Rezension

Editorial

Vermehrt scheinen politische Zeichenpraktiken gegenwärtig von sophistischen Strategien geprägt zu sein, die auf die Wirkung rhetorischer Formen bauen, aber die Frage nach deren lebensweltlicher Referenz als irrelevant erachten. Das ist auch deswegen unerfreulich, weil sich mit Hans Blumenbergs "Anthropologischer Annäherung an die Aktualität der Rhetorik" argumentieren lässt, dass dahinter die deprimierende Vorstellung vom Menschen als Mängelexistenz steckt: "Der Mensch als das arme Wesen bedarf der Rhetorik als der Kunst des Scheins, die ihn mit seinem Mangel an Wahrheit fertig werden läßt." (Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, S. 105.) Daran ändert es auch nichts, wenn die jeweiligen Redner bzw. Tweeter für sich in Anspruch nehmen, gerade nicht rhetorisch verkünstelt zu sprechen, sondern deutlich und direkt. Schließlich gilt, so ebenfalls Blumenberg, "dass Antirhetorik in der Neuzeit zu einem der wichtigsten rhetorischen Kunstmittel geworden ist, für sich die Härte des Realismus in Anspruch zu nehmen, die dem Ernst der Lage des Menschen […] allein gewachsen zu sein verspricht" (ebd., S. 131).

Dass in diesem Zusammenhang der Rhetorik der Bilder eine ebenso hohe Bedeutung zukommt wie der Rhetorik der Worte, wird etwa anhand der offiziellen Fotos deutlich, die uns präsidentiale Unterschriftsgesten vor Augen führen - Inszenierungen des handelnden Subjekts der Geschichte, das laut Blumenberg stets durch rhetorische Akte "ernannt" wird. Demgegenüber stehen polemische Bild-Rhetoriken, die die Menschenmassen bei präsidentialen Amtseinführungen in Gestalt von Penisbildern vergleichen.

So divergent die verschiedenen Ausprägungen bildwissenschaftlicher Forschung sein mögen, über die KUNSTFORM informiert, sie alle liefern auf die eine oder andere Weise einen Beitrag zur Analyse visueller Zeichenpraktiken - und leisten damit auch Grundlagenforschung für das Verständnis von Bild-Rhetoriken. Womöglich können sie dadurch auch helfen, diese jener Definition von Rhetorik (wieder) anzunähern, für die Blumenberg plädiert: "das vernünftige Arrangement mit der Vorläufigkeit der Vernunft" (ebd., S. 130).

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre der neuen Ausgabe von KUNSTFORM!

Ulrich Fürst Hubertus Kohle Susanne Leeb Florian Leitner Olaf Peters Sigrid Ruby Ute Verstegen


zur Ausgabe KUNSTFORM 18 (2017), Nr. 2

Recommended Quotation:

Zoltan Kacsuk: Rezension von: Casey Brienza: Global Manga. 'Japanese' Comics without Japan?, London / New York: Routledge 2015
in: KUNSTFORM 18 (2017), Nr. 2,

Rezension von:

Zoltan Kacsuk
Visiting researcher, Kyoto Seika University, Kyoto

Redaktionelle Betreuung:

Kerstin Schankweiler