Rezension

Karin Leonhard: Bildfelder. Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts, Berlin: Akademie Verlag 2013, ISBN 978-3-05-006325-6, 79.95 EUR
Buchcover von Bildfelder
rezensiert von Gudrun Swoboda, Kunsthistorisches Museum, Wien

Karin Leonhard hat ein schönes, virtuoses, in mancher Hinsicht staunenswertes Buch über die Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts und ihre Beziehungen zu Naturphilosophie, Medizin, Alchemie und Farbtheorie geschrieben. Vornehmlich beschäftigt sie sich mit einer Gattung, die unter Bezeichnungen wie "Niederwelt" oder "sottobosco" oder auch "Waldbodenstillleben" in die Kunstgeschichte eingegangen ist und zu deren Begründern der niederländische und unter anderem in Rom tätig gewesene Maler Otto Marseus van Schrieck (1619/20-1678) zählt, dessen Kunst von Naturalisten wie Cosimo III. de' Medici geschätzt und gesammelt wurde. Auch Jan Davidz. de Heem, Abraham Mignon, Elias van den Broeck und Rachel Ruysch waren an der Entwicklung des Genres beteiligt, ja die meisten Stilllebenmaler der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheinen sich gelegentlich in die feucht-dunklen Ecken der Welt und das dort entstehende und vergehende Leben vertieft zu haben (172).

In die Faszination durch diese sottoboschi mischen sich Momente von Abscheu und Ekel, denn ihre dunklen Bildgründe, aus denen Pilze und Disteln wachsen, sind von Vipern, Kröten, Eidechsen und zuweilen auch Skorpionen bevölkert. Zu den wenigen optischen Lichtblicken zählen farbige Blüten und Schmetterlinge, wobei letztere jedoch ständig in Gefahr schweben, von irgendeinem Untier - etwa einer schleimigen Kröte - verschlungen zu werden. Gelegentlich vorkommende Landschaftsausblicke deuten auf eine erlösende Weite, Tageshelle und Himmelsbläue hin, verstärken zugleich aber auch das Bewusstsein dafür, dass der eigentliche Schauplatz dieser Stillleben so etwas wie eine Mulde, Erdhöhle oder auch Felsspalte ist, in die nur wenig Licht dringt.

Dass gerade dieses in jeder Hinsicht tief liegende Genre - man ist versucht, von einer Art Bodensatz der Malerei zu sprechen - große Erkenntnischancen bot und bietet, wird von Leonhard in ihrer Studie, die an Gelehrsamkeit, Witz, Beobachtungsreichtum und sprachlicher Brillanz schwer zu überbieten sein dürfte, auf gut 430 Seiten demonstriert. Denn die sottoboschi konfrontierten ihre zeitgenössischen Betrachter mit hoch aktuellen naturphilosophischen Fragen nach den Vorgängen am unteren Ende der Kette oder Stufenleiter der Lebewesen (9-172). Gab es Übergänge von der scheinbar unbelebten zur belebten Natur? Genügte eine gewisse Wärmezufuhr, damit sich aus feuchter Erde nicht nur Pilze, sondern etwa auch Gewürm und Kröten bildeten? War eine Art von Urzeugung oder 'Abiogenese' anzunehmen oder musste man von einer irgendwie besamten Matrix ausgehen? Hinsichtlich dieser philosophisch schwierigen und theologisch problematischen Fragen stand ein Maler wie Otto Marseus van Schrieck mit Naturforschern wie Jan Swammerdam im Austausch, ja es ist sogar belegt, dass er zu diesen Diskussionen die Beobachtung beibrachte, dass aus toten Raupen gelegentlich deshalb Wespen schlüpfen, weil erstere zuvor angestochen und mit Wespeneiern belegt worden waren. Damit war wenigstens in diesem Fall bewiesen, dass es sich nicht etwa um einen Fall von spontaner Geburt aus Fäulnis handelte (144f.).

Dass Marseus van Schrieck nachweislich ein damals einflussreiches Kräuterbuch, nämlich Rembert Doedoens Cruyde-Boeck (Antwerpen 1563), besaß, ist einer von vielen Hinweisen, die darauf schließen lassen, dass es erhellend sein kann, die Malerei als eine Art pharmakon zu betrachten und also auch über mögliche Zusammenhänge zwischen Gemälden, Arzneimitteln und Giften nachzudenken. Tatsächlich kann Leonhard plausibel machen, dass die Sinnstruktur eines wichtigen Gemäldes von van Schrieck (dem Sottobosco mit Kröte und Blauer Winde von 1660, heute Staatliches Museum Schwerin) unter anderem vom Gegensatz zwischen der unten am Boden lauernden Kröte (giftig) und der emporwachsenden blauen Winde, einem Heilkraut, getragen wird. Das Blau der Windenblüten bringt ein Stück Himmel an den düsteren Ort dieses Stilllebens - übrigens auch in einer ganz buchstäblichen Hinsicht, denn zur Darstellung dieser Blüten hat Marseus Lapislazuli verwendet, also ein Material, von dem in Edelsteinbüchern gesagt wurde, dass es den Himmel repräsentiere, und das medizinisch gegen Melancholie eingesetzt wurde (244). Beobachtungen wie diese werden von der Autorin im Kontext großräumiger ideengeschichtlicher Entwicklungen betrachtet. Die einschlägigen Diskussionen von Platon bis Derrida versteht sie souverän zu vermitteln und auch in hermeneutischer Hinsicht fruchtbar zu machen (178-253).

Der philosophie- und wissenschaftsgeschichtliche Blickwinkel erweitert sich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Naturphilosophie, beginnende Naturwissenschaft und Medizin im 17. Jahrhundert zum Teil eng mit alchemistischen Interessen und Praktiken verbunden waren (256-318). Einer der von Leonhard behandelten Maler - Johannes Goedaert, der in der Tradition Jan Brueghels d.Ä. Blumenstillleben malte - ist nachweislich als Alchemist tätig gewesen und war ein gesuchter Fachmann, wenn es um die Herstellung bestimmter Arzneimittel ging. Leonhard zeigt, um wie vieles interessanter einige von ihm gemalte Stillleben werden, sobald die zwischen Blumenvasen und alchemistischen Destillierkolben bestehenden Analogiebeziehungen berücksichtigt werden. Der Maler, der aus Pigmenten Blumen hervorgehen ließ, konnte sinnfällig mit dem Alchemisten verglichen werden, zumal es eine damals bekannte alchemistische Praxis war, aus eingeäscherten Blüten Kristallstrukturen zu erzeugen, die den Anschein machten, so etwas wie auferstandene Blumen zu sein. Nicht zufällig also ziert eine der von Goedaerts gemalten Bumenvasen eine bekannte alchemistische Emblemfigur, das Bild eines Phönixes (Blumenvase mit Heuschrecke und Schnecke, Privatsammlung, 267-269).

Aus den von der Autorin mit mikrohistorischer Akribie aufgezeigten Beziehungen zwischen Malerei, Naturphilosophie, Medizin und Alchemie ergibt sich eine Deutungsperspektive, die über die 'Niederwelt' der sottoboschi weit hinausweist: "Im 17. Jahrhundert wird die junge Gattung des Stilllebens in eine den Naturbegriff auf komplexe Weise reflektierende Kunstform überführt." (172) Auf überaus anschauliche Weise stellen die Stillleben Prozesse des Werdens und Vergehens, des Falls in die Materie und des Auferstehens aus ihr dar (304-318). Naturphilosophische und alchemistische Vorstellungen durchdringen sich dabei mit heilsgeschichtlichen Themen, denn die Niederwelt ist immer auch die Welt des gefallenen, erlösungsbedürftigen, aber auch erlösungsfähigen Menschen, und die bei van Schrieck regelmäßig vorkommenden Schmetterlinge sind immer auch Bilder der Seele. Es sei hinzugefügt, dass sich hier die Fruchtbarkeit von Wolfgang Kemps These erweist, wonach die Gattungen der Malerei als "ganze Teile" aufgefasst werden müssen, die aus der Welt einen Seinsbereich auf solche Weise ausschneiden, dass von diesem Teilbereich her wieder eine Perspektive auf das Ganze gewonnen werden kann. Denn welches Thema wäre umfassender als dasjenige des Werdens und Vergehens der Dinge, wenn es auch noch die Hoffnung oder Angst miteinschließt, die Seele wäre ein unsterbliches Geschöpf und der Körper würde nach dem Tod auferstehen?

Insgesamt ist Leonhards Buch so reich an kunst- und geistesgeschichtlichen sowie wissenschafts- und philosophiehistorischen Einsichten, dass nicht einmal die wichtigsten an dieser Stelle vollständig aufgezählt, geschweige denn gewürdigt werden können. Nicht zuletzt ist es eine wahre Fundgrube für alle, denen daran gelegen ist, die Geschichte der europäischen Malerei vom Gesichtspunkt der Farbe her zu schreiben. Vielleicht wurde nie zuvor auf derart anschauliche Weise erklärt, was etwa Demokrit meint, wenn er sagt, die Mischung von Weiß und Rot ergebe Grün, oder was es mit all den ähnlich rätselhaften Behauptungen auf sich hat, von denen in der berühmten pseudoaristotelischen Schrift De coloribus die Rede ist. Leonhard führt vor Augen, dass die gemeinten Farbveränderungen von einigen Stilllebenmalern des 17. Jahrhunderts aufmerksam studiert wurden, denn es handelt sich dabei keineswegs um theoretische Chimären, sondern um mehr oder weniger vertraute fotochemische Prozesse, die an Pflanzen zu beobachten sind (339-358). Sie zeichnet einen farbgeschichtlichen Wandel nach, der, grob gesagt, darauf hinausläuft, dass ein an körperliche Substanzen und an das Spiel der Elemente (warm / kalt, feucht / trocken) gebundener Begriff von Farbe durch eine anders gelagerte, optische Konzeption ersetzt wird. Demnach würden die Farben nicht etwa durch das Licht aus dem Dunkel hervorgeholt und wie Blumen aufblühen und verwelken, sondern durch die Interaktion des Lichtes mit an sich farblosen physikalischen Medien oder Oberflächen entstehen (358-418). Bei Malern, die der zuletzt genannten Konzeption zuneigen, werden auch die Farben der Blumen nicht mehr (nur) auf einen dunklen Nährboden zurückbezogen, sondern implizit mit den Spektralfarben des Regenbogens verglichen, so bei Karel von Vogelaer oder Cornelis de Heem. Damit scheinen die Farben im Lauf des 17. Jahrhunderts aufzusteigen - vom Schlamm der Niederwelt zum Regenbogen.


Gudrun Swoboda

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Gudrun Swoboda: Rezension von: Karin Leonhard: Bildfelder. Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts, Berlin: Akademie Verlag 2013
in: KUNSTFORM 16 (2015), Nr. 6,

Rezension von:

Gudrun Swoboda
Kunsthistorisches Museum, Wien

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder