Rezension

Alexander Bastek / Elise van Ditmars / Tilmann von Stockhausen: (Hgg.) Niederländische Moderne. Die Sammlung Veendorp aus Groningen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2015, 208 S., ISBN 978-3-7319-0263-8, 29.95 EUR
Buchcover von Niederländische Moderne
rezensiert von Lars Berg, Städtisches Museum Braunschweig

Wenn von Kunstwerken niederländischer Meister die Rede ist, denken viele zunächst an Künstler des Goldenen Zeitalters, wie Rembrandt, Vermeer oder andere. Im 19. Jahrhundert gab es in den Niederlanden eine Gegenbewegung zur akademischen Malerei, die sich beeinflusst von der Schule von Barbizon, beispielsweise in Den Haag mit der sogenannten "Haager Schule", herausbildete und ihre Fortsetzung mit der Generation der "Amsterdamer Schule" fand. Diese Richtungen beeinflussten wiederum Künstler wie Max Liebermann und Fritz von Uhde.

Bislang ist die niederländische Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von der Forschung nur mäßig berücksichtigt worden. So sind die Werke von Künstlern wie Isaac Israels (1865-1934) oder anderen Vertretern dieser Kunstströmung in Ausstellungskatalogen gewürdigt worden. Grundlegende Monografien die sich mit den Interdependenzen zwischen französischer, niederländischer und deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts beschäftigen, stehen hingegen noch aus.

In einem Gemeinschaftsprojekt haben das Museum Behnhaus Drägerhaus in Lübeck, das Museum im Kulturspeicher in Würzburg, das Augustinermuseum in Freiburg und das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen Werke aus der Sammlung Veendorp ausgestellt, um niederländische Künstler wie Israels, Willem Bastiaan Tholen (1860-1931), Dirk Nijland (1881-1955), Anton Mauve (1838-1888) und andere hierzulande einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Das Groninger Museum hat als Kooperationspartner die Leihgaben für dieses Vorhaben zur Verfügung gestellt.

Die Sammlung Veendorp befindet sich als Dauerleihgabe der Stiftung J. B. Scholtenfonds im Groninger Museum. Der Architekt und Ziegelfabrikant Reurt Jan Veendorp (1905-1983) hatte sich seit den 1920er-Jahren schwerpunktmäßig mit der niederländischen Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigt und eine eindrucksvolle Sammlung zusammengetragen. Die Kollektion besteht aus über 400 Werken. Darunter befinden sich etwa hundert Gemälde und mehr als 150 Zeichnungen und Aquarelle sowie wenige Skulpturen. Einen besonderen Stellenwert hatte Veendorp den Malern der Haager Schule beigemessen. So sind in der Sammlung Werke von Mauve, Willem Roelofs (1822-1897), Jan Hendrik Weissenbruch (1824-1903) und Paul Gabriel (1823-1903) vertreten. Die Künstlergeneration nach der Haager Schule wird mit Amsterdamer Impressionisten wie Israels, Tholen und Floris Verster (1861-1927) präsentiert. Mit Dirk Nijland verband Veendorp eine persönliche Freundschaft. Der Sammler inspirierte den Künstler zu neuen Werken, und Nijlandt wusste die Zeichnungen von Veendorp zu schätzen. Im Gemälde Christusstatue von 1950 reproduzierte Nijland eine Zeichnung, die Veendorp geschaffen hatte, und platzierte sie in seinem Bild neben einer Christusstatue. 1947 mietete Veendorp das "rosa Häuschen" in Wassenaar am Rande von Den Haag. Es hatte Nijland zuvor als Atelier und Wohnhaus gedient und war eine großzügige Villa mit Garten (11f.).

Der Leser des Katalogs wird in die niederländische Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts durch Werke eingeführt, die von dem persönlichen Geschmack eines Sammlers geprägt worden sind. Das Buch enthält drei Aufsätze, die sich mit der Lebensgeschichte des Sammlers (Elise van Dittmars), der niederländischen Malerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Evelin de Visser) und der niederländischen Moderne sowie der Malerei in Deutschland (Jenns Howoldt) beschäftigen. Es folgen der Katalogteil mit einer Beschreibung der Exponate und jeweils einer großformatigen Abbildung (44-187). Eine Aufstellung der Werke mit Provenienzen, Ausstellungen und Literatur (188-195) sowie Kurzbiografien der Künstler (199-207) runden die Publikation inhaltlich ab.

Sehr aufschlussreich ist der Aufsatz von Jenns Howoldt, der die Beziehungen zwischen der niederländischen Malerei des 19. Jahrhunderts und der Malerei in Deutschland thematisiert. Max Liebermann hatte den Ort Zandvoort 1875 erstmalig besucht. Fritz von Uhde war zu seinen Arbeiten in dem malerischen Ort an der Küste wiederum von Liebermann inspiriert worden und begann seine Studien im Altmännerhaus. Es wird deutlich, wie der deutsche Maler von Uhde zu den Motiven für seine Gemälde fand. Die kleinen Gassen und Fischerkinder interessierten ihn besonders und inspirierten das Gemälde Die Fischerkinder von Zandvoort (1882, Wien, Österreichische Galerie Belvedere). Als ein wichtiger Exponent der niederländischen Malerei des 19. Jahrhunderts wird Jozef Israels (1827-1911) thematisiert, der wegen seiner sozialkritischen Studien von Vincent van Gogh auch als "holländischer Millet" bezeichnet wurde (34). Israels war 1853 von Paris aus nach Barbizon gefahren, um dort in der freien Natur zu malen. Seine realistischen Darstellungen des bäuerlichen Milieus brachten ihm internationale Anerkennung ein. So war etwa das Gemälde Der ertrunkene Fischer (1861, London, National Gallery) auf Ausstellungen des Pariser Salons zu sehen.

Howoldt verdeutlicht die künstlerischen Beziehungen zwischen Künstlern der Haager Schule und deutschen Malern anhand eines Vergleiches zweier Gemälde von Jozef Israels und Leopold von Kalckreuth: 1881 hatte Israels das Bild eines alten Mannes geschaffen, der auf der Kante des Bettes sitzt, in dem seine tote Frau liegt. Es handelt sich um "ein Sujet aus dem Altmännerhaus in Zandvoort" und wurde in München mit der Silbernen Medaille ausgezeichnet (36). Die Einflüsse dieses Werkes sind in dem von Kalckreuth gemalten Bild Alter Fischer (1888, Weimar, Klassik Stiftung) deutlich wahrzunehmen. Ein alter Fischer sitzt auf einer Bank und schaut in die Ferne. Er ist zu alt, um aufs Wasser hinaus zu fahren: Alter, Einsamkeit und Isolation sind die zentralen Themen in dieser Milieustudie von Kalckreuth.

Howoldt thematisiert in seinem Aufsatz die Haager Schule, die 1875 in Den Haag gegründet worden war und Jozef Israels zum "chef d'école" gemacht hatte. Die Themen der Künstler waren "einfache Bauern und Fischer, die flache, unprätentiöse Landschaft mit ihren Viehweiden und Wassergräben" (35). Die meisten Vertreter der Haager Schule hatten sich in den 1850er- und 1860er-Jahren in Barbizon aufgehalten, um die Freilichtmalerei zu studieren. Den Anhängern der Haager Schule war es wichtig gewesen, sich von der Historienmalerei und Romantik deutlich abzugrenzen (35). Wichtig ist die Erkenntnis, dass der besondere Erfolg der Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts wohl eng mit der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts verbunden ist. Dieser Eindruck mag Liebermann dann wohl auch zu seinem - in einem Aufsatz über Jozef Israels publizierten - Ausspruch bewegt haben, dass man "in Holland [...] nach den alten Bildern noch die modernen ansehen [kann]: es ist Fleisch von ihrem Fleische" (37).

Es ist das Verdienst der Ausstellung und des Katalogs, dass verschiedene Werke niederländischer Maler des 19. Jahrhunderts einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden. Es ist kritisch anzumerken, dass die Auswahl aus einer Privatsammlung auch immer den Geschmack eines Sammlers widerspiegelt und nicht repräsentativ für eine ganze Epoche stehen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass überwiegend Werke aus den Sujets Landschaftsmalerei und Stillleben präsentiert werden, sodass andere Bereiche nicht thematisiert werden. Dennoch ist die Idee einer Wanderausstellung ein guter Versuch, um die niederländische Malerei des 19. Jahrhunderts hierzulande bekannter zu machen.


Lars Berg

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Empfohlene Zitierweise:

Lars Berg: Rezension von: Alexander Bastek / Elise van Ditmars / Tilmann von Stockhausen: (Hgg.) Niederländische Moderne. Die Sammlung Veendorp aus Groningen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2015
in: KUNSTFORM 17 (2016), Nr. 12,

Rezension von:

Lars Berg
Städtisches Museum Braunschweig

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis