Alexander VI. und Cesare Borgia

Seit dem Konklave von 1484, aus dem Innocenz VIII. Cybo hervorgegangen war, der als politische Marionette galt, war Giuliano della Rovere, der spätere Julius II., einer der mächtigsten Kardinäle des Kollegiums. Dass 1492 nicht er, sondern sein erklärter Kontrahent, der Spanier Rodrigo Borgia, zum Papst gewählt wurde, hing mit dem maßlosen Nepotismus seines Onkels Sixtus' IV. zusammen. Auch Borgia war der Neffe eines Papstes (Kalixtus III.) und hatte als langjähriger Vizekanzler viel Erfahrung in den Angelegenheiten der Kurie. Die Politik, die Alexander VI. während seines neunjährigen Pontifikates betrieb, zeugt trotz aller persönlichen und moralischen Verfehlungen, welche die Herrschaft und Verruchtheit der Borgia zu einem so dankbaren Thema für die Nachwelt gemacht haben, von politischer Weitsicht. Zu den folgenreichsten Taten dieses Papstes, der angeblich seinen Namen in Anspielung auf Alexander den Großen wählte, gehörte nach der Entdeckung Amerikas die Aufteilung der Welt zwischen Portugal und Spanien, wobei letzteres eindeutig begünstigt wurde (Vertrag von Tordesillas). Obwohl sich Alexander VI. eindeutig für die spanischen Interessen einsetzte, wechselte er je nach Notwendigkeit die Fronten und taktierte dabei außerordentlich geschickt. Als Giuliano della Rovere 1494 König Karl VIII. von Frankreich zu seinem Zug nach Italien veranlasste, dessen Ziel die Eroberung des Königreichs Neapel war, gelang es Alexander VI., den französischen König , der eigentlich seine Absetzung beabsichtigte, zu umgarnen und umzustimmen. Er empfing ihn in seinen durch Pinturicchio prächtig ausgestatteten Räumen in der Engelsburg, und erreichte es, dass der König ihm Gehorsam erwies und anschließend weiter nach Neapel zog, ohne ihn zu behelligen. So gewann der Papst die notwendige Zeit, eine Koalition gegen den Eroberer zu schmieden, die schließlich zu dessen Rückzug in den Norden führte. Wenige Jahre später, nach dem Tod Karls VIII., wechselte Alexander VI. jedoch die Fronten, indem er dessen Nachfolger Ludwig XII. zur Eroberung Mailands ermutigte.

Der Grund dafür war ein politisches Tauschgeschäft, dessen Akteur Cesare Borgia war, der älteste und ehrgeizigste Sohn des Papstes, der seinen Namen nach Julius Caesar trug. Ludwig XII. hatte in Rom um die Annullierung seiner Ehe ersucht, um eine andere Verbindung eingehen zu können, die seine Macht vergrößerte. Der Papst verlangte im Gegenzug dafür die Ernennung seines Sohnes, den er zuvor von seinem geistlichen Status als Kardinal entbunden hatte, zum Herzog von Valence. Gestärkt durch das französische Bündnis unternahm Cesare Borgia 1499 einen großen Eroberungszug in Mittelitalien (Imola, Forlí), dem in den folgenden Jahren weitere Eroberungen folgten (Rimini, Faenza, Piombino, Elba). Das Ergebnis war das Herzogtum Romagna, mit dem ihn sein Vater belehnte und das von der Adria bis zum tyrrhenischen Meer reichte. Parallel dazu betrieb Alexander VI. die Entmachtung der römischen Baronal-Familien (Caetani, Colonna, Orsini), die die Gebiete nördlich und südlich von Rom beherrschten, wobei er vor Kerkerhaft und Meuchelmord nicht zurückschreckte. Diese Territorien übergab er zwei weiteren leiblichen Kindern, nämlich Lukrezia, die das neue Herzogtum Spoleto erhielt und Juan, Herzog von Gandia. Über die Verwerflichkeit dieser Familienpolitik, die durch den plötzlichen Tod des Papstes im August 1503 beendet wurde, stimmen die Urteile der Historiker überein, nicht aber über die eigentlichen Ziele dieser Politik. Ging es dem Papst um die Errichtung eines Borgia-Reiches unter seinem Sohn Cesare, der das Vorbild für Macchiavellis „Principe“ war, oder versuchte er mit der Schaffung von Kollateralherrschaften um den Kirchenstaat herum letzteren besser gegen ausländische Invasoren zu sichern? Zweifellos waren seine Absichten und die des machthungrigen Cesare Borgia, der sich auch die Herrschaft über Florenz aneignen wollte, nicht identisch.

In dieser politisch unsicheren und von ständigen kriegerischen Konflikten beunruhigten Zeit fiel das Heilige Jahr 1500 für Rom nicht grandios aus. Alexander VI. hatte jedoch in den Jahren davor einiges getan, um die Stadt für das Jubeljahr herrichten zu lassen. Er ließ u.a. die via Alessandrina anlegen, die St. Peter mit der Engelsburg verband. Dennoch waren die Aktivitäten aus Anlass dieses besonders signifikanten Einschnittes der ersten 500 Jahre des zweiten Milleniums der Kirche eher bescheiden. Die urbanistischen, restauratorischen und fortifikatorischen Maßnahmen, die vor allem an und in der Engelsburg (Castel S. Angelo) vorgenommen wurden, und die künstlerischen Unternehmungen hatten nicht die Priorität, wie es eine so einschneidende chronologische Zäsur erwarten ließe. Während des Heiligen Jahres 1500 hielten sich jedoch zwei der bedeutendsten Künstler der Zukunft in Rom auf. Michelangelo hatte 1499 seine für St. Peter bestimmte Pietà, einen Auftrag des Botschafters des französischen Königs, abgeliefert und kehrte erst 1501 nach Florenz zurück. Bramante war seit 1502 mit der Konstruktion des von den spanischen Königen Ferdinand und Isabella gestifteten Tempietto im Hof des Klosters von S. Pietro in Montorio beschäftigt. Ein weiterer Auftrag, dem er sich in diesen Jahren widmete, war der 1500 im Auftrag des Kardinals Olivierio Carafa ausgeführte Hof des Konvents von S. Maria della Pace>L.IX.3. Carafa, der einer der aktivsten Kunstmäzene im Pontifikat Alexanders VI. war, hatte 1488 eine nach ihm benannte Kapelle in S. Maria sopra Minerva gestiftet, die er von Filippino Lippi ausmalen ließ.

Während die Pilgerströme zum Heiligen Jahr 1500 nach Rom zogen und sich zu Prozessionen formierten, vergnügte sich die römische Gesellschaft bei üppigen Karnevalsumzügen auf der Piazza Navona, deren Thema u. a. der Triumph Julius Caesars war, der aber nicht etwa eine Umsetzung von Mantegnas Gemäldezyklus >L.VI.5 war, sondern eine Huldigung an den siegreichen Cesare Borgia, der angesichts seiner militärischen und politischen Erfolge mit einem gewissen Recht als moderner Julius Caesar angesehen wurde. Sein Regiment im Herzogtum Romagna war jedenfalls erfolgreich und glanzvoll, da er dort eine effiziente Verwaltung einführte und da er sich mit angesehenen Männern umgab, wie Macchiavelli in einem Bericht an die Regierung von Florenz über den „duca di Valentino“ schreibt. Macchiavelli bezog sich hier vor allem auf Leonardo da Vinci, der 1502 als architetto und ingegnere generale in Cesare Borgias Dienste getreten war und der in seinem Gefolge Inspektionsreisen zu den diversen Festungen in seinem Herrschaftsgebiet unternahm. Die daraus hervorgegangenen Materialien und Notizen sind Lagepläne und Stadtpläne, so auch ein Stadtplan von Imola.

zu 3. Julius II. „il terribile“