Leitthemen der Malerei im Quattrocento

Masaccio hat mit seiner kleinformatigen Darstellung der Wöchnerinnenstube einen Prototypus für die Thematik der Geburtsszene geschaffen, die im monumentalen Wandbild ausserordentlich erfolgreich sein sollte. Zwei Beispiele verdeutlichen dies: die Geburt Johannes des Täufers von Filippo Lippi in der Chorkapelle des Doms von Prato (1452–1465) und Ghirlandaios Geburt des Täufers in der Tornabuoni-Kapelle von S. Maria Novella (1486–1490). An diesem Vergleich werden zwei Aspekte deutlich, die für die Florentiner Kunst des 15. Jahrhunderts entscheidende Bedeutung besitzen, dies sind der Rückgriff auf lokale Bildtraditionen, die zitiert, korrigiert und modifiziert werden, wobei der Ausgangspunkt meistens erkennbar bleibt, und die Tendenz zur Monumentalisierung im großformatigen Wandbild, ein Schritt, der durch die Entwicklung der zentralperspektivischen Projektion möglich geworden war.

Eine weitere Themenreihe bestätigt die Eigendynamik, die sich aus der Existenz von innovativen Bilderfindungen ergab. Das Gastmahl des Herodes mit dem Tanz der Salome vor Herodes war ein Thema, das in Florenz vor allem innerhalb von Johanneszyklen häufig vorkam, was damit zusammenhängt, dass der Täufer einer der Stadtpatrone ist. Ein Marmorrelief von Donatello mit dieser Thematik entstand, vermutlich um 1435, als autonomes Kunstwerk für die Medici. Anscheinend war es als Demonstration der Anwendung einer perspektivischen Konstruktion mit zwei Fluchtpunkten intendiert, wie es Alberti für figurenreiche Kompositionen empfiehlt. Das gleiche Thema hatte Donatello schon zehn Jahre früher in einem der Reliefs am Taufbrunnen im Baptisterium von Siena dargestellt, das dem dramatischen, auf mehrere Raumebenen verteilten Geschehen größte narrative Dichte verleiht, dabei aber den Regeln der Perspektive ohne den demonstrativen Gestus des späteren Werks folgt. Den Schritt zum großen Maßstab vollzog dann Masolino, als er um 1435 das Gastmahl des Herodes in Castiglione Olona als großes Wandbild dargestellt hat. In der zweiten Jahrhunderthälfte gewinnt das Thema dann in zwei weiteren Zyklen monumentale Ausmaße, einmal in Filippo Lippis Ausmalung der Chorkapelle des Doms von Prato (1452–1565), und zwanzig Jahre später in Ghirlandaios Johanneszyklus in der Tornabuoni-Kapelle in S. Maria Novella.

Hier und in anderen Fällen kann man davon ausgehen, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit den jeweils früheren Werken intendiert war, an denen man sich auch deswegen maß, weil Können, Originalität und Konzeption auf diese Weise vergleichbar wurden. Die Voraussetzung für diesen auf dem Wettbewerb beruhenden Kunstbetrieb war die öffentliche Präsenz der Werke in und an den Kirchen, Oratorien, Klöstern und Palästen der Stadt. Das Verständnis für die Prinzipien des künstlerischen Schaffens und der Sinn für Qualität wurden durch die öffentliche Präsentation der Kunstwerke geschult. Ein besonders anschauliches und markantes Beispiel dafür ist der nach dem Auftraggeber benannte Portinari-Altar des Hugo von der Goes, der 1483 in Florenz eintraf.

Der Florentiner Bankier Tommaso Portinari hatte das Retabel 1475 bei dem Brügger Maler Hugo van der Goes in Auftrag gegeben. Es war für den Hauptaltar der Kirche S. Egidio bestimmt, deren Chor zwischen 1450 und 1455 durch Domenico Veneziano, Andrea del Castagno und Piero della Francesca ausgemalt worden war. Nicht nur wegen seiner für Florenz völlig neuen Typologie des dreiteiligen Retabels mit lebensgroßen Stiftern und ihren Schutzheiligen beeindruckte dieses Werk, sondern auch wegen seiner für Florenz ungewöhnlichen Thematik der Anbetung des Kindes durch die Hirten. Eine der wenigen früheren Darstellungen dieses Themas ist Baldovinettis Fresko von 1460–1462 im chiostrino de’voti der Santissima Annunziata, die den Hirten jedoch nicht die Rolle von Hauptfiguren einräumt. Die erste Reaktion auf das Gemälde des Niederländers und auf die neue Auffassung des Themas findet sich in Ghirlandaios Retabel mit der Anbetung der Hirten in der Sassetti- Kapelle von S. Trinita, das die Hirtengruppe des niederländischen Malers zitiert und ihnen erstmalig die ausgezeichnete Stelle einräumt, die bis dahin den Königen zustand, deren Zug hier in den Hintergrund verwiesen wird. Da es der Kontext erlaubte – das Altarbild wurde einer vollständig bemalten Altarwand eingefügt – platzierte Ghirlandaio in Angleichung an die Konstellation des Portinari-Altars die Stifterporträts auf die Wand, so dass sie neben das Retabel zu stehen kommen.

zu 5. Die Verkündigung an Maria und die künstlerische Innovation