Rezension

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

mag es auch eher dem Zufall zu verdanken sein, dass in den vergangenen ein bis zwei Jahren eine Reihe von umfassenden Bestandskatalogen bedeutender Sammlungen publiziert werden konnten, so haben wir diesen glücklichen Umstand zum Anlass genommen, Rezensionen zu einer kleinen Auswahl, vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, in dem vorliegenden Themenheft von KUNSTFORM zu präsentieren. Das Konzept der Themenhefte, das bisher inhaltliche Aspekte (Epochen- oder Gattungszusammenhänge) verfolgte, verlagert sich hier also auf Fragen, die ein zu den traditionellsten Aufgaben des Kunsthistorikers gehörendes Genre aufwirft.

Bestandskataloge sind in mindestens zweierlei Hinsicht interessant: sie verraten die Art des Umgangs mit den Objekten an dem jeweiligen Ort der Sammlung, und sie verfolgen eine spezifische Art der Vermittlung, eine Strategie der "Ver-öffentlichung", welche wiederum in Entstehungsumständen gründen, die freilich dem Leser verborgen bleiben. Der Bestandskatalog ist aufgrund seiner langen Vorbereitungszeit, seiner immensen Druckkosten und seiner letztlich eingeschränkten Publikumswirksamkeit ein nur mühsam zu vermarktender Klotz am Bein einer Museumsleitung, die gezwungenermaßen zunehmend dem Management als der Kulturbewahrung und -vermittlung verpflichtet ist. Allein zur Würdigung der ungeheuren Leistung, die der Kraftakt eines Bestandskataloges nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in kulturpolitischer Hinsicht bedeutet, war es uns ein Anliegen, eine Auswahl in diesem Themenheft zu bündeln und auf diese Weise Einblick zu geben in die unterschiedlichen Strategien, ja womöglich sogar durch die Möglichkeit des diskursiven Lesens neuralgische Diskussionspunkte herauszupräparieren.

Diese Punkte entzünden sich vor allem an der Frage des anvisierten Publikums. Der Bestandskatalog ist in erster Linie ein Arbeitsinstrument, das von vielen, aber nicht von allen benutzt wird und daher für viele benutzbar sein sollte. Diese höchst anspruchsvolle und kaum einem anderen Genre kunstgeschichtlicher Publikation zugedachte Aufgabe einer polyvalenten Brauchbarkeit wird seit jeher unterschiedlich gelöst, zeitweise begleitet von vehementen Debatten über Inhalte, Sinn und Zweck dieses Genres, die die zwei gegensätzlichen Positionen - eine knappe Identifizierung des Werks gegenüber dessen aufwändig diskutierter Verortung innerhalb der Kunstgeschichte - hinterfragten (vgl. etwa Heinrich Wölfflins 1907 erschienenen Essay "Über Galeriekataloge"). Zwar scheinen aktuell die Diskussionen verebbt zu sein - oder haben sie sich in die Finanzausschüsse verlagert? -, indessen zeigt die hier präsentierte Auswahl implizit das weite Spektrum an Möglichkeiten der mittels Katalogisierung verfolgten Bestandssicherung und -veröffentlichung, die weit über erschöpfende Zuschreibungsfragen hinausgehen - ein Grund, weshalb auch ein Band aus dem "Atlas des Historischen Bildwissens" vertreten ist. Deutlich sind die Unterschiede zwischen den Gattungen zu beobachten (vgl. etwa den Porzellankatalog mit den Gemäldekatalogen), nichtsdestoweniger aber auch diejenigen innerhalb einer Gattung: So ermöglicht die Publikation eines Sammelgebietes ("Italiener"/ "Altdeutsche" im Städel, "Flamen" in Braunschweig etc.) eine andere Vorgehensweise als die Veröffentlichung des Bestandes eines ganzen Museums (Galleria Palatina). Erstere motiviert offenbar dazu, über das Einzelwerk hinaus einen gewichtigen Beitrag zur Forschung einer ganzen Epoche zu liefern, letztere kann zu der Entscheidung führen, das Werden und die Bedeutung der Sammlung im Besonderen zu nobilitieren.

Provenienzen, technische Angaben bis hin zu Abbildungen von Röntgen- oder Infrarotaufnahmen gehören bei Gemäldekatalogen seit längerem zum Standard, und die ganz glücklichen Ausnahmen begegnen uns dann, wenn die eigens für den Katalog angefertigten Aufnahmen auch zu erstaunlichen neuen Erkenntnissen, vielleicht sogar restauratorischen Eingriffen geführt haben. Aber trotzdem scheinen doch essentielle Fragen zur Konzeption des Genres auch diese Rezensionen zu begleiten: Wie viel Beschreibung braucht und verträgt ein Objekt, wie groß sollte das Bemühen um Historisierung und Kontextualisierung dieser vom ursprünglichen Ort entfremdeten Gemälde sein, und nicht zuletzt fragt man sich, wie viel Deutung einem Werk im Bestandskatalog zugedacht sein sollte. So lobenswert und beeindruckend dies im Einzelfall ist - weshalb natürlich genau dieser Punkt in fast jeder Rezension besondere Aufmerksamkeit verdient -, so sehr wird sich vermutlich daran auch im Dienste zukünftiger Realisierungen derartiger Projekte manches entzünden. Der Verweis des Rezensenten zum Städel-Katalog der Altdeutschen Malerei, hier dürfe man ein "prägendes Modell für andere Sammlungen" sehen, wird wohl Wunschdenken bleiben.

Ungeachtet inhaltlicher Diskussionen führt die gelegentlich monierte Abbildungsausstattung (mangelnde Qualität oder auch die auf die Hauptwerke beschränkte Auswahl) auf ein anderes Feld, das weit mehr Aktualität besitzt: die Art der Publikationsform, nicht nur in Hinblick auf die kaum zu erwartende finanzielle Entspannung, sondern auch auf die zentrale Frage der Sichtung und "Benutzbarkeit" von Museumsbeständen. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen und neue Möglichkeiten - die so neu nicht sind - gerade diesem Genre erschließen? Es ist dies zum einen die komplementäre Publikationsform auf einer CD-Rom, was die Berliner Museen schon länger praktizieren; es sind dies aber besonders die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Bestandsübergreifend und -zusammenfassend sei hier auf das Verbundsystem im Bildarchiv Fotomarburg verwiesen. Die Problematik des Copyright bei Abbildungen kann elegant umgangen werden, indem eine kleine, für Publikationsbedürfnisse ganz ungenügende, für Arbeitszwecke aber vollkommen ausreichende Abbildung ins Netz gestellt wird (vgl. etwa die Präsentation der Architekturzeichnungen aus der Graphischen Sammlung der Staatlichen Museen in Kassel oder die Sammlung des Metropolitan Museums in New York). Dabei zeigen die angegebenen Beispiele, welche Möglichkeiten der Detailvergrößerung dabei trotzdem gegeben sein können. Womöglich kann man damit sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn man beispielsweise bedenkt, dass der Florentiner Pitti-Katalog einen gewichtigen Teil des Etats verbraucht, um die schon hinlänglich bekannten und häufig in hoher Qualität abgebildeten Capolavori ein weiteres Mal in großen Farbtafeln zu reproduzieren, was zwangsläufig die Publikation weiterer interessanter Werke über Jahrzehnte verhindert. Zugleich wird damit ein seit Jahrhunderten mitgeschleppter Kanon aufs Neue zementiert. Hier wird nicht zuletzt auch die Verantwortung deutlich, die auf Katalogen bis in die Verästelung der abgespeckten Publikumsführer lastet: die Steuerung der Wahrnehmung des kulturellen Erbes.

Ein herzliches Dankeschön gilt den Rezensentinnen und Rezensenten, die - das bringt ein Themenheft mit sich - entweder etwas länger auf die Publikation ihres Beitrages warten mussten oder sanft zu einer zügigen Fertigstellung gedrängt wurden. Doch nicht nur ihnen verdankt sich die Realisierung dieses Themenheftes, sondern in besonderer Weise den Redakteurinnen und Redakteuren, die sich diesmal dank des epochen- und gattungsübergreifenden Themas aus den unterschiedlichen Bereichen zusammensetzten.

Eva-Bettina Krems


zur Ausgabe KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 11

Recommended Quotation:

Claudia Steinhardt-Hirsch: Rezension von: Marco Chiarini / Serena Padovani: (Hg.) La Galleria Palatina e gli appartamenti reali di Palazzo Pitti. Vol. 1: Storia delle collezioni, Firenze: Centro Di 2003
Marco Chiarini / Serena Padovani: (Hg.) La Galleria Palatina e gli appartamenti reali di Palazzo Pitti. Vol. 2: Catalogo dei dipinti, Firenze: Centro Di 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 11,

Rezension von:

Claudia Steinhardt-Hirsch
Institut für Kunstgeschichte, Karl-Franzens-Universität, Graz

Redaktionelle Betreuung:

Eva-Bettina Krems