Rezension

Margrit Jüsten-Mertens: (Hg.) Die kostbaren Hüllen der Heiligen - Textile Schätze aus Kölner Reliquienschreinen. Neue Funde und Forschungen, Köln: Greven-Verlag 2016, 134 S., ISBN 978-3-7743-0675-2, 23.90 EUR
Buchcover von Die kostbaren Hüllen der Heiligen - Textile Schätze aus Kölner Reliquienschreinen
rezensiert von Corinne Mühlemann, Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern

Mittelalterliche Textilien, die sich im Kontext von Schreinen und Reliquiaren erhalten haben, rücken seit geraumer Zeit in den Vordergrund der kunsthistorischen und textilkonservatorischen Forschung. Davon zeugt nicht nur der jüngste Band der Colonia Romanica, sondern auch die Sonderausstellung "Hülle und Zier - mittelalterliche Textilien im Reliquienkult", die 2014 in der Abegg-Stiftung in Riggisberg gezeigt wurde und die damit einhergehende Forschung zu den Stoffen in den Hildesheimer Schreinen. [1]

Der Band ist webgemusterten Seiden, Stickereien und Leinengeweben gewidmet, die sich in den Kölner Schreinen des 12. Jahrhunderts sowie in der Lade des hl. Evergislus aus dem 19. Jahrhundert erhalten haben. Dem Leser werden die textilen Objekte in sieben Einzelstudien vorgestellt, die nach den romanischen Kirchen gegliedert sind, in welchen sich die Schreine und die dazugehörigen Stoffe befinden. St. Kunibert ist dabei zwei Mal aufgeführt, da sich mit der sogenannten Reiterseide sowohl im Schrein des hl. Kunibert (amt. 620-663) als auch mit der sogenannten Ewaldidecke im Schrein der hl. Ewaldi (gestorben 690) zwei textile Objekte erhalten haben.

In einem einleitenden Aufsatz versucht Annemarie Stauffer, die thematischen Stränge, die sich bei den Untersuchungen der unterschiedlichen Gewebe ergeben haben, zusammen zu führen. Bei der hohen Vielfalt an textilen Objekten innerhalb der Kölner Schreine, die einen immensen zeitlichen sowie geografischen Raum abdecken, ist dies ein schwieriges Unterfangen. Selbst das Entstehungsdatum eines Schreines sagt nicht zwingend etwas über die Datierung der darin aufgefundenen Objekte aus, wie Sabine Schrenk für die Gewebe in St. Severin aufgezeigt hat (78). Die ungefähre Datierung der Stoffe konnte dort mit der C-14 Methode bestimmt werden, wodurch sich die Vermutung, die Gewebe gelangten erst ein- bis dreihundert Jahre nach ihrer Herstellung in den Schrein, bestätigte. Ihr Beitrag basiert auf einem ausführlicheren Aufsatz, der in Zusammenarbeit mit Ulrike Reichert bereits im Jahr 2011 erschienen ist. [2]

Wer sich mit Textilien beschäftigt, weiß um die erheblichen Schwierigkeiten, die ihre Datierung und Lokalisierung seit jeher bereiten. Dennoch hätte man sich an vielen Stellen eine etwas klarere - zumindest die Probleme schärfer benennende - Einordnung der Gewebe gewünscht. So sind zum Beispiel die geografischen Bezeichnungen äußerst vage und innerhalb der einzelnen Beiträge nicht kohärent. Trotz einer geografischen Karte im einleitenden Aufsatz, die mögliche Handelsrouten zwischen Asien und Europa aufzeigt, sind Bezeichnungen wie "orientalischer Kulturbereich" (25), "Regionen des Nahen Ostens" (54) und "östlicher Mittelmeerraum" (58) verwirrend, da nicht klar wird, welche Gebiete und Dynastien zu welchen Bezeichnungen gehören und wie sich Muster und Technik der einzelnen Gewebe dazu verhalten.

Im ersten Beitrag von Annemarie Stauffer zu St. Kunibert wird nur kurz auf die "persische Tracht" des Reiters eingegangen (17). Obwohl die Identifikation des Reiters mit Bahram Gur als gesichert gelten darf, wäre nicht nur der Verweis auf die literarische Quelle des persischen Poeten Firdawsi (die genaue Literaturangabe fehlt) wünschenswert, sondern vor allem auf weitere Vergleichsbeispiele der iranischen Kunstgeschichte, damit der Leser "die zahlreichen Anklänge an die persische Herrscherikonographie" (17) nachvollziehen kann.

Die Reliquienhülle mit Streifenmuster aus St. Gereon im Beitrag von Gudrun Stracke-Sporbeck (102) wird richtig mit dem Stoff der Glockenkasel M25 aus dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig in Verbindung gebracht. [3] Dabei wird auch auf die neuere Forschung zu Gold-Seide-Stoffen mit Streifendekor verwiesen. Doch kann die vorgeschlagene Lokalisierung des Gewebes kaum überzeugen. Zwar konnten die Streifenstoffe der sogenannten Heinrichsgewänder aus Regensburg mit einiger Sicherheit in die Gebiete der Ilchaniden verortet werden [4], doch muss der Streifenstoff aus Braunschweig und somit auch das Fragment aus St. Gereon aufgrund der arabischen Inschrift sowie gewisser Elemente im Dekor in die Gebiete des mamlukischen Reiches lokalisiert werden, wie es auch schon von Leonie von Wilckens vorgeschlagen wurde. [3] Bei der arabischen Inschrift, die Teil des Musterrapportes ist, handelt es sich außerdem nicht um eine im Kufi-Duktus, sondern um eine kursive, im Thuluth-Duktus geschriebene.

An den genannten Beispielen zeigt sich, wie schwierig es ist, den unterschiedlichen Textilien, die sich in den Kölner Schreinen während der Jahrhunderte angesammelt haben, gerecht zu werden.

Nichts desto trotz erhält der Leser einen umfassenden Überblick zu den erhaltenen Geweben, die sich im Kontext der Kölner Schreine erhalten haben. Positiv hervorzuheben ist der objektfokussierte Ansatz, der in allen Beiträgen verfolgt wird sowie die Zusammenarbeit von Kunsthistorikern und Textilkonservatoren.


Anmerkungen:

[1] Zu den Geweben in den Hildesheimer Schreinen, vgl. Regula Schorta: Die Stoffe in den Hildesheimer Schreinen. Zu Textilien im Reliquienkult und Luxusgeweben im hochmittelalterlichen Europa (14. Sigurd Greven-Vorlesung, 16. November 2010, Köln), Köln 2010 und zur genannten Ausstellung, vgl. http://abegg-stiftung.ch/exhibition/huelle-und-zier

[2] Sabine Schrenk / Ulrike Reichert: Die Textilien aus dem hölzernen Schrein in St. Severin, in: Der hl. Severin von Köln. Verehrung und Legende. Befunde und Forschungen zur Schreinsöffnung von 1999 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 40), hgg. v. Joachim Oepen, Bernd Pfäffgen, Sabine Schrenk und Ursula Tegtmeier, Siegburg 2011, 215-371.

[3] Leonie von Wilckens: Die mittelalterlichen Textilien: Katalog der Sammlung, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig (Braunschweig: Herzog Anton Ulrich-Museum, 1994), Kat. Nr. 3.

[4] Dazu zuletzt: Juliane von Fircks: Islamic Striped Brocades in Europe: The 'Heinrichsgewänder' in Regensburg from a Transcultural Perspective, in: Oriental Silks in Medieval Europe (Riggisberger Berichte, 21), hgg. v. Juliane von Fircks, Regula Schorta, Riggisberg 2016, 266-287.


Corinne Mühlemann

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Empfohlene Zitierweise:

Corinne Mühlemann: Rezension von: Margrit Jüsten-Mertens: (Hg.) Die kostbaren Hüllen der Heiligen - Textile Schätze aus Kölner Reliquienschreinen. Neue Funde und Forschungen, Köln: Greven-Verlag 2016
in: KUNSTFORM 18 (2017), Nr. 7,

Rezension von:

Corinne Mühlemann
Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern

Redaktionelle Betreuung:

Ralf Lützelschwab