Fra Bartolomeo und die "Schule von San Marco"

Bartolomeo di Domenico della Porta (1472–1517), ein Schüler von Cosimo Rosselli, hatte schon eine erfolgreiche Laufbahn als Maler hinter sich, als er unter den Einfluss Savonarolas geriet, mit dem er in engen persönlichen Kontakt trat. Unter dem Einfluss seiner Predigten verbrannte er auf den in Florenz errichteten Scheiterhaufen für die Zerstörung der Luxusgüter eigenhändig seine früheren Zeichnungen und Gemälde mit nackten Figuren. Nach der Hinrichtung Savonarolas (23. Mai 1498) trat er 1500 als Novize in das Dominikanerkloster in Prato ein und lebte ab 1501 unter dem Namen Fra Bartolomeo im Kloster San Marco in Florenz, wo er bis zu seinem Lebensende (1517) wirkte. Nach vierjähriger Abstinenz von der Malerei begann er 1504 wieder zu malen, und zwar ausschließlich religiöse Themen. Mit seiner Übernahme der Malerwerkstatt von San Marco begann er, zunächst unterstützt von seinem früheren Ateliergenossen Mariotto Albertinelli und später von anderen klösterlichen Gehilfen, eine reiche Tätigkeit als Altarbildmaler. Mit seinem konsequenten Bekenntnis zur christlichen Funktion der Malerei greift Fra Bartolomeo der gegenreformatorischen Malerei und deren Prinzipien vor. Einige seiner Bilder tragen statt einer Signatur die Aufforderung, für den Maler zu beten (ORATE PRO PICTORE). Vasari berichtet, dass Raffael, der sich seit 1504 in Florenz aufhielt, dort in engem Kontakt zu ihm stand. Der Frate habe ihm die „guten Begriffe von der Perspektive“ beigebracht. Vasari schreibt auch, dass Raffael von dem Kolorit des Frate besonders angetanwar und in der Tat zeigen Fra Bartolomeos Altartafeln eine satte, durch Leonardos Sfumato geprägte Farbigkeit, die sich deutlich von dem bis dahin von den Florentinern bevorzugten Lokalkolorit unterscheidet. Entscheidend für seine weitere Entwicklung wurde ein mehrmonatiger Aufenthalt in Venedig im Jahr 1508, dessen Anlass der Auftrag für ein Altargemälde war. Die Früchte der Begegnung mit der Malerei Giovanni Bellinis L.XVI.3 und die Auseinandersetzung mit Giorgiones Landschaften sind in seinen danach entstandenen Werken evident. Sein langandauernder Ruhm beruht aber vor allem auf seinem ungewöhnlich umfangreichen zeichnerischen Oeuvre, dessen Motivreichtum die theologische Barriere überspringt.

Zu den bedeutendsten Aufträgen des Frate gehörte die Altartafel (Pala del Gran Consiglio), die er 1510 im Auftrag der Republik für den Altar in der Sala del Maggior Consiglio begann. Geschart um die in der Mittelachse des Bildes aufragende Hl. Anna Selbdritt, sind hier die Schutzpatrone der Stadt Florenz dargestellt. Die Komposition wird von einer großen Nische abgeschlossen und gerahmt, in der sich der gestaffelte Thron von Anna und Maria hinter einem Stufenpodest befindet. Das Bild blieb nach der Rückkehr der Medici im Jahr 1512 unvollendet in Fra Bartolomeos Werkstatt, wurde aber während des kurzzeitigen Auflebens der Republik 1529 aus dem Kloster S. Marco an den ursprünglichen Ort seiner Bestimmung verbracht. Nach der definitiven Machtübernahme durch die Medici (1530) wurde das Gemälde von Ottaviano de’Medici für seine Kapelle in S. Lorenzo erworben. Man sieht dem Bild seine „politische“ Motivation nicht an, da sich sein Inhalt auf christliche Werte bezieht, die auch unter veränderten politischen Vorzeichen für Florenz gültig blieben. Um eine Vorstellung von der beabsichtigten koloristischen Ausführung zu gewinnen, ist der Blick auf die Mystische Verlobung der hl. Katharina von 1511 lehrreich, ein Hauptwerk der venezianisch geprägten Schaffensphase Fra Bartolomeos. Ausgehend vom kompositionellen Schema der Madonna del Baldacchino von Raffael >ABB L.XI.8, bildet Maria hier die Mittelachse einer Sacra Conversazione, die sich in einem weiten Halbkreis um sie gruppiert. Das räumliche Ausgreifen der mächtigen Gestalten in elegant fließenden und voluminösen Gewändern findet seine architektonische Rahmung in der zur Hälfte verschatteten Nische, die − nach dem Vorbild Bellinis − eine Chorapsis als Schauplatz der Szene suggeriert, deren Autorität durch die körperliche Präsenz der Bildfiguren eine deutliche Steigerung erfährt. 1513 begab sich Fra Bartolomeo für ca. ein Jahr nach Rom, um die Werke Raffaels und Michelangelos kennenzulernen. Vasari zufolge verwirrte ihn jedoch die römische Vielfalt so sehr, dass er schnell wieder zurückkehrte. Einen Ruf an den Hof König Franz‘ I. lehnte er ab, erlebte aber noch die Genugtuung, dass ihn Papst Leo X. während seines Florentiner Aufenthalts am 30.11.1515 in seiner Werkstatt in San Marco besuchte.

zu 2. Andrea del Sarto und die "Schule der Annunziata"