Rezension

Michaela Braesel: William Morris und die Buchmalerei. , Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 706 S., ISBN 978-3-412-50332-1, 95.00 EUR
Buchcover von William Morris und die Buchmalerei
rezensiert von Lisa Hecht, Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg

Mehrfach hat sich Michaela Braesel mit wertvollen Beiträgen zu Geschichte und Theorie der englischen Buchkunst hervorgetan; dies nicht zuletzt im Katalog für das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (1994) [1] sowie in ihrer 2009 publizierten Habilitation "Buchmalerei in der Kunstgeschichte". [2] Letztere erschien ebenfalls im Böhlau Verlag, der nun auch ihre gewichtige Studie zur Bedeutung der Buchmalerei im Werk von William Morris (1834-1896) herausgegeben hat.

Die bisherige Forschung ist zwar schon häufiger auf Morris' spätere Tätigkeit in der druckgrafischen Buchkunst eingegangen [3], die intensive Auseinandersetzung des Kunsthandwerkers und -theoretikers mit konkreten illuminierten Handschriften des Mittelalters wurde jedoch vernachlässigt. Dies holt Braesel in ihrem Buch eindrücklich nach.

Im eingangs formulierten Dank verweist die Autorin auf die etwa 20-jährige Geschichte der vorliegenden, gut 700 Seiten starken Publikation. Quellenarbeit, Studium der Originale und der Sekundärliteratur dienen dabei dem Ziel, "Morris in seiner Tätigkeit als Buchmaler, Handschriftensammler und Verfasser von Aufsätzen zur historischen Buchmalerei vor[zu]stellen" (9). Dieses Ziel wird, so lässt es sich nach der Lektüre festhalten, erreicht.

In einer kleinteiligen Gliederung ordnet Braesel das Buch in etwa drei größere Abschnitte: 1. Morris' Frühwerk und die viktorianische Mittelalterbegeisterung in Bezug auf kunsthandwerkliche Reformideen, 2. Text-Bild-Beziehungen in Morris' buchmalerischen Projekten, 3. Morris als Theoretiker und Sammler von Buchmalereien.

Die in der Einleitung unternommenen Erwägungen zum Illustrationsbegriff sind in die lange Geschichte der Kunsttheorie und Kunstgeschichte des narrativen Bildes eingebettet. Bezug genommen wird auf mediävistischen Ansätze zur Analyse der Buchmalereien, wie sie bereits Peter Kern in Bezug auf das Rolandslied formulierte. [4] Zudem werden Grundgedanken der "material culture" verfolgt, die von Gerard Curtis [5] oder Lorraine Janzen Kooistra [6] in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die englische Buchkunst vorangetrieben wurden. Während sich diese Autor*innen allerdings um eine neue wissenschaftliche Auseinandersetzung mit buchkünstlerischen Erzeugnissen bemühen und erkenntniserweiternde Begriffe prägen, ist Braesels Fokus offenbar ein anderer.

Die vorliegende Publikation ist eine akribische Stoffsammlung, die insbesondere durch die zahlreichen Vergleiche zwischen mittelalterlichen Werken und solchen aus dem 19. Jahrhundert gewinnt. Damit bilden Braesels Beobachtungen einen bedeutenden Grundstein für weitergehende Forschungen, die sich einer inhaltlichen Analyse einzelner Werke aus dem Morris-Umkreis widmen wollen. Außerdem gelingt es der Autorin, einen nur allzu oft tief angelegten Graben zwischen Kulturgeschichten der Vormoderne und der Neuzeit zumindest teilweise aufzufüllen.

Insbesondere im anschließenden Kapitel zu Morris' Frühwerk wird sein Schaffen in die ästhetischen Bestrebungen der Präraffaeliten eingeordnet und das Netzwerk aus Persönlichkeiten wie Edward Burne-Jones, Dante Gabriel Rossetti oder Charles Fairfax Murray prägnant ausgebreitet. Ein besonderer Fokus liegt auch hier bereits auf der künstlerischen Rezeption von mittelalterlichen Handschriften im Umkreis von William Morris. Diese Vergleiche werden allerdings in einer dichten und teils additiven Abfolge vorgebracht, sodass es weder dem Verlag gelingt, alle dafür notwendigen Abbildungen an geeigneter Stelle und in ausreichender Qualität anzubringen, noch den Leser*innen zugemutet werden kann, während der Lektüre immer wieder die digitalen Archive und Sammlungen zu konsultieren, um sich einen Begriff von dem offenbar vorausgesetzten übergroßen Bildgedächtnis zu machen.

Am Ende des zweiten Kapitels bringt die Autorin erstmals Einzelanalysen konkreter Manuskriptseiten aus Morris' Frühwerk. Dabei kann sie "die Probleme der Buchmalerei des 19. Jahrhunderts mit der Übertragung mittelalterlicher Vorbilder auf einen Textkorpus, wie er in seiner Gliederung im 13./14. Jahrhundert noch nicht geläufig war" (112) ermitteln. Solche Widersprüche innerhalb künstlerischer Aneignungsprozesse legt Braesel mehrfach offen.

Das dritte Kapitel stellt den Kern der Arbeit dar. Darin führt die Autorin mehrere Analysen der buchmalerischen Werke durch, an denen Morris beteiligt war; so beispielsweise das "Book of Verse" (1870), welches als Geschenk für Georgina Burne-Jones entstand, oder die "Rubáiyát"-Handschriften, bis hin zur Bebilderung der "Aeneis". Die Betrachtungen zum "Book of Verse" füllen eine Forschungslücke, in dem sie "die Miniaturen mit Beispielen aus dem zeitgleichen malerischen und dekorativen Werk von Morris und Burne-Jones in Beziehung [...] setzen" (162). Die detaillierten und sehr gut recherchierten Analysen des gesamten Hauptteils gehen indes selten über das Deskriptive hinaus. Dieses Vorgehen scheint Braesel mit Morris' Äußerungen über die (rein) dekorativen Eigenschaften von Ornament und Miniatur zu begründen. Anstatt selbst interpretatorisch tätig zu werden, fügt sie andere Forschungsstimmen an, die solche Ansätze für Einzelbetrachtungen bereits erprobt haben. [7]

Als äußerst informativ zeigt sich auch das Ende dieses Hauptteils, in dem mehrere Abschnitte über einzelne Aspekte der englischen Buchmalerei des 19. Jahrhunderts aufklären. Dabei werden vor allem Widersprüche zwischen ästhetischen Forderungen und realen kunstkritischen Reaktionen deutlich gemacht. Auch dem "Illuminieren als Tätigkeitsbereich für Frauen" (412) wird ein kurzer Abschnitt gewidmet, der interessante Ansäte für weitere Einzelstudien bietet.

Deutlich wird William Morris trotz (oder vielleicht gerade wegen) seiner kollaborativen Arbeitsweise zum Helden der Publikation stilisiert: "Morris arbeitete vielmehr für eine [...] spezifische Buchdekoration, bei der sich Charakter des Texts, Wahl der Schrift und des Ornaments - gegebenenfalls auch Miniaturschmuck - zu einem harmonischen Ganzen verbinden. Ziel war es stets, eine 'moderne', eine lebendige Buchmalerei zu schaffen, die der eigenen Zeit entspricht, die die bestehenden Traditionen fortführt und für die Gegenwart modifiziert." (417) Solche vor allem in Bezug auf den Moderne-Begriff vagen Aussagen lassen sich bei genauerem Hinsehen jedoch ebenso gut auf andere Buchkünstler*innen der Zeit beziehen.

Die große Leistung der vorliegenden Publikation liegt aber sicher im letzten Drittel des Buches. Hier stellt Braesel zunächst Morris' Schriften und Vorträge zur Buchmalerei vor und kann dabei sehr nachvollziehbar Inkongruenzen und Ungenauigkeiten in den Mittelalter-Studien des Kunstgewerblers herausstellen.

Am Schluss der Arbeit fährt die Autorin nochmals mit einer herkulischen Tätigkeit auf, indem sie Morris als Handschriftensammler vorstellt und dabei nicht nur den "Widerspruch zwischen seiner Sammeltätigkeit und seinem sozialistischen Engagement" (472) aufzeigt, sondern eindrucksvoll und systematisch ihre gelungene Quellenarbeit präsentiert. Braesel hat verschiedene Kataloge, die von Morris' Bibliothek überliefert sind, aufgearbeitet und deren Inhalte auf mehr als 100 Seiten tabellarisch zusammengestellt. Jedes Manuskript wird darin in Bezug auf Datierung, Lokalisierung, Inhalt, Künstler und mit Angaben zur künstlerischen Ausstattung beschrieben. Weiterhin werden Quellen zum jeweiligen Manuskript aufgeführt, die Morris' Sammeltätigkeit dokumentieren. Es schließen sich außerdem ein Katalog zu von Morris illuminierten Handschriften und tabellarische Anhänge zu Morris' Notiz- und Skizzenbüchern sowie Quellen in Bezug auf die Entstehung der Aeneis-Ausgabe an.

Leider kann diese Publikation editorisch dem eigenen Thema (Buchkunst) nicht Genüge leisten. Die wenigen farbigen Abbildungen im Tafelteil und die seltenen kleinen Schwarzweißreproduktionen können die Menge an aufgezählten Werken und Vergleichsbeispielen nicht auffangen. Dennoch ist Michaela Braesels 20-jährige Arbeit dem Skript im positivsten Sinne anzumerken, präsentiert die Autorin darin doch ein erstaunliches Wissen über einen Themenbereich, der in der Kunstgeschichte immer noch sträflich vernachlässigt wird und erst in den letzten Jahren mehr und mehr Beachtung findet. Dazu trägt dieses Buch bei und lehrt seine Leser*innen das genaue Hinsehen und die ästhetische Hinwendung zum Kunstgegenstand des illuminierten Buches.


Anmerkungen:

[1] Michaela Braesel (Hg.): Englische Buchkunst um 1900, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg 1994.

[2] Michaela Braesel: Buchmalerei in der Kunstgeschichte. Zur Rezeption in England, Frankreich und Italien, Köln [u.a.] 2009.

[3] siehe u.a.: William Samuel Peterson: The Kelmscott Press. A History of William Morris's Typographical Adventure, Berkeley / Los Angeles 1991; Ausst.Kat.: Auf der Suche nach dem idealen Buch. William Morris und die Chaucer-Ausgabe der Kelmscott Press, Gutenberg Museum, Mainz 1996.

[4] Peter Kern: Bildprogramm und Text. Zur Illustration des Rolandsliedes in der Heidelberger Handschrift, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 101 (1972), H. 3, 244-270.

[5] Gerard Curtis: Visual Words. Art and the Material Book in Victorian England, London 2019.

[6] Lorraine Janzen Kooistra: The Artist as Critic. Bitextuality in Fin-de-Siècle Illustrated Books, Aldershot 1995.

[7] Jack Mitchell: William Morris' Synthetic Aeneids. Virgil as Physical Object, in: Translation and Literature 24 (2015), 1-22; Miles Tittle: Pen and Printing-Block. William Morris and the Resurrection of Medieval Paratextuality, Ottawa 2012.


Lisa Hecht

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Lisa Hecht
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis