Leonardos Mona Lisa

Zu den Florentiner Werken Leonardos, die nachhaltige Spuren bei den jüngeren Malern hinterlassen haben, gehört auch ein Porträt. Das Bildnis der Mona Lisa, das Vasari zufolge zur gleichen Zeit entstand wie der Karton der Anghiari-Schlacht, stellt die 1479 geborene Lisa di Noldo Gherardini dar. Sie war die dritte Frau des wohlhabenden Florentiner Seidenhändlers Francesco del Giocondo, der sich nach der Geburt seines zweiten Sohnes (1503) ein neues Haus kaufte, für dessen Ausstattung das bei Leonardo bestellte Porträt vermutlich bestimmt war. Das von Vasari ausführlich beschriebene Bildnis verblieb allerdings im Besitz des Künstlers und gelangte später in die Sammlungen des französischen Königs. Vermutlich konnte Vasari für seine Beschreibung des Bildnisses, das er selbst nie gesehen hat, auf Nachrichten zurückgreifen, die er von Malern erhalten hatte, die in Frankreich gewesen waren. Für ihn beruhte das Besondere dieses Bildnisses auf der durch das Lächeln bewirkten Lebendigkeit der Erscheinung. Dieses Lächeln, das einer der Gründe für die bis heute ungebrochene Faszination des Bildnisses ist, entspricht einem der Zeit geläufigen Topos vom weiblichen Liebreiz, der als Abbild der durch Tugend erworbenen Schönheit gilt und dessen Idealtypisches Vorbild die Muttergottes ist. Auch die übereinander gelegten Hände sind der Hinweis auf die Tugendhaftigkeit der Frau. Das Lächeln spielt darüber hinaus auf den Familiennamen (del Giocondo) des Ehemannes der Dargestellten an, die demzufolge als La Gioconda bezeichnet wird (giocondo=heiter), und ist somit als familiäres Erkennungsmerkmal zu deuten.

Dennoch ist die Identität der Dargestellten immer wieder in Zweifel gezogen worden, was sich aus der mangelhaften und widersprüchlichen Quellenlage erklärt. Der Annahme, dass das Bildnis erst während Leonardos römischer Jahre (1513–1516) im Auftrag des Giuliano de’Medici (†1516) und als posthumes Porträt seiner Geliebten entstanden wäre, steht die frühe Rezeption des Bildnisses entgegen, die sich nachweisbar in Florenz lokalisieren lässt. Raffael hat das Bildnis in einer während der Florentiner Jahre entstandenen Zeichnung festgehalten, die beweist, dass er das Bildnis in Leonardos Werkstatt gesehen haben muss. In einigen Details weicht die Zeichnung vom Vorbild ab, was unterschiedliche Gründe haben kann. Vielleicht bereitet die Zeichnung ein eigenes Bildnis vor, das dem Vorbild der Mona Lisa folgen sollte, vielleicht hat Leonardo das Bildnis aber während der vielen Jahre, die es in seiner Werkstatt verblieb, noch verändert. Die Dargestellte sitzt vor einer dunklen halbhohen Mauerbrüstung, die ursprünglich durch zwei Säulchen begrenzt werden sollte. Sie befindet sich in einer Loggia, die höher liegt als die Landschaft. Der Ruhm des Porträts ist auch auf die neuartige malerische Behandlung zurückzuführen, die als sfumato bezeichnet wird. Man versteht darunter die verwischten d.h. fließenden Übergänge zwischen den verschatteten und den beleuchteten Hautpartien, die das Inkarnat und die körperliche Rundungen natürlich und lebendig erscheinen lassen. Leonardo gilt als der Erfinder dieser Art zu malen, deren Schwierigkeit darin besteht, dass viele dünne Malschichten übereinander gelegt werden müssen, was einen langwierigen Arbeitsprozess implizierte. Neu gegenüber der Florentiner Tradition, die den Typus des frontalansichtigen weiblichen Porträts schon kannte, ist die Nähe zum Betrachter. Sie resultiert aus der leichten Drehung des Körpers nach vorn, die durch die Haltung der gekreuzten Hände unterstrichen wird. Diese ruhen auf einer Stuhllehne, die den Bildraum begrenzt, aber zugleich auch öffnet. Die Aura des Bildnisses beruht letztlich auf der poetischen und geheimnisvollen Stimmung, die von der tiefenräumlichen und atmosphärisch verschatteten Landschaft des Hintergrundes ausgeht, gegen die sich das Gesicht abhebt, das sein Licht von einer unsichtbaren links oben befindlichen Quelle erhält. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Mona Lisa zum „Inbegriff des neuzeitlichen Porträts“ wurde und „aus diesem Grund nicht nur als Abbild einer wirklichen Person, sondern auch als ein ideales Bildnis gilt“.


zu 6. Leonardo, Filippino Lippi und der Hochaltar der Santissima Annunziata