Rezension

Iris Lauterbach: Der Central Collecting Point in München. Kunstschutz, Restitution, Neubeginn, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2015, 256 S., ISBN 978-3-422-07308-1, 24.90 EUR
Buchcover von Der Central Collecting Point in München
rezensiert von Elisabeth Gallas, Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur e.V. an der Universität Leipzig

Der von Iris Lauterbach veröffentlichte Band befasst sich mit einem Phänomen der (Kunst-)Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem die Öffentlichkeit im letzten Jahrzehnt zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt hat: Die Rede ist vom nationalsozialistischen Kunstraub und den anschließenden Bemühungen der Alliierten, diesem nach Kriegsende durch die Rückführung von aufgefundenen Kunstwerken zu begegnen. Mit ihrer Studie zum Central Collecting Point in München rückt Lauterbach einen der symbolträchtigsten Orte dieser Vorgänge in den Blickpunkt.

Auch der Aufsehen erregende Fund der mit Raubkunst bestückten Sammlung von Cornelius Gurlitt, der 2013 die deutschen Feuilletons beschäftigte und bis heute Verfahren der Provenienzklärung nach sich zieht, verweist auf diesen Ort. Denn dort lagerten nach dem Krieg die von Cornelius' Vater Hildebrand Gurlitt erworbenen und zusammengetragenen Kunstwerke, aus denen sich die spätere Sammlung des Sohnes speiste. Und die Amerikaner hatten sie dort 1947 (fälschlich) als unproblematisch in Bezug auf ihre Herkunft eingestuft und als Privateigentum deklariert.

Ungeachtet derartiger Fehleinschätzungen überwogen jedoch die Erfolge: Das von der Militärregierung zwischen 1945 und 1949 im ehemaligen "Führer- und Verwaltungsbau der NSDAP" am Königsplatz in München eingerichtete Sammeldepot für NS-Raubkunst, der Central Collecting Point, zeugt an erster Stelle von den herkulischen Anstrengung der Amerikaner, die von den Nazis enteigneten, abgepressten und auf deutschem ebenso wie auf deutsch besetztem Territorium systematisch geraubten Kunstwerke ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben.

Schon während des Krieges waren die Berichte über Plünderung und Raub von Kunst- und Kulturgütern durch einschlägige NS-Einheiten bekannt geworden. Im Wissen um diese Vorgänge genauso wie um die von den Kriegshandlungen ausgehenden Gefahren für die europäische Kulturlandschaft gründete die amerikanische Regierung 1943 die "Roberts Commission", ein mit Kunsthistorikern und Kuratoren besetztes Expertengremium, das Maßnahmen zum Schutz und zur Rettung von Kunst- und Kulturgütern auf dem Kriegsschauplatz vorbereiten und einleiten sollte. Den operativen Arm dieser Kommission bildeten wenig später die sogenannten Monuments Men, eine Gruppe amerikanischer Armeeangehöriger, später auch Zivilisten, die sich unter dem Dach der militärischen Abteilung "Monuments, Fine Arts & Archives" mit der Suche, Instandhaltung, Sicherung und Identifizierung von Kunstwerken und Kulturgütern in Europa befasste. Auf dem Vormarsch in deutsches Gebiet, spürten sie über tausend Verstecke der Deutschen auf, die mit Kunstwerken, Skulpturen, Münzsammlungen, Ritualgegenständen, Büchern und Textilien angefüllt waren. Sie bargen die Objekte, trugen Sorge für deren Überführung in einen der sieben eigens zu diesem Zweck eingerichteten Collecting Points in der amerikanischen Besatzungszone und bestimmten über die Rückgabe oder den Verbleib vor Ort.

Die Geschichte des für die Kunstrestitution wichtigsten Collecting Points schildert Iris Lauterbach in ihrem mit zahlreichen mehr als nur illustrativen, sehr ausdrucksstarken Abbildungen ausgestatteten Band. Es wird deutlich, dass dieses Münchner Sammeldepot in vielfältiger Hinsicht von den anderen amerikanischen Collecting Points zu unterscheiden ist. Nicht nur seine Größe und die Menge von beherbergten, häufig äußerst wertvollen Kunstwerken ebenso wie die symbolhafte Topografie - der mythisch aufgeladene Platz der nationalsozialistischen "Bewegung" in der Maxvorstadt - hoben ihn besonders heraus. Bereits während seines kurzen Bestehens und wichtiger noch in der Zeit danach entstand hier auf Initiative der amerikanischen Akteure ein neuer Raum für die wissenschaftliche Erforschung und Vermittlung von Kunst und ihrer Geschichte. Anders als beispielsweise das hessische Pendant, das ab März 1946 betriebene Offenbach Archival Depot, das der Unterbringung und Rückerstattung von geraubten Büchern und Ritualgegenständen mehrheitlich jüdischer Herkunft diente, für das aber nach Abschluss der Tätigkeiten 1949 keinerlei Weiternutzung vorgesehen war, wurde der Münchner Collecting Point wichtiger Ausgangspunkt für die Neuetablierung des Kunst- und Kulturbetriebs der Bundesrepublik.

Nach einer hilfreichen Einführung in die juristischen Rahmenbedingungen für die durchzuführenden Restitutionsprozesse beschreibt Lauterbach detailreich und informiert die ersten Schritte zur Etablierung des Depots am Königsplatz einschließlich der Personalstrukturen und Arbeitsabläufe. Dabei wird erkennbar, welche Priorität die Amerikaner der Bewahrung des europäischen Kulturerbes in den Nachkriegsplanungen einräumten. Das unermüdliche Engagement der Beteiligten, die neben ihrer Hauptaufgabe, mehrere zehntausend Kunstwerke in ihre Herkunftsländer und -institutionen zurückzuführen, auch zahlreiche Ausstellungen vorbereiteten und damit in einer spezifischen Form der Reeducation in die Münchner Öffentlichkeit hineinwirkten, sticht in der Darstellung heraus.

Und doch ist in dieser quellengesättigten und informativen Darstellung auch auf eine Leerstelle hinzuweisen: die der jüdischen Erfahrungsgeschichte. Weder rekonstruiert oder kommentiert Lauterbach die Herkunft der Sammlungen, die in München zwischenlagerten, noch geht sie auf den Fakt ein, dass viele Beteiligte, ob sie sich in der juristischen wie praktischen Vorbereitung der Operationen in Amerika oder in der Durchführung der Restitutionsarbeiten in Europa engagierten, Juden waren. Dass der systematische Kulturraub der Nationalsozialisten insbesondere jüdische Einrichtungen und Privatsammlungen traf und genuiner Bestandteil des genozidalen Vorgehens war, bleibt damit ebenso latent wie die Tatsache, dass die Rückerstattung von Kunst- und Kulturgütern nach dem Zweiten Weltkrieg ein überaus wichtiges Element jüdischen Weiterlebens nach der Katastrophe bedeutete.

Eng verknüpft mit der Arbeit des Collecting Point ist die Gründungsgeschichte des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte, das 1947 seine Arbeit aufnahm. Lauterbach beschreibt, wie aufbauend auf dem Dokumentationsmaterial und den Buchsammlungen, die aus dem Bestand des Collecting Point stammten, auf Bestreben der Amerikaner ein "internationales kunsthistorisches Forschungszentrum" eingerichtet (175) und der deutsche Kunsthistoriker Ludwig Heinrich Heydenreich zu dessen Gründungsdirektor ernannt wurde. Das Institut, das "in seiner Erstausstattung gewissermaßen in einer Sedimentschicht aus kulturellen Relikten der nationalsozialistischen Diktatur [wurzelte]" (179), stellt heute eine Forschungsinstitution mit großer Ausstrahlung und Reichweite dar.

Der Ort, an dem kurzzeitig "Kunstdenkmäler aller Epochen und Länder an einem Punkt" zusammenkamen (77) und - nach Einschätzung der Akteure - "the greatest collection and movement of art in the history of the world" (186) realisiert wurde, konnte demnach fortwirken; er bildet institutionelle Kontinuitäten bis in die Gegenwart. Überzeugend liest Lauterbach die Vorgänge in München als Zeugnis der "Initiativen [...], mit denen die amerikanische Militärregierung auf dem Gebiet der Kunst und Kultur nach dem Ende des Weltkrieges eine Umorientierung und einen Neubeginn in Deutschland förderten" [228].

Es bleibt zu hoffen, dass die umfassende Arbeit von Iris Lauterbach Anstoß zu weiteren Studien gibt, die das historische Fundament in der anhaltenden Debatte um die politische wie erinnerungskulturelle Bedeutung des NS-Kunstraubs und den bis heute nicht abgeschlossenen Restitutionsprozessen hervorheben, um jenen die notwendige Geltung zu verschaffen.


Elisabeth Gallas

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Empfohlene Zitierweise:

Elisabeth Gallas: Rezension von: Iris Lauterbach: Der Central Collecting Point in München. Kunstschutz, Restitution, Neubeginn, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2015
in: KUNSTFORM 17 (2016), Nr. 12,

Rezension von:

Elisabeth Gallas
Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur e.V. an der Universität Leipzig

Redaktionelle Betreuung:

Sebastian Voigt