen Museumspolitik behandelt hat, richtet die Verfasserin den Blick auf die Organisation und Konzeption des Salons im Konsulat und Premier Empire, der zur größten und besonders populären Ausstellung zeitgenössischer Kunst im 19. Jahrhundert werden sollte. Während die Salons der napoleonischen Zeit von der Kunstkritik lange als bloße Propagandaveranstaltungen abgetan wurden, bemüht sich die Verfasserin um eine Darstellung der Vielfalt und um die internationale Wahrnehmung der im Salon ausgestellten Werke, die auch über die Wandlungen der napoleonischen Kunstpolitik, einschließlich der persönlichen Rolle Napoleons, Auskunft geben. Mit der differenzierten Untersuchung der Präsentation im Salon rückt im Unterschied zu der auf die Kunst der Vergangenheit (und auf die Objekte des napoleonischen Kunstraubs) gerichteten Museumspolitik die zeitgenössische Kunst in den Mittelpunkt. Das erlaubt auch einen Blick auf die Frage nach Kontinuität und Wandel, die die bildende Kunst für die Legitimations- und Symbolpolitik Napoleons erhielt. Wie haben sich Konsulat und Empire die traditionelle Ausstellungsform des Salons angeeignet und was hat sich dabei verändert; wie haben die Künstler darauf reagiert?

Die Untersuchung folgt einem sozialgeschichtlichen Ansatz, den die Verfasserin zutreffend als die Beschreibung der "wechselseitigen Beziehungen von kultureller bzw. künstlerischer Praxis und deren gesellschaftlichen, historischen Kontext" (17f.) versteht. Sie beschränkt sich dabei allerdings auf die Untersuchung der ausstellenden Künstler und ihrer Auswahl durch die Organisatoren des Salons sowie auf die Bestellungen und Ankäufe durch den Staat und einzelne Mitglieder der neuen Machteliten; über die übrigen Käufer und Privatsammler erfahren wir wenig. Auch die innerfranzösische Resonanz bleibt ungeklärt, dafür widmet sich die Verfasserin der internationalen Rezeption und deren ambivalenter Wirkung.

Gestützt auf ein reiches und vielfältiges Quellenmaterial - von den Salonkatalogen über archivalische Dokumente zu Bewerberzahlen und Staatsbestellungen bis zur Korrespondenz des konzeptionsprägenden mächtigen Museumsdirektors Dominique Vivant Denon- untersucht die Verfasserin in drei Schritten zunächst die Wandlungen in der Ausstellungslandschaft nach 1789, die sich nach 1799 unter der Herrschaft Napoleons weiter schrittweise verändert hat. Dabei widmet sie sich besonders der Kunstförderung und den Salonankäufen sowie dem politischen Ort des Salons und der zunehmenden Kontrolle und Instrumentalisierung der Kunst vor allem seit der Neukonzeption und Organisation des Salons durch Denon seit 1802. Sie beschreibt zutreffend die Ambivalenz der Kunstpolitik, wie sie Denon Napoleon vorschlug: Er skizzierte ein System, das sich mit dem Ziel der Imageverbesserung am Ancien Régime orientierte und sich durch die Einsetzung einer Jury und die enge Bindung an das Museum wie durch die Rückkehr zur Vergabe von Staatsaufträgen von der Demokratisierungspraxis der Revolutionsjahre abwandte, in denen die Salons durch ihre völlige Öffnung an künstlerischer Relevanz verloren hatten. Was aber von Napoleon und Denon als Erbe der Revolution beibehalten wurde und sich mit der Rückbesinnung auf Organisationsformen des Ancien Régime verband, war die zeitgeschichtliche Orientierung bei der Wahl der Bildthemen, wie sie seit der Revolution praktiziert wurde, nur dass die Wahl der Bildthemen sich nun auf Napoleon fixierte.

Im zweiten Schritt geht es um die am Salon beteiligten Künstler, ihre "künstlerische Selbstvermarktung" und um die veränderten Bildthemen und neuen Techniken, mit denen Künstler auf einen veränderten Publikumsgeschmack und vor allem auf spezifische Präferenzen der staatlichen Auftragspolitik reagierten, ohne dass dabei die künstlerische Vielfalt völlig verloren ging. In diesem zweiten, besonders informativen Kapitel kommt die Sonderstellung von Jacques-Louis David ausführlich zur Sprache, des Premier Peintre, der sich in der Regel nicht mehr und nur noch 1810 an dem Salon beteiligte, sondern vorwiegend im eigenen Atelier ausstellte. Schließlich gehören zu diesem zentralen Kapitel die neuen Ausstellungsmöglichkeiten (und ihre Grenzen) für Künstlerinnen, die sich einem ähnlichen Wandel der Genres wie ihre männlichen Kollegen anschließen, sich aber auch genderspezifischen Themen zuwenden. In diesem kunstsoziologisch ausgerichteten Kapitel wird schließlich die Frage nach einem Generationswechsel der Künstler behandelt und einer Verlagerung oder Kontinuität der ästhetischen Formensprache durch Angehörige einer erfolgreicheren jüngeren Künstlergeneration. In einem letzten Unterkapitel geht es um die Teilhabe von ausländischen Künstlern, besonders denen aus Ländern unter napoleonischem Einfluss. Im dritten Kapitel untersucht Eva Knels schließlich die internationale Resonanz der Pariser Salons auf der Grundlage von gedruckten Zeitschriften- und Korrespondenzberichten, von Memoiren wie von Bildquellen und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Rezeption weit weniger intensiv war als man vielleicht vermuten könnte.

Bereits dieser kurze Überblick deutet an, wie reich an Perspektiven, Themen und detaillierten Informationen die Studie ist. Um diese Vielfalt zu bändigen, hat sich die Verfasserin dazu entschlossen, jedes Kapitel bzw. Unterkapitel mit einem Resümee zu beschließen, was dem Leser sicherlich entgegenkommt, aber die Frage nach dem Zweck eines eigenen zusätzlichen Schlusskapitels aufwirft, das mehr sein sollte als noch einmal ein Resümee der einzelnen Resümees. Zwar bemüht sich die Verfasserin hier um eine systematische Bündelung ihrer wichtigsten Ergebnisse, indem sie den Wandlungsprozess der Salonpolitik zwischen 1800 und 1814 sowie die Ansätze einer Demokratisierung der Kunstlandschaft zusammenfassend und überzeugend beschreibt, aber mehrfache Wiederholungen von bereits Ausgeführtem kann sie nicht vermeiden. Vielleicht hätte sich in dieser Conclusio die Chance geboten, den reichhaltigen und überaus informativen kunstpolitischen und sozialhistorischen Befund doch noch grundsätzlicher in den größeren Zusammenhang einer Politik- und Gesellschaftsgeschichte von Konsulat und Premier Empire einzuordnen und damit zusätzliche und empirisch gut begründete Hypothesen zu liefern für die kontroverse Debatte um den historischen Ort der napoleonischen Herrschaft, die keine bloße Rückkehr zu der Praxis des Ancien Régime, aber auch keine reine Fortsetzung der (Kunst-)Politik des Revolutionsjahrzehnts bedeutet.


Hans-Ulrich Thamer

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in: KUNSTFORM 23 (2022), Nr. 3,

Rezension von:

Hans-Ulrich Thamer
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle