Rezension

Kurt Löcher: Hans Mielich (1516-1573). Bildnismaler in München, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2002,
Buchcover von Hans Mielich (1516-1573)
rezensiert von Jürgen Rapp, München

Zur Porträtkunst des Hans Mielich hat Kurt Löcher - von der Forschung zur altdeutschen Malerei schon lange erwartet - mit seinem Buch die Grundlage erarbeitet, welche die gesicherten Bildnisse vollständig erfasst und in meist guter Qualität abbildet.

Der Autor gehört zu den besten Kennern der frühneuzeitlichen Porträtkunst Deutschlands. Seine jahrzehntelange Beschäftigung auf diesem Gebiet zeitigte in kontinuierlicher Folge Publikationen über die Porträtisten der pfälzischen und bayerischen Wittelsbacher (Peter Gertner 1993, Hans Schöpfer der Ältere 1995, Hans Besser 1996). 1999 erschien dann die Monografie über Barthel Beham, der zum Begründer der bürgerlichen Bildnismalerei Münchens und Erneuerer des bayerischen Hofporträts wurde. Er war nach seiner Vertreibung aus der Dürer-Stadt Nürnberg seit 1527 im Haus des Münchner Stadtmalers Wolfgang Mielich ansässig und wohnte hier bis zu seinem Tod in Italien 1540. Hans Mielich, der begabte Sohn des Wolfgang und zeitweilige Schüler Albrecht Altdorfers, setzte im Porträt das künstlerische Erbe des Frühverstorbenen fort, sodass es nun konsequent war, auch eine Monografie über Mielichs Bildnismalerei herauszubringen.

Leider suggeriert der Titel, dass das Spezialfach des Münchners nur das Porträt gewesen wäre. Dies war jedoch nur ein, wenngleich auch sehr wichtiges, Gebiet seiner Kunst, wie man seit Bernhard Hermann Röttgers Mielich-Monografie von 1925 weiß. Ebenso wie der riesige Ingolstädter Hochaltar (1560-1572), ein Hauptwerk der süddeutschen Gegenreformation, ist das geniale Miniaturwerk der Motetten von Cyprian de Rore und Orlando di Lasso mit seiner Überfülle von Bilderfindungen in drei Prachtbänden (seit 1557-1572; München, Bayerische Staatsbibliothek) allerdings nur einem Kennerkreis vertraut. Daneben weisen Andachts- und Epitaphgemälde (ab 1536 bis in die 60er-Jahre) Mielich als einen bedeutenden Vertreter der Synthese aktueller Kunstbestrebungen Italiens mit der Kunst des Dürer- beziehungsweise Altdorferkreises aus. Diese Tatsache stellt sich bei der Darstellung der Biografie in der Einleitung zur Porträtmonografie insofern als Dilemma heraus, als zwar die wichtigsten Werke der übrigen Gattungen genannt sind, die Abbildungen dazu aber fehlen, sodass der Leser eine Vorstellung nur aus Röttger oder den Spezialarbeiten gewinnen kann.

In den Bildnissen der 40er und 50er-Jahre lernen wir Mielich als Maler kennen, der zu den großen Menschendarstellern seiner Zeit zu zählen ist, jener Periode, als das deutsche Bürgertum seinen letzten Höhepunkt erreichte, bevor ab dem Augsburger Religionsfrieden 1555 die landesherrliche Macht der Höfe in den Residenzstädten die politische, kulturelle und geistige Eigenständigkeit erdrückte. Bis zum Beginn der 50er-Jahre war es für München charakteristisch, dass ein relativ ungezwungenes Nebeneinander von Hof und Stadt bestand. So blieb auch Mielich trotz der zunehmenden Aufträge für den Herzog stets der zunftgebundene Stadtmaler. Im Anspruch des Bildtypus (Halbfigur oder Hüftbildnis) unterscheidet sich das Porträt des Erbprinzen Albrecht (V.) von 1545 (Kat.19) von dem der Patrizier und anderer Bürger zunächst nur durch den Prunk der Kleinodien. Was die malerische und physiognomische Durchgestaltung anbelangt, sind ihm einige Bürgerporträts sogar überlegen, wobei fünf von ihnen durch Fensteraussichten bereichert sind, die den Blick auf großartige Landschaften Altdorferscher Prägung freigeben. (Kat. 6-10). Ein intensiver, aber formgebändigter Realismus bestimmt die Wiedergabe, die sich mit lichthaltig atmosphärischem Kolorit und organischem Malduktus verbindet.

Die Gliederung der Arbeit ist gegenüber der Beham-Monografie Löchers von 1999 eindeutig verbessert. Die Abbildungen sind jetzt übersichtlich als separierter Block (113-199) zwischen den Haupttext (9-111) und den nachfolgenden Werkkatalog (203-254) eingeschoben. Dass sich bei den farbigen Tafeln gesicherte und abgeschriebene Bildnisse mischen, mag denjenigen, der den raschen Überblick sucht, verunsichern, kann aber auch als Angebot zu differenzierendem Sehen angenommen werden. Allerdings hätte der Verlag auf die inzwischen verbreitete Unsitte verzichten sollen, Ausschnitte aus Fotovorlagen bloß zu vergrößern. Ein ärgerliches Beispiel bietet die vollständig verschwommene Wiedergabe der wunderbaren Landschaft in Abbildung 11.

Zum Text: Zu den Grundlagen einer Porträtmonografie gehört naturgemäß die Identifikation der Dargestellten und deren historisches und geistesgeschichtliche Umfeld, was sich wiederum auch im Bildnistypus und dem malerischen Aufwand wiederspiegelt. Diese Aspekte werden ausführlich und akribisch bei der Bearbeitung der Bildnisse berücksichtigt. Allerdings wird in den eindringlichen Bildbeschreibungen gelegentlich ein subjektiv wertender Ton bemerkbar, der nicht nachzuvollziehen ist. In einem Fall führt dies sogar zur verfehlten Zuschreibung, nämlich beim Frauenporträt der Veste Coburg (Kat. 27). Der Autor sieht hier "einen hübschen Kopf", in dem sich ein "Gleichgewicht von Natürlichkeit und Formklarheit" ausdrückt (64), während bei unbefangener Wahrnehmung nur die Starre eines schülerhaften Schematismus auffällt.

Die ausführliche Schilderung der historischen Umstände und Bedingungen gehört zu den Hauptverdiensten des flüssig geschriebenen Textes, der allerdings im biografischen Teil (9-30) durch die Vollständigkeit der Quellenzitate überfrachtet ist.

Es wird klar, wie sehr Mielich in der ersten Hauptphase seines Schaffens ab 1540 noch den reformerischen Persönlichkeiten Münchens nahe stand; ein Großteil der Dargestellten sind namhafte Protestanten aus dem Patriziat und dem bayerischen Landadel (Ligsalz, Ridler, Fröschl, Reitmor, von Freyberg, Graf zu Haag; Kat. 5/6, 9/10, 17/18, 51; 53). Dies bestätigt auch ein Blick auf die Thematik der noch erhaltenen Epitaph- oder Andachtsbilder. (zum Beispiel Ligsalz-Epitaph, vollendet 1550, siehe 110f.). Die religiöse Überzeugung Mielichs ist aber im Gegensatz zu Dürer oder Cranach nirgends fassbar (110). So lassen sich seit dem Beginn der Münchner Tätigkeit (ab 1540) auch Altgläubige (erkennbar an den Rosenkränzen, zum Beispiel Kat. 4) vom Stadtmaler porträtieren. Schon ab 1545 beginnt der päpstlich orientierte Erbprinz Albrecht (ab 1550 Herzog) sich des Talentes von Mielich immer extensiver zu bedienen, was im Porträtfach in den drei höchst repräsentativen Ganzfiguren Albrechts und seiner Gattin Anna von Österreich kulminiert (Kat 28, 29/30).

Allerdings wechselte Mielich nie in den Hofdienst, sondern blieb trotz der herzoglichen Aufträge stets zunftgebundener Maler der Stadt, wohl die Folge eines ursprünglich dezidiert bürgerlichen Selbstbewusstseins. Dieses kommt zum Ausdruck in dem persönlichsten seiner Porträts, dem schnörkellosen, nur auf die Person konzentrierten Hüftbildnis eines 62 jährigen Handwerksmeisters von 1543 (Kat. 15). Dessen herausragenden Stellenwert in der deutschen Porträtmalerei weiß Löcher in seiner vollen Bedeutung nicht zu würdigen, obgleich er nicht allein die formale Besonderheit dieses Bildnisses anschaulich herausarbeitet. Die Auffassung erscheint ihm als das Ergebnis einer um 1541/42 vermuteten Italienreise (12, 50). Dieser Zeitpunkt - eine zweite Reise um 1552/54 mit einem Besuch bei Tizian ist verbürgt (22) - wird zum Kriterium für die Periodisierung der frühen Bildnisse. Allerdings reichen meines Dafürhaltens die formalen Argumente dafür nicht aus, denn gerade das monumentalisierende Hüftformat mit neutralem Hintergrund ist bereits bei Beham oder Cranach zu finden. Mielichs Italianismus wird erst im Epitaph in Solna, dem Meisterstück von 1543, klar erkennbar. Es kann ein Italienaufenthalt nur vor dem Tod des Vaters (1541) angenommen werden, zumal Hans Mielich ab 1541 dann in den Münchner Steuerbüchern genannt wird. Seine Reise dürfte wohl im Zusammenhang stehen mit dem Tod des Kollegen und Hausgenossen Beham im Jahr 1540, der eine Familie hinterließ. Dadurch ließe sich auch der noch im selben Jahr vollzogene, abrupte Wandel vom altertümlich flächigen Männerbildnis zum körperhaft durchgestalteten Frauenbildnis im Porträtpaar Andreas Ligsalz - Anna Ridler (Kat. 5, 6) am zwanglosesten erklären. Damit wäre die erste Italienreise auf 1540 zu beschränken. An die neue körperplastische Form des Ridler- Bildnisses schließt sich direkt nicht nur das Frauenporträt im Museum von Toledo/Ohio (Kat. 8), sondern eben auch das dortige Männerporträt an (Kat.7, Abb. 8), sodass nun, ebenfalls noch 1540, ein Porträtpaar von vollendeter Homogenität entsteht.

Bis in die 50er-Jahre bleibt die Darstellung auf dem 1540 erreichten hohen Niveau. Erwähnt seien das Bildnis des lutherischen Freiherrn Pankraz von Freyberg und das tiefsinnige Hofnarrenporträt, beide 1545 (Kat. 17, 20), dann das erschütternde Totenporträt Herzog Wilhelms IV. von 1550, wo sich gerade in der realistischen Darstellung die krasse Wirklichkeit auf einzigartige Weise mit einer von Löcher nicht thematisierten überhöhenden Farb- und Lichtsymbolik verbindet (Kat. 22). Den Abschluss findet diese Periode im perfekt gemalten Porträtpaar des standesbewussten Augsburger Juweliers Hans Tucher und seiner Frau von 1551 (Kat. 24/25). Danach flacht die Intensität der Darstellung zu Gunsten einer gewissen Routine ab, allerdings unterbrochen von einigen meisterlichen Porträts, wie etwa dem verschollenen des Andreas Reitmor von 1556 (Kat. 33).

Als Gruppenbildnis nimmt das vor den Hofvertrauten ins Schachspiel vertiefte Herzogpaar bei den Miniaturenporträts eine besondere Stellung ein (1552, Kat. M 1, Text 98-100), ebenso das ausdrucksgeladene Bildnis des Komponisten Cyprian de Rore (1558/59) (Kat. M 8, Text 103f.).

In den ganzfigurigen Bildnissen des Herzogpaares von 1555 (München) und 1556 (Ambras) wird eine Erstarrung im Physiognomischen deutlich (Kat. 28-30). Jetzt geht es hauptsächlich um die Repräsentation von herrscherlichem Glanz und Reichtum, dem Mielich als Spezialist für die Wiedergabe von Juwelen (1546-1555 inventarisierte er in Miniaturen den Schmuck des Herzoghauses) mit einer alles überziehenden Feinmalerei gerecht zu werden versucht. Übernommen wird der Habsburger Ganzfigurentypus, der 1532 vom Hofmaler Jakob Seisenegger mit dem Porträt Karls V. geschaffen worden war, wobei dem Münchner in seiner Herzogfigur allerdings eine ausponderierte Körperhaltung gründlich misslingt. In den Miniaturbänden stellt er sich noch zweimal dem Problem der Ganzfigur. Die eine Miniatur zeigt den Herzog im Ornat des Goldenen Vlieses (1565, Kat. M 9), in der anderen würdigt er mit diesem Bildtypus Orlando di Lasso als "Fürsten der Musik" (1570, Kat. M 11).

Noch einmal werden das ganze Können Mielichs, aber auch die Grenzen in Perspektive und Anatomie 1557 in dem farblich brillanten Ganzfigurenporträt des querköpfigen Lutheraners Ladislaus von Fraunberg erkennbar, der reichsunmittelbarer Graf der kleinen Herrschaft Haag war. Ihm schenkt der Autor verständlicherweise eine besondere Aufmerksamkeit; so wurde denn auch der diesbezügliche Text (78-81) zu einer der Glanzleistungen seiner facettenreichen Darstellung.

Löchers Mielich- Monografie bereichert das Panorama der deutschen Porträtkunst des 16. Jahrhunderts um einen der wichtigsten Menschendarsteller der Zeit nach Dürer, der es verdient, neben Cranach, Holbein, Beham und Amberger genannt zu werden und der in seinen besten Leistungen als einer der großen des Faches nun wieder erkennbar geworden ist.

In die ansonsten verlässlich erarbeiteten Sachfragen haben sich einige Fehler eingeschlichen, die hier noch zu korrigieren sind.

a) Zu Kat. 7/8, Text 41-43): Es ist nicht kategorisch auszuschließen, dass hier ein protestantischer Prediger mit seiner Frau dargestellt ist. Abgesehen von der seit Luther üblichen Professorentracht und dem kleinen Buch in der Hand, das dem Format nach das "Neue Testament Deutsch", sein könnte, ist die im Fensterausschnitt gezeigte Steinigung des Erzmärtyrers Stephanus nicht notwendig als Heiligenmartyrium im Sinne der römischen Theologie, sondern als das Beispiel standhafter Blutzeugenschaft für den rechten Glauben zu interpretieren, auf das sich Luther in seinen Schriften immer wieder ausdrücklich beruft.

b) Zum Ganzfigurenporträt Albrechts V. von 1555, Kat. 28. Entgegen der Angabe 222 fehlt bei der Signatur links auf dem Steinsockel das Datum "1555".

c) Zum Porträt der 24-jährigen Frau mit Töchterchen von 1554 (Kat. 26): Da die Dargestellte im Jahr 1530 geboren ist und nicht 1520 (so 221) kann sie nicht die Ehefrau des Malers gewesen sein. Wie betont wird, musste er vor der Meisterprüfung 1543 bereits verheiratet gewesen sein (13). Außerdem starb die Tochter nicht mit 9 Jahren (221), sondern nach der Grabinschrift mit 12 Jahren (14).

d) Die im Text (14) und im Personenregister (275) erwähnten Stadt- und späteren Hofkistler "Hainrich Greysser" und "Hans Greysser" sind nicht identisch, wie eine Durchsicht der Quellen (O. Hartig, Münchner Künstler, Teil II) ergibt. Es könnte sich dabei aber um Vater und Sohn handeln


Jürgen Rapp

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Jürgen Rapp
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Redaktionelle Betreuung:

Gabriele Wimböck