Einführung

Dass das gesamte Spektrum der neuen Architektur des 15. Jahrhunderts in Florenz so exemplarisch vertreten ist, hängt mit den gesellschaftlichen Strukturen und mit dem Reichtum der Stadtrepublik zusammen. Die Konkurrenz der Familien und der gesellschaftlichen Gruppen und das stets fragile, aber immer wieder erlangte Gleichgewicht der politischen Kräfte sorgten dafür, dass sich die Ausdrucksformen ihrer kulturellen Ambitionen einem Kanon unterwarfen, der die Grundlage für die Vergleichbarkeit und das sich Aneinander-Messen war, das für die Künstler zu einem Motor der Veränderung wurde und zur Verständigung über Normen und Prioritäten führte. Besonders gut nachvollziehbar sind diese Veränderungen an der Architektur. Anschauliche Beispiele dafür sind der Palazzo Medici und der Palazzo Strozzi. Obwohl fast ein halbes Jahrhundert seit der Errichtung des Palazzo Medici vergangen war, als sich Filippo Strozzi 1489 zur Errichtung seiner Familienresidenz entschloss, übernahm der Architekt, wahrscheinlich Giuliano da Sangallo, die Grundstruktur und die Proportionen des Palastes von dem 1444 begonnenen Palazzo Medici, dessen Architekt Michelozzo di Bartolomeo ein halbes Jahrhundert älter war. Die geduldete und wohl auch gewollte Ähnlichkeit der beiden Gebäude sagt viel über das Verhältnis zwischen den Medici und den Strozzi aus, das nach der Pazzi -Verschwörung von 1478 >L.II.4 neu definiert wurde. Ohne einen den beiden Bauten gemeinsamen Kanon, der von Lorenzo de’Medici ausdrücklich autorisiert worden war, hätte die Demonstration der ökonomischen und sozialen Gleichrangigkeit ihre Wirkung verfehlt.

Die Neuerungen und Veränderungen gegenüber dem Vorbild rütteln nicht an der Verbindlichkeit der Typologie, die erst die Vergleichbarkeit konstituiert und die in Florenz auch noch im 16. Jahrhundert verbindlich blieb, wie der Ausbau des Palazzo Pitti zur Residenz der mittlerweile gefürsteten Medici zeigt. Neben dem für Florenz insgesamt typischen Festhalten am tradierten Kanon trug ein weiteres Faktum zur Konstitution einer Stilsprache bei, deren Grammatik letztlich dafür verantwortlich ist, dass man überhaupt von der Architektur der Renaissance sprechen kann. Dies sind die über mehrere Generationen hinweg reichenden schulischen Traditionen der Architekten und Steinmetzen, deren Grundlage einerseits die hölzernen Modelle der langwierigen Bauvorhaben, andererseits der Fundus der Zeichnungen waren, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden. Eine Schlüsselstellung in dieser Kette der Überlieferung kommt der Florentiner Familie Sangallo zu, die nicht nur ihre Werkstatttraditionen über drei Generationen hinweg bewahrte (Francesco, gest. 1480, Giuliano, gest. 1516, Antonio d. Ä., gest. 1534, Antonio d. J. gest. 1546), sondern außerdem die Brücke von Florenz nach Rom schlug, wo sich die wesentlichen Neuerungen der Hochrenaissance abspielten, die von dort aus auf das übrigen Italien und auf Europa ausstrahlten.

zu 1. Loggia S. Maria degli Innocenti