Rezension

Siegfried Bergler / Karin Rhein: (Bearb.) Johann Wilhelm Schirmer. Biblische Landschaften. Das Paradies als ein Frühlingsmorgen, Schweinfurt: Museum Georg Schäfer 2015, 192 S., ISBN 978-3-943017-08-3, 20.00 EUR
Buchcover von Johann Wilhelm Schirmer
rezensiert von Marcell Perse, Museum Zitadelle, Jülich

Das Jahresmotto 2015 der Luther-Dekade "Reformation - Bild und Bibel" war Anlass für die Ausstellung von Johann Wilhelm Schirmers alttestamentlichem Zyklus im Museum Georg Schäfer Schweinfurt. Entstanden ist die Folge von 26 Motiven - beginnend mit dem Paradies und endend mit dem Begräbnis Abrahams - ab Frühjahr 1855 bis Januar 1856 zunächst in großformatigen Kohlezeichnungen, die ab März 1856 als Wanderausstellung eine erfolgreiche Tournee durch deutsche Städte erlebte. Beflügelt durch die positive Resonanz führte sie Schirmer 1856/57 als Ölskizzen in 60 × 80 cm aus (13). [1] Der gläubige Lutheraner Schirmer sah in seinen biblischen Landschaften sein Hauptwerk. Gezeigt wurde der Ölzyklus erstmals auf der Deutschen allgemeinen und historischen Kunstausstellung in München ab September 1858. Im Gegensatz zu den "berühmten Kohlezeichnungen" scheinen die Ölbilder in der Kritik durchgefallen zu sein. [2] Heute stehen Schirmers Freilicht-Ölstudien, die mit Recht zu den Höhepunkten deutscher Pleinairmalerei des 19. Jahrhunderts gezählt werden können, im Mittelpunkt des Interesses. Umso mehr ist der Mut zu begrüßen, diesem Spätwerk Schirmers eine eigene Ausstellung und Publikation zu widmen.

Dass der Hauptanteil der Publikation von einem biblischen Theologen stammt, ist für das Verständnis von Schirmers Gestaltungsimpulsen hilfreich. Treffend prägt der Autor Siegfried Bergler dafür den Begriff von "Schirmers Landschaftstheologie" (13). Eingeführt wird der Katalog durch eine gut zusammengefasste Biografie Schirmers. Allerdings übernahm Carl Friedrich Lessing 1858 nicht die Leitung der Karlsruher Kunstschule (12), sondern auf Vermittlung Schirmers die der dortigen Gemäldegalerie. Und der Schriftsteller Ludwig Thoma wird mit dem Maler Hans Thoma verwechselt (15). Das Gesamtwerk Schirmers wird mit "rund 600 Gemälden und 1600 Einzelstudien" sogar noch zu niedrig geschätzt (15). [3] Schon im Vorwort thematisiert die Kuratorin Karin Rhein die Provenienzgeschichte des Ölzyklus, von denen heute 25 der 26 Bilder Schweinfurter Bestand sind (8/9). Ursprünglich befand sich der Zyklus im Düsseldorfer Kunstmuseum, 1937 wurden 25 Gemälde als Ausstattung für die deutsche Botschaft in London entliehen, dort 1945 als Reparation konfisziert, zur Auktion gebracht und gelangten schließlich in die Sammlung Schäfer. So unglücklich das Zerreißen des Zyklus auch ist, als Leser bringt man wenig Verständnis dafür auf, dass zwischen zwei öffentlichen Sammlungen keine Einigung herbeizuführen war. Die Verweigerung einer Abbildung des 26. Gemäldes schlägt irritierend bis in die Grundgliederung durch. Dort sind die chronologisch späteren Ölskizzen als wirkungsvollere Gattung vorangestellt und mit theologischen Kommentaren versehen. Das Bild 10 wird jedoch ausgelassen (70) und der theologische Kommentar dann einzig bei diesem Motiv im zweiten Teil zur Kohlezeichnung nachgeholt (145-147), wo ansonsten nur Kommentare zu Bildveränderungen im Vergleich zur Ölfassung ausgeführt werden. Zur Einordnung der biblischen Landschaften Schirmers stellt Bergler den Einzelbesprechungen der Bilder eine Einführung voran, die den Forschungsstand zu Schirmer zusammenfasst (13-37). Bei guter Darstellung der allgemeinen Grundlagen von Schirmers Kunst wird leider zu wenig deutlich, welche bahnbrechende Änderung Schirmers Zuwendung zur biblischen Thematik in seinem Œuvre darstellt, und dass dies nicht von ungefähr mit der von vielen kritisierten Berufung als Gründungsdirektor der Karlsruher Kunstakademie einsetzt (27). Die Verbindung der Landschaftsmalerei mit religiöser Historienmalerei schien auch geeignet, allen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die seine Eignung für den Aufbau des neuen Institutes als bloßer Landschaftsspezialist in Zweifel zogen. Neben der ersten Karlsruher Fassung in Kohle und der ausgestellten "zweiten" Fassung in Ölfarbe werden die großformatigen Berliner Staffelbilder von 1861 als "dritter Zyklus" eingeführt (18). [4] Der im Gegensatz zu den Kohlezeichnungen nicht signierte Düsseldorf-Schweinfurter Ölbild-Zyklus weist den Duktus von großformatigen Farbenskizzen auf; eine Ausführungsstufe, wie wir sie als Entwurfsstufe für den neutestamentlichen Samariterzyklus in der ebenfalls unsignierten Kasseler Version finden oder für das "Heranziehendes Gewitter in der römischen Campagna" von 1858 in der gleichsam unbezeichneten Vorarbeit in München. Allerdings hat Schirmer den alttestamentlichen Zyklus nach den großen Farbenskizzen nicht in dieser Form als endgültige Gemälde in Feinmalerei ausgeführt.

Bei der insgesamt gelungenen Übersicht zu Schirmers Leben und Werk unterscheidet Bergler nicht zwischen Naturstudien und Atelierkomposition (14f.). Die fehlende Differenzierung im Kernkonflikt der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts zwischen naturalistischer Studie und konzeptlastiger Komposition führt den Leser in die Irre, da dieser Unterschied die zu Recht bemerkte Andersartigkeit der mitteleuropäischen und mediterranen Natureindrücke in Schirmers Darstellung überlagert. Bei der Thematik der Staffagefiguren in Schirmers Bildern unterliegt der Autor der Versuchung, Schirmers Formulierung - in Bezug auf die z.T. von Schnorr von Carolsfeld übernommenen Figurendispositionen "erinnere ich demüthig an die Schranken meiner eigenen Fähigkeit in Darstellung der hierzu notwendigen Figuren" - wörtlich zu nehmen, statt sie als fishing for compliments und Ausdruck eines förderlichen Schulterschlusses mit einem populären Künstler zu sehen. Während der hellsichtige Vergleich zwischen Schnorrs und Schirmers Ansätzen zu den aufschlussreichsten Passagen des Beitrages gehört (21-36), trübt dieses Missverständnis den Gesamteindruck. Für dieses angebliche "Defizit" als optischen Beleg eine Zeichnung abzubilden, die ganz deutlich der in der Düsseldorfer Malerschule weit verbreiteten Gattung der Karikaturen einzuordnen ist, wird dem Künstler nicht gerecht (34)! Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die recht undifferenzierte Ausführung der Figuren im Schweinfurter Ölzyklus dem beabsichtigten Ausführungsgrad als große Farbenskizzen entspricht. Dieser relativen Vorläufigkeit des Ölbildzyklus ist auch die noch deutliche Erkennbarkeit der übermalten Engeldarstellung in der Szene von der Opferung Isaaks geschuldet, die im Katalog leider nicht thematisiert wird (96f.).

Schirmer beabsichtigte keine Darstellungen des Heiligen Landes, sondern komponiert seine zur Aussage der biblischen Szenen passenden Stimmungslandschaften aus seinem durch eigene Anschauung erarbeiteten Studienmaterial aus "Deutschland, Italien und Südfrankreich" (31/32). Bei der Dominanz italienischer Bezüge ist es umso interessanter, dass sich drei Kulissen aus dem 1851 bereisten Südfrankreich umgesetzt finden, für die wir im sonstigen Werk Schirmers nur wenige Beispiele kennen. "Die Erfindung der Künste im Stamme Kains" (Bild 9) findet vor einem Reflex des Papstpalastes in Avignon statt - die Statue im Mittelgrund stellt dabei in Bezug zur Bildthematik Kunst Athena / Minerva dar und keinen "Krieger" (32). Die Arche Noah ist auf dem Felsen von Vaison-la-Romaine gestrandet (Bild 13) und die Opferung Isaaks findet vor dem Hintergrund einer Felskulisse von Venasque statt (Bild 18).

Die Besonderheit einer frühen Fotoedition des Kohlezeichnungszyklus ist dem Katalog als letzte Katalognummer angehängt (181, vgl. 124). Dafür ist es der Ausstellungskuratorin gelungen, erstmals eine vollständige Editionsmappe in Weimar nachzuweisen (181). [5] Allerdings wird die von Julius Allgeyer fotografierte Edition fälschlich mit einem Brief Schirmers von 1862 in Verbindung gebracht, der sich jedoch auf die von ihm selbst im Sinne von Künstlergrafik initiierte großformatige Fotoedition von G. Markwart in Darmstadt bezieht, mit der der Künstler auch anderen Quellen zufolge keinen Erfolg hatte. [6] Allgeyers deutlich kleinere Reproduktionen entstehen dagegen erst 1864 posthum von der dann schon im Bestand der Karlsruher Kunsthalle befindlichen Serie. Wie beiläufig korrigiert die Autorin bei der Vorstellung der Edition einen bislang unhinterfragten Fehler in der Bezeichnung des Zyklus als "Darstellungen aus dem ersten und zweiten Buch Mosis", wie es schon in Schirmers Saalzettel zur Wanderausstellung des Kohlezeichnungszyklus hieß (181, Anm. 1), wobei sich tatsächlich nur Szenen aus der Genesis dargestellt finden.


Anmerkungen:

[1] Der Nachweis zu dieser gegenüber der Schirmer-Werkausstellung in Karlsruhe 2002 exakteren Datierung erfolgt erst später (16, Anm. 17). Die nicht zitierte Edition des angeführten Briefes von 1856 liefert mit dem Datum 10.2.1856 sogar einen genauen Terminus post quem, vgl. Hans Ferres (Bearb.): Johann Wilhelm Schirmer 1807-1863, Ausstellungskatalog Jülich 1982, 118.

[2] Ebd. 120f. (Brief 23.13.1858): "nach menschlichem Ermessen hat München mir den Todesstoß gegeben".

[3] Zu addieren sind neben den genannten Ateliergemälden, Zeichnungen und Aquarellen noch einmal rund 700 Ölstudien, vgl. Matthias Lehmann: Naturstudien - Nachlaß - Nachruhm. Die Nachlaßakte des Landschaftsmalers Ernst Fries (1801-1833), Frankfurt am Main / Konz bei Trier 2013, 65f.

[4] Vor dem Düsseldorf-Schweinfurter Zyklus ist noch ein Vorentwurf durch kleine Farbenskizzen einzufügen, deren Rekonstruktion durch den Rezensenten in: Johann Wilhelm Schirmer. Vom Rheinland in die Welt, Ausstellungskatalog Neuss, Düsseldorf, Bonn, Jülich u.a. 2010, Bd. I, 304f. nach Kenntnis der hier besprochenen Publikation jetzt nicht mehr haltbar ist.

[5] Bislang waren nur Einzelmotive bekannt, vgl. ebd., 302, Abb. 30a.

[6] Vgl. ebd., 252, Abb. 18a u. 304f. Anm. 2.


Marcell Perse

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Marcell Perse: Rezension von: Siegfried Bergler / Karin Rhein: (Bearb.) Johann Wilhelm Schirmer. Biblische Landschaften. Das Paradies als ein Frühlingsmorgen, Schweinfurt: Museum Georg Schäfer 2015
in: KUNSTFORM 18 (2017), Nr. 6,

Rezension von:

Marcell Perse
Museum Zitadelle, Jülich

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle